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       # taz.de -- +++ Repressionen in der Türkei +++: Erdoğan hat „Republik der Angst“ geschaffen
       
       > Der inhaftierte Oppositionspolitiker Ekrem İmamoğlu (CHP) äußert sich aus
       > dem Gefängnis. Und spricht dabei auch das Ausland an.
       
   IMG Bild: Warum macht man ein Soli-Foto für İmamoğlu, wenn man zugleich Waffen an Erdoğan exportiert? Die SPD-Bundestagsfraktion
       
       Berlin taz | Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat nach Ansicht
       des inhaftierten und abgesetzten Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu
       die Türkei in eine „Republik der Angst“ verwandelt. „Jahrelang hat Erdoğans
       Regime die demokratischen Kontrollmechanismen ausgehebelt, indem es die
       Medien zum Schweigen brachte, gewählte Bürgermeister durch Bürokraten
       ersetzte, die Legislative ausschaltete, die Justiz kontrollierte und Wahlen
       manipulierte“, schrieb İmamoğlu in einem Gastbeitrag bei der „New York
       Times“.
       
       Der 53-Jährige wird zurzeit im bekannten Marmara-Gefängnis in Silivri nahe
       Istanbul festgehalten. Vergangene Woche wurde der beliebte
       Oppositionspolitiker nach Korruptions- und Terrorvorwürfen festgenommen.
       Wegen ersterem wurde er später inhaftiert und als Istanbuler Bürgermeister
       abgesetzt.
       
       Seine Festnahme löste eine Protestwelle mit Zehntausenden Menschen im
       gesamten Land aus. Die Polizei ging teils brutal gegen Demonstrierende vor.
       Laut dem türkischen Innenministerium wurden seit Beginn der Proteste fast
       1.900 Menschen vorübergehend festgenommen, unter ihnen mehrere
       Journalisten.
       
       „Die massenhaften Verhaftungen von Demonstranten und Journalisten in den
       letzten Monaten haben eine abschreckende Botschaft vermittelt: Niemand ist
       sicher“, schrieb İmamoğlu. „Unter Erdoğan hat sich die Republik in eine
       Republik der Angst verwandelt.“ Doch die Menschen in der Türkei reagierten
       mit Widerstand. „Das Zeitalter der unkontrollierten Machthaber verlangt,
       dass diejenigen, die an die Demokratie glauben, genauso lautstark,
       energisch und unnachgiebig sind wie ihre Gegner“, so İmamoğlu.
       
       Der Oppositionspolitiker kritisierte dabei auch einen Mangel an Anteilnahme
       aus dem Ausland: „Aber die Zentralregierungen in aller Welt? Ihr Schweigen
       ist ohrenbetäubend.“ Washington äußere sich lediglich „besorgt über die
       jüngsten Verhaftungen und Proteste“ in der Türkei, so İmamoğlu. „Von
       wenigen Ausnahmen abgesehen, haben die europäischen Staats- und
       Regierungschefs nicht mit Nachdruck reagiert.“ (dpa)
       
       ## Anwalt von İmamoğlu festgenommen
       
       Der inhaftierte türkische Oppositionspolitiker Ekrem İmamoğlu hat die
       Festnahme seines Anwalts bekannt gegeben und dessen sofortige Freilassung
       gefordert. „Dieses Mal wurde mein Anwalt Mehmet Pehlivan aus erfundenen
       Gründen festgenommen“, schrieb der mittlerweile abgesetzte Istanbuler
       Bürgermeister am Freitag im Onlinedienst X.
       
       „Als wäre der Putschversuch gegen die Demokratie nicht schon genug, können
       sie es nicht tolerieren, dass sich die Opfer dieses Putsches verteidigen“,
       fügte İmamoğlu hinzu und forderte, dass Pehlivan „unverzüglich freigelassen
       wird“.
       
