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       # taz.de -- 60 Jahre ZDF: Auf krummen Wegen zum Lerchenberg
       
       > Am 1. April 1963 begann das ZDF. Es sollte eine konservative Alternative
       > zur ARD sein. Eine Sendergeschichte in Sendungen.
       
       Gratulation! [1][Das ZDF] feiert den 60. Jahrestag des Programmstarts am
       1. April 1963. Es könnte der letzte runde Geburtstag werden. Im Strudel der
       Debatten über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk droht der Untergang.
       
       Erfolgreich, stark und reich: Das ZDF ist seit Jahren [2][Marktführer der
       deutschen TV-Programme] – vor der ARD, aber auch vor den Kommerziellen, die
       nur stark sind, wenn sie mit Tunnelblick auf die angeblich werberelevante
       Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen starren. Das ZDF hat versierte
       Korrespondenten und qualifizierte Redaktionen. Das ZDF setzt 2,5 Milliarden
       um. Und doch: Das ZDF steckt in der Krise.
       
       ## „Bonanza“ (1967–1977)
       
       Der Titel der Westernserie um Ben Cartwright und seine drei Söhne könnte
       auch über den Gründungsjahren des ZDF stehen: „Bonanza“ heißt „Goldgrube“.
       Die Wirtschaftswunderjahre waren auch die Boomjahre des Fernsehens.
       [3][Hatten 1956 erst 4 Prozent der Westdeutschen Zugang zum Flimmerkasten,
       so waren es 1960 schon 25 Prozent] – und täglich wurden es mehr. [4][In der
       DDR sah die Entwicklung ähnlich aus].
       
       Telefunken, Grundig, Nordmende: Die Industrie produzierte die schweren
       Schwarz-Weiß-Glotzen en masse. Mit der Zahl der Geräte schossen auch die
       Gebühreneinnahmen in die Höhe. Parallel wuchsen seit 1956 die Einnahmen
       aus dem Verkauf von Werbezeit. Hinzu kam neue Sendetechnik, die es
       ermöglichte, neben der Senderkette des ersten Programms eine zunächst noch
       löchrige, aber doch weitreichende zweite Kette aufzubauen.
       
       ## „Wünsch Dir was“ (1969–1972)
       
       Kanzler Adenauer wollte dringend der aus seiner Sicht zu linken ARD ein
       Gegengewicht verpassen. Mithilfe von Banken, Verlagen, Bundesbürgschaft und
       einer Lizenz des Bundespostministeriums sollte die private
       „Deutschland-Fernsehen GmbH“ starten. Die Technik kam von der Post.
       Personal wurde an- und teilweise von der ARD abgeworben und ein eher
       dürftiger Studiokomplex im hessischen Eschborn errichtet. Dennoch: Aus der
       „Deutschland-Fernsehen GmbH“ wurde nichts.
       
       Mehrere SPD-geführte Bundesländer zogen vor das Bundesverfassungsgericht
       und machten geltend, dass das Grundgesetz die Kulturkompetenz bei den
       Ländern sieht, nicht beim Bund. Mochte Adenauer auch argumentieren, mit
       Kultur seien nur die Schulen gemeint und nur das Bundespostministerium
       habe die Hoheit, Sendelizenzen zu verteilen – in Karlruhe scheiterte der
       Kanzler auf ganzer Linie. Das Gericht stellte am 28. Februar 1961 fest,
       dass die Rundfunkhoheit tatsächlich bei den Ländern liegt. Bund und
       Bundespost müssten sich lediglich um die technische Verbreitung kümmern.
       
       Damit war das zweite Programm aber nicht erledigt. Denn auch das Volk
       wünschte sich mehr Auswahl. Und so kündigte die ARD umgehend an, sie werde
       ab dem 1. Juni 61 ein zweites Programm ausstrahlen – ausdrücklich als
       „Kontrastprogramm“ bezeichnet. Mit diesem Angebot aber waren CDU/CSU nicht
       einverstanden. Sie wollten unbedingt eine eigene Anstalt für das Zweite –
       und setzen sich durch: Die Länder schlossen einen Staatsvertrag über die
       Gründung des ZDF. Der Sendestart verzögerte sich aber dann vom 1. Juli 62
       auf den 1. April 63. Bis dahin wurde ein zweites Programm vom Ersten
       bestritten.
       
       Beim ORF organisiert die gleiche Stelle das erste Programm wie auch das
       zweite. Ebenso beim BBC, bei RAI, SRG und vielen anderen. In Deutschland
       aber entstand auf Druck der Union diese absurde und enorm teure
       Doppelstruktur. „Wünsch Dir was“ war später übrigens eine anregende,
       gelegentlich auch aufregende ZDF-Samstagabendshow.
       
       Aus dem kurzlebigen zweiten Programm der ARD wurden die Dritten der ARD –
       die immerhin zunächst mit klarem Profil sendeten: Regionales, Bildung,
       Kultur.
       
       ## „Die 2“ (1972 – und immer wieder)
       
       Anfang der 1970er Jahre klärten Danny Wilde (Tony Curtis) und Lord Brett
       Rupert George Robert Andrew Sinclair (Roger Moore) Verbrechen auf. Zum Kult
       wurden „Die 2“ nicht nur wegen Rainer Brandts Synchrontexten auf
       „Schnodderdeutsch“ („Sleep well in your Bettgestell!“), sondern vor allem
       wegen ihrer krassen Gegensätzlichkeit: der eine ein Geschäftsmann, der in
       einem Slum von New York aufgewachsen ist, der andere ein Aristokrat mit
       Oxfordattitüde.
       
