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       # taz.de -- "Drive"-Regisseur Nicolas Winding Refn: "Ich bin ein Fetisch-Filmemacher"
       
       > "Drive" ist ein Film über einen geheimnisvollen Mann, der Auto fährt und
       > dabei Popmusik hört. Regisseur Nicolas Winding Refn über L.A., Champagner
       > und grimmsche Märchen.
       
   IMG Bild: Fährt durch die Gegend und hört Popmusik. Ryan Gosling als "Driver".
       
       taz: Herr Refn, was hat Sie an James Sallis' Roman "Drive" gereizt? 
       
       Nicolas Winding Refn: Es hat eigentlich anders angefangen. Ryan Gosling und
       ich nahmen uns vor, zusammen einen Film über einen Mann zu drehen, der
       nachts mit dem Auto durch die Gegend fährt und dabei Popmusik hört. Und
       "Drive" bot uns genau den Rahmen, den wir für geeignet hielten. Außerdem
       mochte ich das Buch sehr.
       
       Ich habe gelesen, dass Hossein Amin, der Drehbuchautor, sechs Jahre an dem
       Script gearbeitet hatte, bevor Sie auf den Plan traten, und dass es
       eigentlich ein typischer Actionfilm werden sollte, mit Hugh Jackman als
       Hauptdarsteller. Stimmt das? 
       
       Ursprünglich hatte sich Universal die Rechte gesichert, und der Plan war,
       einen großen Actionfilm zu drehen. Aber daraus wurde nichts. Als ich
       anfing, zusammen mit Hossein an dem Script zu arbeiten, habe ich vieles
       geändert, aber Universal wollte den Film noch immer nicht machen. Also
       mussten wir uns unabhängig finanzieren.
       
       Und wie haben Sie das angestellt? "Drive" ist immerhin der erste Film, den
       Sie in Los Angeles gedreht haben. 
       
       Zum Beispiel, indem ich in Cannes Vorverkäufe abgeschlossen habe,
       Frankreich und Deutschland eingeschlossen.
       
       Der Film sieht aus, als würden Sie sich bestens in Los Angeles auskennen. 
       
       Das tue ich nicht!
       
       Wie sind Sie denn vorgegangen, um die Stadt zu filmen? 
       
       Ich habe erst mal alles aufgenommen, was mir interessant erschien, ganz
       ohne Plan, eher wie ein Fremder in einem fremden Land.
       
       Haben Sie sich dabei auch an anderen Filmen orientiert? Ich denke zum
       Beispiel an Walter Hills "The Driver" aus dem Jahr 1978, der beeindruckende
       Bilder von Los Angeles liefert. 
       
       Das ist ein toller Film. Und es ist seltsam, denn obwohl ich immer dachte,
       ich würde jeden Film kennen, der je gedreht wurde, kannte ich diesen nicht.
       Wir drehten schon, da habe ich ihn gesehen. Ein wichtiger Einfluss waren
       für mich die grimmschen Märchen.
       
       Inwiefern? 
       
       Ich wollte ein Märchen in Los Angeles drehen, über die Kino-Mythologie,
       darum geht es schließlich im Buch von Sallis. Über einen Mann, der ein Held
       wird, und eine Frau, die gerettet werden muss. Albert Brooks spielt den
       bösen König, alle anderen Figuren sind ebenso Archetypen.
       
       Albert Brooks spielt den Gangster Bernie Rose. In einer Szene sagt er:
       "Damals in den 80ern habe ich Filme produziert. Manche Kritiker nannten sie
       europäisch, ich fand sie scheiße." 
       
       In Sallis' Roman ist Bernie Rose eher ein typischer Gangster. Ich wollte,
       dass er Filmproduzent sein sollte - beziehungsweise ein Gangster, der mal
       Filme gemacht hat, aber heute wieder Gangster ist, ohne dass er das möchte.
       Aber auch die anderen Figuren sind auf die eine oder andere Art mit der
       Mythologie des Kinos verbunden.
       
       Wäre "Drive" ein Film, den Bernie Rose in den 80er Jahren produziert hätte? 
       
       Ja, das wäre wohl die Art von Film, die Bernie Rose gedreht hätte.
       
       Warum sind denn die 80er Jahre als Bezugspunkt so wichtig für Sie? 
       
       Ich bin ein Kind der 80er Jahre. Und Los Angeles ist eine Stadt, die aus
       den 80er Jahren nie herausgekommen ist. Das habe ich beim Drehen gemerkt.
       Man muss nur aus dem Fenster gucken, und schon ist man in den 80ern.
       
       Viele Szenen sind sehr elaboriert, etwa der Messerkampf am Ende, den Sie
       als Schattenspiel inszenieren. Wie finden Sie zu solchen visuellen
       Arrangements? 
       
       Ich drehe in chronologischer Reihenfolge, so dass ich sehen kann, wie sich
       die Dinge entwickeln. In diesem Fall rührten die Schatten daher, dass
       dieser Mord sein Geheimnis nicht verlieren sollte.
       
       In einer anderen Einstellung sieht man Driver und Irene in einem Spiegel,
       und in diesem Spiegel haftet auch ein Foto von Standard Gabriel, Irenes
       Ehemann und Drivers Rivalen - noch so eine elaborierte Aufnahme. Alle sind
       anwesend und gleichzeitig abwesend. 
       
       Für Irene ist Driver der Mensch, den sie in ihrem Leben braucht, er
       verkörpert ihre innersten Bedürfnisse. Wenn sie einen Menschen braucht, ist
       er menschlich, wenn sie einen Helden braucht, ist er ein Held. Und in
       dieser Szene spürt man, dass einiges davon ihrer Einbildung entspringen
       könnte.
       
       Es gibt sehr brutale Momente, zugleich wirkt die Hauptfigur sehr sanft. Und
       schweigsam ist sie sowieso. 
       
       Nun, ich hatte ja gerade vorher "Walhalla Rising" gedreht, und darin gab es
       kaum Dialog. Und dann sind wir auch schon wieder bei den Brüdern Grimm und
       ihren Märchen, die eine Hälfte ist sehr hell, wie Champagner, die andere
       Hälfte ist sehr dunkel.
       
       Erzählen Sie mir noch ein bisschen mehr über die dunkle Hälfte, über die
       Gewalt. 
       
       Im Grunde bin ich ein Fetisch-Filmemacher. Ich filme, was ich selbst gern
       sehen würde. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber es sieht am Ende so
       aus. Manchmal weiß ich sogar, warum - aber es bleibt ein Geheimnis.
       
       25 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Cristina Nord
       
       ## TAGS
       
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