       [1][Aus der deutschen Zivilgesellschaft kritisierte der Republikanische
       Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) die Festnahme] aufs Schärfste als
       „neuen Höhepunkt der Verfolgung“. Vorsitzender Dr. Peer Stolle teilte mit:
       „So kann es nicht weitergehen, die deutsche Regierung muss jetzt handeln
       und endlich wirkungsvollen Druck auf das Erdoğan-Regime ausüben, damit die
       Repressionen eingestellt werden und die freie Advokatur sowie die
       Demokratie-Bewegung wieder Luft zum Atmen haben.“
       
       İmamoğlu ist der aussichtsreichste Rivale von Präsident Recep Tayyip
       Erdoğan und befindet sich im Gefängnis. Seine Festnahme vor mehr als einer
       Woche löste in der Türkei die größten Demonstrationen seit den
       Gezi-Protesten im Jahr 2013 aus. Am Sonntag wurde ein Haftbefehl gegen ihn
       erlassen. Seine Partei, die CHP, sprach von einem „Putsch“, mit dem der
       [2][Erdoğan-Rivale kaltgestellt werden solle]. Der Staatschef seinerseits
       bezeichnete die Proteste wiederholt als „Straßenterror“.
       
       Bereits vor einigen Tagen waren der Präsident der Istanbuler
       Rechtsanwaltskammer, Prof. Dr. Ibrahim Kaboğlu, und seine
       Vorstandsmitglieder abgesetzt worden, was der RAV zusammen mit der
       Vereinigung demokratischer Jurist:innen e.V. (VDJ), der
       Rechtsanwaltskammer Berlin und der Vereinigung der Berliner
       Strafverteidiger*innen verurteilt hatte.
       
       Die Regierung geht mit zunehmender Härte auch gegen Medien vor, die über
       die Proteste berichten. Am Freitag wurden der Journalistengewerkschaft TGS
       zufolge im Morgengrauen zwei Journalistinnen festgenommen. Anfang der Woche
       waren bereits elf Journalisten festgenommen worden, darunter der
       AFP-Fotograf Yasin Akgül. Sie wurden inzwischen wieder freigelassen.
       (taz/afp)
       
       ## Vor Groß-Demo am Samstag: Menschenrechtler prangern bisherige
       Polizeigewalt an
       
       Kurz vor einer geplanten Groß-Demo in der türkischen Millionenmetropole
       Istanbul haben Menschenrechtsorganisationen die Regierung von Präsident
       Recep Tayyip Erdoğan aufgefordert, die Angriffe auf friedliche
       Demonstranten zu stoppen. In der gemeinsamen Erklärung von Human Rights
       Watch, Amnesty International und 13 weiteren Organisationen hieß es, man
       sei alarmiert „über die jüngste Eskalation des staatlichen Vorgehens gegen
       die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nach der Verhaftung des Istanbuler
       Bürgermeisters Ekrem İmamoglu“. Die Proteste werden einer Umfrage zufolge
       von einer Mehrheit der Türken unterstützt.
       
       Die Polizei geht hart gegen Protestierende vor, manchmal brutal. Der für
       die größte Oppositionspartei [3][aktive Politiker und Jurist Sezgin
       Tanrıkulu] warf den Einsatzkräften auch sexuelle Gewalt vor. Genaue Zahlen
       zu verletzten Demonstranten werden nicht veröffentlicht, die Polizei
       spricht bloß von mehr als 100 verletzten Beamten. (dpa)
       
       ## Rubio besorgt über Stabilität in der Türkei
       
       US-Außenminister Marco Rubio hat sich besorgt über die Stabilität in der
       Türkei geäußert. „Wir beobachten das Geschehen. Wir haben unsere Besorgnis
       zum Ausdruck gebracht“, sagte Rubio am Donnerstag vor Journalisten auf dem
       Flug von Suriname nach Miami. Washington sehe „eine solche Instabilität in
       der Regierung eines Landes, das ein so enger Verbündeter ist, nicht gerne“.
       
       Das Nato-Land Türkei ist ein wichtiger Partner der USA und der EU. Ankara
       wird etwa als Vermittler im Ukraine-Krieg wie auch zur Stabilisierung im
       Bürgerkriegsland Syrien gebraucht. (afp)
       
       ## Özdemir: Damit hat Erdoğan nicht gerechnet
       
       Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat nach den Worten des
       Grünen-Politikers Cem Özdemir nicht damit gerechnet, dass die Verhaftung
       des beliebten İmamoğlu eine derart heftige Reaktion in der Bevölkerung
       auslösen würde. „Das Ausmaß der Proteste hat das Regime vermutlich
       überrascht, weil Erdoğan in der Vergangenheit mit seinen Manövern
       durchgekommen ist“, sagte Özdemir im Interview mit der Nachrichtenagentur
       AFP.
       