       So unterschiedlich wie „Die 2“ waren ZDF und ARD nie. Die auch vom
       ZDF-Intendanten Karl Holzamer propagierte Idee vom „Kontrastprogramm“
       erschöpfte sich in einer Art Zeitverschiebung: Zeigte das Erste Sport,
       zeigte das Zweite Spielfilm, gab es hier Krimi, kam dort Herzschmerz, Doku
       hier, Quiz da. Und umgekehrt. Profil entstand so nicht. Nicht in den 60ern,
       nicht bis heute. Und damit auch keine Legitimation für eine eigene Anstalt.
       Das ZDF kann alles, was das Erste auch kann.
       
       Das ZDF war kaum konservativer als die ARD: Einem Gerhard Löwenthal mit
       seinem „ZDF-Magazin“ entsprach ein Günther von Lojewski bei „Report
       München“. Und so, wie Hans-Joachim Kulenkampff, Starmoderator vom Ersten,
       privat Wahlkampf für die SPD machte, so machte es auch Peter Frankenfeld,
       Starmoderator vom Zweiten.
       
       ## „Notizen aus der Provinz“ (1973–79)
       
       Dieter Hildebrandt hatte 1973 im ZDF sein TV-Kabarett begonnen, die
       „Notizen aus der Provinz“. Entlarvende Zitate aus der Politik, bissige
       Pointen – Ärger programmiert. Und tatsächlich: Nach 66 Folgen wurde die
       monatliche Sonntagabendheiterkeit abgeschaltet. Hildebrandt wechselte ins
       Erste.
       
       Da hatte das ZDF das provinzielle Eschborn, den oft als Tele-Sibirsk
       verspotteten Bauernhof mit seinen Studios, hinter sich gelassen.
       Übergangsweise war Wiesbaden Zentrum des ZDF, dann wurde ein Bürobau auf
       dem Mainzer Lerchenberg fertig, ein „125 Meter langer und 19 Meter breiter
       Quader mit 14 Stockwerken“, umgeben von Fernsehgarten und reichlich
       Ackerland. Dort legte Helmut Kohl, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz
       und Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrates, 1978 auch den Grundstein für das
       Sendebetriebszentrum.
       
       Trotz Hauptstadtstudio Unter den Linden und Studios in aller Welt: Das ZDF
       ist der Lerchenberg. Wegen der krummen Wege deutscher Rundfunkpolitik.
       Bevor 1998 der Südwestdeutsche Rundfunk entstand, gab es für
       Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zwei Sender: In der früher
       amerikanisch besetzten Zone den Süddeutschen Rundfunk mit Sitz in
       Stuttgart, in der früher französisch besetzten Zone den Südwestfunk mit
       Sitz in Baden-Baden. Rheinland-Pfalz blieb ohne Sendersitz und rief „hier“,
       als 1961 der Sitz für das ZDF zu entscheiden war. Frankfurt und Düsseldorf,
       zunächst ebenfalls im Rennen, unterlagen.
       
       ## „Die Anstalt“ (seit 2014)
       
       Die Programme des ZDF befriedigen vielleicht ein öffentliches Bedürfnis,
       aber die Anstalt ZDF tut es nicht. Sie ist überflüssig, seit ihrem Anfang.
       [5][Die ARD, unbestreitbar selbst reformbedüftig,] wäre allemal in der
       Lage, wie schon 1961 ein zweites Programm zu organisieren – und das
       deutlich billiger.
       
       Bei „Die Anstalt“ arbeiten Max Uthoff und Claus von Wagner bis zur Ermüdung
       mit Tafelbildern. In Sachen ZDF könnte darauf stehen: Budget 2,5
       Milliarden. [6][Beschäftigte der Leitungsebene („ Intendanz“) 250.
       Beschäftigte der Verwaltung 680].
       
       Andere Tafeln hingegen: france.tv 2,4 Mrd., sechs TV-Programme; [7][ORF 1
       Mrd., vier TV- und zwölf Radioprogramme]; [8][SRG 1,6 Mrd.], je zwei
       TV-Vollprogramme in drei Sprachen, zwei Infokanäle und viel Radio.
       
       ## „Wetten, dass..?“ (seit 1981)
       
       Wetten, dass Thomas Gottschalk eher seinen 80. live im Zweiten begeht, als
       dass sich die 16 Ministerpräsidenten auf eine Fusion der derzeit zwölf
       öffentlichen Rundfunkanstalten – neun Landesrundfunkanstalten, ZDF,
       Deutschlandfunk und Deutsche Welle – zum ÖRD, zum Öffentlichen Rundfunk in
       Deutschland verständigen?
       
       1 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /ZDF/!t5008841
   DIR [2] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/75044/umfrage/zuschauermarktanteile-der-tv-sender-monatszahlen/
   DIR [3] https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/medienpolitik/190492/verbreitung-der-fernsehnutzung/
   DIR [4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/249261/umfrage/ausstattung-der-ddr-haushalte-mit-ausgewaehlten-technischen-konsumguetern/
   DIR [5] /Oeffentlich-rechtlicher-Rundfunk/!5884228
   DIR [6] https://www.zdf.de/zdfunternehmen/zdf-mitarbeiter-und-standorte-zdf-studios-100.html
   DIR [7] https://der.orf.at/kundendienst/gebuehren/index.html#:~:text=Programmentgelt%20und%20Werbeertr%C3%A4ge%20bilden%20die,Korrespondentennetz%20und%20vielem%20mehr%20umsetzt
   DIR [8] https://www.srgssr.ch/de/wer-wir-sind/mittel
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Walther
       
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