URI: 
       # taz.de -- Scheinehen-Ermittlung: Post an Verheiratete
       
       > Das Verwaltungsgericht Bremen hat die verdachtsunabhängige Befragung von
       > Paaren mittels umfänglichem Fragebogen in einem Eilverfahren für
       > unrechtmäßig befunden.
       
   IMG Bild: Hätten in Bremen wohl auch 115 Fragen beantworten müssen: Heidi und Seal.
       
       BREMEN taz | Als unzulässig verworfen hat das Verwaltungsgericht Bremen die
       bisher gängige Praxis der so genannten „Scheineheermittlung“ in Bremen.
       Nicht rechtmäßig war demnach vor allem der Umgang der Innenbehörde mit
       ihrem umstrittenen Fragebogen „zur Feststellung der ehelichen
       Lebensgemeinschaft“. Er fragt ab, wann der Müll geleert wird und wer auf
       der linken Seite des Bettes schläft, ob der Gatte Geschenke mitbringt, ab
       wann genau von einer Beziehung die Rede war oder wie der Kontakt zu den
       Schwiegereltern ist. 115 Fragen umfasst das Papier, das offiziell als
       „Verschlusssache“ gehandelt wird, der taz aber vorliegt.
       
       Ein Türke und seine deutsche Frau haben den Fragebogen zunächst fast
       vollständig beantwortet. Später aber beantragten sie die ersatzlose
       Vernichtung, da der Fragebogen ihr Grundrecht auf informationelle
       Selbstbestimmung „tiefgreifend“ verletze. Die Ausländerbehörde sah das
       jedoch anders – und weigerte sich, die entsprechenden Teile der Akte zu
       sperren. Doch genau das verpflichtete sie jetzt im vorliegenden Fall das
       Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren (Aktenzeichen 4V320/12).
       
       Die ausführliche Befragung des Ehepaares und auch die Speicherung der
       Antworten war nicht durch ein Gesetz oder wenigstens eine Einwilligung der
       Interviewten gedeckt, urteilt das Gericht. Die Speicherung der Antworten
       war „möglicherweise bereits von vornherein unzulässig“ – mindestens aber,
       seit das Ehepaar Einspruch erhob. „Punktuelle Kontrollen“ einer Ehe seien
       ohnedies nur bei „begründetem Verdacht“ zulässig, schreibt das
       Verwaltungsgericht. Ermittlungen der Ausländerbehörde seien erst dann
       erlaubt, wenn „im konkreten Fall“ bereits „tatsächliche Anhaltspunkte“ für
       eine Scheinehe bestanden – und zwar bevor der Fragebogen zum Einsatz kommt.
       „Eine verdachtsunabhängige Befragung ist unzulässig“, so das Gericht.
       
       Hier war es jedoch genau umgekehrt: Kaum waren die Eheleute – getrennt
       voneinander – befragt, äußerte die zuständige Sachbearbeiterin der
       Ausländerbehörde einen „Anfangsverdacht“. Es folgte eine Hausdurchsuchung.
       Heute sagt das Gericht: „Anhaltspunkte“, die den Verdacht einer Scheinehe
       rechtfertigen würden, seien hier „nicht erkennbar“ – auch wenn die Ehefrau
       noch eine Zweitwohnung in einer anderen Stadt und dort auch ein Auto
       angemeldet hat.
       
       Die Entscheidung im Eilverfahren lasse „kaum eine Frage offen“, wie das
       Urteil in der Hauptsache ausgehen werde, so Anwalt Jan Sürig, der noch
       weitere MandantInnen vertritt, die diesem Fragebogen ausgesetzt wurden. Es
       sei „nicht nachvollziehbar“, warum die Ausländerbehörde an dem „offenkundig
       völlig überzogenen Fragebogen“ auch vor Gericht weiter festgehalten habe.
       Zumal die Aufenthaltserlaubnis für den klagenden Ehemann längst erteilt
       ist.
       
       Lediglich die Antworten auf jene elf Fragen, die auch die
       Landesdatenschützerin beanstandet hatte, mochte die Ausländerbehörde
       schwärzen. Aber nur ein bisschen: „Schon bei einem einfachen Betrachten der
       Fragebögen“ scheinen die Antworten hindurch, schreiben die RichterInnen in
       ihrem Urteil: „Der Leser ist so ohne Weiteres in der Lage, die
       Informationen wiederzuerlangen“.
       
       Jörg Wegner, Anwalt und Vorsitzender des Verbandes binationaler Familien
       und Partnerschaften (IAF), sieht in der einstweiligen Anordnung einen
       „ausdrücklichen Gewinn für unsere Rechtskultur“. Von etwa 2.500 bis 3.000
       Ehen, die pro Jahr in Bremen geschlossen werden, ist etwa jede fünfte
       binational. Bei binationalen Paaren werde in Bremen „fast grundsätzlich“
       eine Scheinehe vermutet, so Wegner. Konkrete Zahlen zu Scheinehen in Bremen
       konnte zumindest im vergangenen Jahr auch der rot-grüne Senat auf Anfrage
       der Grünen nicht nennen.
       
       Der weitere Einsatz der Fragebögen ist unklar: Die Innenbehörde will „die
       Entscheidung des Gerichts prüfen und dann über die Konsequenzen
       entscheiden“.
       
       30 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Zier
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA