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       # taz.de -- Schünemanns Salafismus-Katalog: Wer nicht isst, ist Salafist
       
       > Gewichtsverlust, Sprachkurse und das Bestehen auf Privatsphäre sind laut
       > Niedersachsens Innenminister Indizien dafür, dass Muslime zu radikalen
       > Salafisten werden.
       
   IMG Bild: Auch ein Anzeichen für salafistische Neigungen? Schünemanns Liste der Radikalisierungsmerkmale ist „nicht abschließend“.
       
       BREMEN taz | Hat Ihr muslimischer Mitarbeiter in letzter Zeit Gewicht
       verloren, oder einen anderen Kleidungsstil? Ist er sportlicher geworden?
       Hat sich sein Speiseplan verändert, lernt er Arabisch oder beschäftigt er
       sich womöglich neuerdings mit dem Tod? Ist er plötzlich zu Geld gekommen –
       oder hat er sich verschuldet?
       
       Diese Fragen sollen laut Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU)
       Hinweise darauf geben können, ob Muslime zu einer terroristischen
       Kampfausbildung neigen. Arbeitgeber können künftig über ihre muslimischen
       Mitarbeiter Buch führen – anhand einer Liste von etwa 30 sogenannten
       „Radikalisierungsmerkmalen“, die in einer Mitte Juni vorgestellten
       [1][Broschüre] des niedersächsischen Verfassungsschutzes stehen.
       
       Das Heft unter dem Titel „Radikalisierungsprozesse im Bereich des
       islamistischen Extremismus und Terrorismus“ soll unter anderem Arbeitgeber
       in die Lage versetzen, eine Radikalisierung bei muslimischen
       Betriebsangehörigen frühzeitig zu erkennen, um anschließend die Behörden zu
       alarmieren.
       
       Auch öffentliche Einrichtungen wie Jugendämter, Schulen und
       Ausländerbehörden werden dazu aufgefordert, „in gebotenen Einzelfällen
       konkrete fallbezogene Informationen über die betroffene Person zwischen den
       Kooperationspartnern und den Sicherheitsbehörden auszutauschen“.
       
       Muslime, die ohnehin schon fünfmal täglich beten, fasten, oder Moscheen
       besuchen, machen sich laut der Broschüre durch „zunehmend strengere
       Religionsauslegung“ suspekt. Höchst verdächtig sind auch Muslime, die sich
       bemühen, „besondere Umstände der Lebensführung oder Freizeitgestaltung zu
       verheimlichen“ – also Wert auf ihre Privatsphäre legen.
       
       „Das verstößt gegen die Persönlichkeitsrechte jedes Einzelnen!“, sagte der
       Berliner Ver.di-Gewerkschaftssekretär Christian Goetz der taz. „Jeder
       Bürger hat den Anspruch und das Recht auf Privatsphäre und die Entfaltung
       der Persönlichkeit.“ Mit der Broschüre unterwandere das Innenministerium
       Grundrechte. „Wenn dann da Menschen sind, die diese Dinge als Aufforderung
       verstehen, werden Anzeigen vermehrt vorkommen.“
       
       Rainer Hämmer, stellvertretender Landesdatenschutzbeauftragter von
       Niedersachsen, sieht in dieser Broschüre nicht in erster Linie ein
       datenschutzrechtliches Problem. „Die Aufforderung an die Mitbürger,
       bestimmte Personengruppen zu beobachten und gegebenenfalls zu melden, wird
       zunehmend zu einem gesellschaftspolitischen Problem“, sagt er. In
       datenschutzrechtlicher Verantwortung stehe jeder, der etwas meldet, wobei
       vor allem Arbeitgeber sich zuvor im Bundesdatenschutzgesetz informieren
       müssten.
       
       „Für Bedienstete der niedersächsischen Behörden, also Lehrer, sehe ich
       rechtlich keine Befugnis, Informationen über ihre Schüler weiterzuleiten.“
       Bei Privatpersonen seien Meldungen dann zulässig, wenn Gefahr für Leib und
       Leben bestehe. „Da es sich nach der Liste lediglich um Indizien von einem
       Laien handelt, ist die Weitergabe von Informationen hier nicht zulässig.“
       
       Empört reagierte gestern die stellvertretende innenpolitische Sprecherin
       der SPD-Landtagsfraktion, Sigrid Leuschner. „Dieser Ansatz trägt
       unverkennbar die Handschrift von Innenminister Schünemann, der praktisch
       seit seinem Amtsantritt vor neuneinhalb Jahren Vorbehalte, Vorurteile und
       Misstrauen gegenüber muslimischen Mitbürgern fördert und schürt.“
       
       „Die Liste fördert ein Klima der Angst“, sagte der Vorsitzende des
       niedersächsischen Moscheenverbands Schura, Avni Altiner. In der Broschüre
       heißt es vieldeutig, die Liste der Radikalisierungsmerkmale könne „jedoch
       nicht als abschließend oder als in ihrer Aussagekraft absolut angesehen
       werden“ – denn offenbar wird die Suche nach Terroristen dadurch erschwert,
       dass gewaltbereite Islamisten versuchten, ein „nach außen recht
       unauffälliges Leben zu führen“.
       
       28 Jun 2012
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.verfassungsschutz.niedersachsen.de/download/68956
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Yasmina Sayhi
       
       ## TAGS
       
   DIR Salafisten
       
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