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       # taz.de -- Zehntausende demonstrieren in Istanbul: Schweigemarsch für Hrant Dink
       
       > Am 5. Todestag des Journalisten Hrant Dink demonstrieren Zehntausende
       > gegen das Urteil im Mordprozess. Das Gericht sieht kein Komplott, nur
       > Einzeltäter.
       
   IMG Bild: "Wir sind alle Hrant Dink und Armenier."
       
       ISTANBUL taz | Auf einer der größten Demonstrationen, die Istanbul in den
       letzten Jahren gesehen hat, protestierten gestern fast 20.000 Menschen
       anlässlich des 5. Todestages des armenischen Journalisten Hrant Dink gegen
       ein Urteil vor zwei Tagen.
       
       Ein Gericht in Istanbul hatte nach gut vier Jahren Prozessdauer verneint,
       dass der Journalist und Menschenrechtler einem Komplott zum Opfer gefallen
       war, und lediglich zwei junge Männer als Einzeltäter verurteilt. Empört
       forderte die Menge "Gerechtigkeit für Hrant Dink".
       
       Die meisten Teilnehmer der Demonstration waren davon überzeugt, dass die
       Drahtzieher bei dem Attentat gegen den armenischen Journalisten bis heute
       vom Staat gedeckt werden. Kommentatoren und Redner auf der abschließenden
       Kundgebung sprachen von einem "zweiten Mord" durch das Gericht.
       
       Die Empörung in der türkischen Öffentlichkeit ist so groß, dass sowohl
       Staatspräsident Abdullah Gül als auch Premier Tayyip Erdogan Stellung
       nehmen mussten. Beide verwiesen darauf, dass das Verfahren in die Berufung
       gehen wird und vor dem Obersten Gericht noch anders ausgehen könnte.
       
       Demonstration und Kundgebung verliefen friedlich. Dink war 2007 vor dem
       Haus der armenisch-türkischen Wochenzeitung Agos, deren Chefredakteur er
       war, ermordet worden. Der Täter, ein minderjähriger rechtsradikaler
       Jugendlicher, wurde zu 22 Jahren Haft verurteilt.
       
       ## Alle Ermittlungen abgeblockt
       
       Das Hauptverfahren ging erst am Dienstag dieser Woche zu Ende. Von den 19
       Angeklagten wurde nur ein Mann als Anstifter des Todesschützen zu
       lebenslanger Haft verurteilt. Trotz etlicher Indizien, die alle auf
       Hintermänner im Geheimdienst- und Polizeiapparat verweisen, wurden alle
       Ermittlungen zu den wahrscheinlichen Drahtziehern abgeblockt.
       
       So wurde einer der Hauptbeschuldigten auf freien Fuß gesetzt worden. Erhan
       Tuncel, ein ehemaliger V-Mann der türkischen Polizei, sei am Dienstagabend
       aus der Haft entlassen worden, berichteten türkische Medien am Mittwoch.
       
       Der frühere Polizeispitzel Tuncel, der als zweiter Hauptbeschuldigter vor
       Gericht stand, wurde vom Vorwurf der Beihilfe freigesprochen. Wegen eines
       vor dem Mord begangenen Sprengstoffanschlags auf eine McDonald's-Filiale
       wurde Tuncel zwar zu fast elf Jahren Haft verurteilt, doch kam er frei,
       weil die lange Untersuchungshaft von fast fünf Jahren auf die Strafe
       angerechnet wurde.
       
       Türkische Zeitungen kritisierten am Mittwoch vor allem die Ansicht des
       Gerichts, dass es sich bei dem Mord an Dink um das Verbrechen von
       Einzeltätern handelte. Das Urteil sei ein Schock gewesen, kommentierte die
       Zeitung Radikal. Die Zeitung Birgün titelte, mit der Entscheidung sei Dink
       ein zweites Mal ermordet worden. (mit afp)
       
       19 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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