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       # taz.de -- Hilflos in der Hölle von Liberia
       
       > Tausende Bewohner von Liberias Hauptstadt Monrovia irren zwischen den
       > Kriegsfronten umher, ohne Schutz oder Hoffnung. Eine Mitarbeiterin eines
       > internationalen Hilfswerks berichtet vom Elend der Kriegsvertriebenen
       > zwischen Milizen und Seuchen
       
       aus Monrovia LUCY CLAYTON
       
       Der 13-Jährige wurde von einem Querschläger in den Hals getroffen und starb
       sofort; seine Eltern konnten nichts tun. Eine junge Mutter musste auf der
       Flucht ihre kranke Großmutter zurücklassen, als der Weg durch einen Sumpf
       führte und die alte Frau im Matsch stecken blieb. Eine 26-Jährige erzählt
       von ihren Vergewaltigungen: das erste Mal war sie vierzehn, das zweite Mal
       zwei Jahre später war es eine Gruppenvergewaltigung, und vor zwei Tagen
       geschah es zum drittel Mal, als sie auf der Suche nach Feuerholz von
       Milizionären entdeckt wurde. Eine Mutter irrt seit zwei Wochen umher und
       hat schon fünf ihrer acht Kinder verloren.
       
       Das sind die Geschichten in den Lagern für Kriegsvertriebene am Rand von
       Liberias Hauptstadt Monrovia. Seit Liberias Rebellen wieder Monrovia
       angreifen, herrscht Panik unter den Flüchtlingen. Nach nächtlichem
       Artilleriefeuer sammelten die Leute ihre wenigen Habseligkeiten, und
       seitdem rennen sie um ihr Leben. Zu Tausenden sind sie auf der Hauptstraße
       ins Stadtzentrum geströmt. Kleine Kinder tragen Säcke auf dem Kopf, fast
       genauso groß wie ihre ausgemergelten Körper; alte Frauen stolpern mit
       schweren Matratzen die Straße entlang; Mütter zerren brüllende Kleinkinder
       hinter sich her und balancieren Bündel von Lebensmittelvorräten. Im
       Stadtzentrum herrscht Panik. Markthändler schließen ihre Stände, offene
       Lastwagen voller Soldaten rauschen laut hupend in alle Richtungen.
       
       Viele dieser Leute sind seit zwei Jahren auf der Flucht. Damals zwangen
       Kämpfe zwischen Liberias Regierungsarmee und den Rebellen der LURD
       (Vereinigte Liberianer für Versöhnung und Demokratie) sie dazu, ihre
       Heimatorte im Norden und Westen Liberias zu verlassen. Immer wieder sind
       sie seitdem von einem Übergangslager zum nächsten gezogen. Mit jeder Flucht
       ließen sie Eigentum zurück, ihre Hütten wurden geplündert,
       Familienangehörige fielen Milizen und Krankheiten zum Opfer. Seit März gibt
       es Krieg auch im Osten Liberias, und dort geschieht jetzt das Gleiche.
       Liberia macht den Eindruck eines Landes, in dem es nur noch Flüchtlinge
       gibt.
       
       Das Gelände von „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) wird zum improvisierten Lager.
       Die MSF-Klinik in Monrovia hatte erst Ende letzter Woche wieder öffnen
       können. Das Zentrum für unterernährte Kinder füllte sich sofort mit
       Notfällen, geplünderte Medikamentenvorräte wurden aufgestockt. Ein
       provisorisches Cholerazentrum wurde eingerichtet, ein 50-Betten-Einheit für
       Cholerapatienten sollte gestern eröffnet werden. Es gibt in Monrovia schon
       eine Choleraklinik, aber die Seuche breitet sich dieser Tage rapide aus,
       weil so viele Leute ohne sauberes Wasser unter fürchterlichen Bedingungen
       herumziehen. Jetzt musste die Klinik dichtmachen, und das Personal ist zum
       Hauptgelände gekommen und bringt Patienten mit.
       
       Das Wohnzimmer wird zum Krankenzimmer. Ein steter Strom von Verwundeten
       kommt an. 300 Menschen haben hier bisher Zuflucht gesucht. Die Stimmung ist
       gedrückt und elektrisiert zugleich. Seit 13 Jahren herrscht Krieg in
       Liberia, und die Menschen sind müde. Jetzt spüren sie, dass Geschichte sich
       wiederholt. Keiner weiß, welche der vielen Gerüchte stimmen. Keiner weiß,
       in welche Richtung ein sicherer Fluchtweg liegt.
       
       Die Autorin ist Mitarbeiterin von Ärzte ohne Grenzen in Monrovia
       
       27 Jun 2003
       
       ## AUTOREN
       
   DIR LUCY CLAYTON
       
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