       Dabei sei es keineswegs das erste Mal, dass der türkische Präsident radikal
       gegen Widersacher vorgeht, sagte der Grünen-Politiker. Mit Selahattin
       Demirtaş, dem damaligen Vorsitzenden der pro-kurdischen Partei HDP (heute
       DEM), habe Erdogan „schon einmal einen Konkurrenten quasi aus dem Weg
       geräumt“.
       
       Demirtaş sitzt demnach bereits seit 2016 „ohne nachvollziehbaren Grund“ im
       Gefängnis. „Mich ärgert, dass darüber kaum jemand spricht“, fügte der
       Politiker mit türkischen Wurzeln hinzu, der derzeit Bundesminister für
       Ernährung und Landwirtschaft sowie für Bildung und Forschung ist. (afp)
       
       ## BBC-Journalist aus Türkei abgeschoben
       
       Ein Journalist des britischen Senders BBC ist festgenommen und aus der
       Türkei abgeschoben worden. Er hatte sich nach Angaben des Senders mehrere
       Tage in der Türkei aufgehalten, um über die anhaltenden Proteste zu
       berichten, die durch die Verhaftung und Absetzung des Istanbuler
       Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu in der vergangenen Woche ausgelöst worden
       waren.
       
       Die BBC erklärte: „Heute Morgen haben die türkischen Behörden den
       BBC-Korrespondenten Mark Lowen aus Istanbul abgeschoben, nachdem sie ihn am
       Vortag aus seinem Hotel geholt und 17 Stunden lang festgehalten hatten.“ Am
       Donnerstagmorgen wurde ihm demnach eine schriftliche Mitteilung vorgelegt,
       dass er wegen „Gefährdung der öffentlichen Ordnung“ abgeschoben wird.
       
       Das türkische Kommunikationsdirektorat sagte, er sei nicht im Besitz einer
       gültigen Presseakkreditierung gewesen. Seine Abschiebung in Verbindung mit
       Berichten über Proteste und Journalismus zu bringen, sei „Desinformation“,
       schrieb die direkt Präsident Erdoğan unterstellte Behörde.
       
       Mark Lowen sagte laut BBC: „Die Festnahme und Abschiebung aus dem Land, in
       dem ich zuvor fünf Jahre lang gelebt habe und das ich sehr schätze, war
       äußerst schmerzhaft. Pressefreiheit und unparteiische Berichterstattung
       sind für jede Demokratie von grundlegender Bedeutung.“
       
       Gegen den türkischen Sender Sözcü Tv wurde eine Sendesperre für zehn Tage
       verhängt, wie die Nachrichtenagentur Anandolu berichtete. Die türkische
       Medienaufsicht RTÜK verhängte demnach außerdem gegen insgesamt vier Sender
       Geldstrafen und teilweise Programmaussetzungen.
       
       Mehrere Journalisten waren im Zusammenhang mit den Protesten festgenommen
       und teilweise inhaftiert worden. Sieben wurden am Donnerstagmorgen in
       Istanbul aus der Untersuchungshaft entlassen, darunter ein Fotojournalist
       der französischen Nachrichtenagentur AFP.
       
       Die Organisation Reporter ohne Grenzen verurteilte die Verhaftung der
       Reporter. „Es gibt kein Ende der Verhaftungen von Journalisten“, sagte ihr
       Vertreter in der Türkei, Erol Önderoğlu. Die türkische
       Journalistengewerkschaft forderte ein Ende „dieser ungesetzlichen
       Verhaftungen“. Nachrichtenmedien müssten ihrer Arbeit nachgehen können.
       
       [4][Die Pressefreiheit steht in der Türkei bereits seit Jahren unter
       Beschuss.] (dpa)
       
       28 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/rav-verurteilt-festnahme-von-imamoglu-anwalt-1120
   DIR [2] /Autoritaere-Wende-in-der-Tuerkei/!6075023
   DIR [3] /Politologe-ueber-Proteste-in-der-Tuerkei/!6078668
   DIR [4] /Redaktionsbesuche-in-Istanbul/!5987649
       
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