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       # taz.de -- 11.000 Seiten Offenheit
       
       > ■ Eine verquere Thea Sternheim-Lesung im Literaturhaus
       
       Es ist schon schade, wenn eine Einführung in eine Lesung so dermaßen
       daneben geht. Die Verlegerin von Thea Sternheims Erinnerungen, Traute
       Hensch, polemisierte vor der Lesung der Texte im Literaturhaus wie in einem
       schlechten Uniseminar. Hektisch und mit schriller Stimme las sie Stellen
       aus dem im feministischen Jargon gehaltenen Nachwort vor.
       
       Dann empörte sie sich über zwei Buchrezensionen und deren angeblich
       abfällige Haltung zum Feminismus. Wer aber die Rezensionen aus der Neuen
       Züricher Zeitung und aus der Süddeutschen nicht gelesen hatte, fragte sich:
       also, wer ist Thea Sternheim?
       
       Was frau aus Henschs Einführung erfuhr, waren einige unstrukturiert
       vermittelte Daten. Zum Beispiel, daß das Buch auf der Bestsellerliste des
       Südwestfunks als Buch des Monats Februar 1996 in der Rubrik „Mittelschwere
       Lektüre“ rangierte und ein umfangreiches Namensregister enthält. Oder, daß
       Thea viele Männer gekannt hatte, aber Klaus Theweleit in seinem Buch der
       Könige sie mit keiner Zeile berücksichtigte, obwohl sie doch 30 Jahre mit
       Gottfried Benn befreundet war. Traute Hensch schien ein persönliches
       Bedürfnis danach gehabt zu haben, einmal richtig Fraktur zu reden.
       
       Nach so einem anstrengenden und schwer nachvollziehbaren Metadiskurs war es
       eine Wohltat für die Ohren, die sanftere Stimme Jutta Heinrichs zu hören,
       die Auszüge aus Sternheims Erinnerungen fein pointiert las. Thea Sternheim
       (1883-1971) sei keine Frau zum Identifizieren, sagte Hensch, aber ihre
       Offenheit gerade über Sex und Liebe zu schreiben, mache sie so interessant.
       Sie hat exzessiv Tagebuch geschrieben. Beinahe ihr ganzes Leben findet sich
       auf 11.000 Seiten sorgsam aufgeschrieben. Ihr Buch Erinnerungen ist ein
       Destillat dieser Eintragungen. Es ist eine Art Familienchronik und
       Kulturdokument zugleich. Zwischen 1936 und 1952 geschrieben, rekapituliert
       sie ihren Lebensweg bis zur Scheidung von Carl Sternheim, dem
       epressionistischen Dramatiker und Sexmaniac, der sie zunehmend
       tyrannisierte und geisteskrank ihr Leben vergiftete.
       
       Britt-Kristin Feldmann 
       
       Thea Sternheim: Erinnerungen; Freiburg: Kore Verlag, 1995; 58 Mark
       
       26 Jun 1996
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Britt-Kristin Feldmann
       
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