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       # taz.de -- AKP-Ableger Dava: Auf medialer Mission
       
       > Wieder sorgt eine neue politische Gruppierung für Schrecken in
       > Deutschland: die Erdoğan-Fans ansprechende Partei Dava. Aber hat sie den
       > Hype verdient?
       
   IMG Bild: Überraschung: Nicht alle Deutschtürken sind Islamisten
       
       Die [1][Romane des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq]
       thematisieren den spezifischen Leidensdruck der (Post-)Moderne. Es geht um
       die schmerzhafte Leere, der der Einzelne in einer durchsäkularisierten,
       durchverwerteten und sinnlos-chaotischen Welt gegenübersteht. In seinen
       dystopischen Erzählungen spielt der Autor zudem mit der Angstlust, jener
       ambivalenten Gefühlslage, bei der ein Mensch Lust aus Angst empfindet.
       
       Dieses Motiv kommt besonders im umstrittenen [2][Roman „Unterwerfung“
       (2015)] zum Ausdruck, der im Jahr 2022 spielt: Ein charismatischer Islamist
       scheint die einzige Chance zu sein, um die Machtübernahme der
       Rechtsextremen zu verhindern, weshalb sich Linksliberale und Konservative
       mit ihm verbünden. Am Ende wird der Islamist Staatspräsident und
       transformiert die laizistische Ordnung in eine islamistische: Scharia,
       Theokratie, Polygamie.
       
       Neun Jahre nach Veröffentlichung dieses Werks scheint diese Dystopie in
       Deutschland zum Greifen nahe. Zumindest wenn es nach der Bild-Zeitung und
       Politiker:innen der Union, aber auch der Grünen geht, die in diesen
       Tagen wegen einer Parteigründung alarmiert sind. [3][Die neue Partei heißt
       Dava], der Name steht für „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“
       und sie will im Juni zur Europawahl antreten. Das Wort Dava kann als
       „Mission“ übersetzt werden. Nicht nur diese religiöse Aufladung des Namens,
       sondern auch die Personen, die hinter der Partei stehen, legen nahe, dass
       sie Verbindungen zur türkischen AKP pflegt.
       
       „Es geht ihr um mehr Macht in Deutschland: Jetzt kommt die Erdoğan-Partei“,
       schrieb die Bild und zitierte den Unions-Fraktionsvize Jens Spahn: „Erdoğan
       lacht sich angesichts der Ampel-Politik ins Fäustchen“. Als
       Spitzenpolitiker einer Partei, die seit Jahrzehnten die [4][Integration von
       Deutschtürken sabotiert], beschuldigte Spahn den türkischen Präsidenten,
       die Integration von Deutschtürken zu sabotieren. Mit der doppelten
       Staatsbürgerschaft erleichtere die Ampel ihm dieses Vorhaben, so Spahn.
       
       Dabei war das [5][restriktive Staatsangehörigkeitsrecht] ein Grund dafür,
       dass sich viele Menschen auch nach Jahrzehnten in Deutschland nicht
       zugehörig fühlen. Mitte Januar hatte der Bundestag eine [6][Modernisierung
       beschlossen], die auch eine doppelte Staatsbürgerschaft ermöglicht, die
       bisher vor allem Türkeistämmigen verwehrt blieb.
       
       ## Fetziger AfD-Vergleich
       
       Während aus der SPD angesichts der Parteigründung Aufrufe zur Gelassenheit
       kamen, äußerten sich Grüne wie Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und der
       Bundestagsabgeordnete Max Lucks ebenso besorgt: „Was hier entsteht, ist
       nichts anderes als eine türkische Version der AfD“, sagte Lucks den
       Funke-Zeitungen.
       
       Die türkische AfD! Das fetzt!
       
       Viele Medien von Springers Welt bis zu den Öffentlich-Rechtlichen und
       [7][auch die taz] haben diesen Vergleich in ihre Überschriften aufgenommen.
       Insgesamt nahm die Parteigründung in den letzten Tagen medial enorm viel
       Raum ein. Der erste Auftritt von Dava in der deutschen Öffentlichkeit war
       also trotz vieler kritischer Beiträge ein voller Erfolg. Denn auch
       schlechte Werbung ist Werbung.
       
       Dabei ist es gar nicht übertrieben, die Partei als Ableger der AKP, der
       Partei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, und damit als
       islamistisch, nationalistisch und antisemitisch einzuordnen. Die Partei,
       die sich als Anwalt von diskriminierten und sozial abgehängten
       Migrant:innen präsentiert, dementiert zwar, dass es Verbindungen zur
       türkischen Regierung gebe.
       
       ## Wenig bis keine Chancen
       
       Die Bezüge ihrer Kandidaten sind aber eindeutig: ein ehemaliger Leiter
       einer Hilfsorganisation, die vom Bundesinnenministerium verboten wurde,
       weil sie eine der Hamas nahestehende Organisation unterstützt haben soll;
       ein ehemals hochrangiger Funktionär des Moscheeverbands [8][Ditib], der der
       türkischen Religionsbehörde und somit der türkischen Regierung untersteht;
       und ein Spitzenkandidat, der jahrelang im Vorstand einer
       AKP-Lobbyorganisation in Deutschland und Europa saß.
       
       Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Dava wenig bis keine Chancen hat, ein
       relevanter Player in Deutschland oder Europa zu werden. Auch wenn sich die
       Zahl der gegenwärtig ungefähr 1,5 Millionen Deutschtürken mit deutschem
       Pass durch die doppelte Staatsbürgerschaft erweitern sollte, bliebe das
       Wählerpotential marginal. Denn die deutschtürkische Community ist politisch
       und kulturell viel heterogener, als es in das Weltbild vieler Medien und
       Politiker:innen passt. Nicht alle Deutschtürken sind Islamisten.
       
       Zudem sind ähnliche Parteiprojekte bei Landes-, Bundes- und Europawahlen
       bereits kläglich gescheitert. Das 2010 gegründete „Bündnis für Innovation
       und Gerechtigkeit“ (BIG) erlangte zwar in NRW und Hessen wenige kommunale
       Mandate. Bei der Landtagswahl in NRW 2021 kam es aber nicht über 0,1
       Prozent und bei der Europawahl 2019 nicht über 0,2 Prozent hinaus. Die
       Partei [9][Allianz Deutscher Demokraten (ADD)], die sogar mit
       Erdoğan-Plakaten für sich warb, erreichte bei der Bundestagswahl 2017 nur
       0,1 Prozent. Bei der Europawahl gibt es zwar keine Sperrklausel, aber um
       ein Mandat zu erhalten, reicht das nicht.
       
       ## Rechtsextreme und Islamisten
       
       In einem Punkt ist der Vergleich mit der AfD schließlich trotz allem
       plausibel: Die medial-politische Hysterie um Dava erinnert an jene um die
       AfD, lange bevor diese bei ihren heutigen Umfragewerten stand. Die AfD
       wurde auch politisch relevant, weil sie medial relevant gemacht wurde.
       
       Statt sich in Verbalradikalismus und Schattenboxen zu üben, sollten
       deutsche Amtsträger:innen deshalb gegen extremistische Einflussnahme
       dort vorgehen, wo es möglich ist und auch Wirkung hätte. Deutsche
       Politiker:innen haben Aktivitäten des Moscheeverbandes Ditib oder von
       Vereinen der rechtsextremen Grauen Wölfe viel zu lange toleriert oder
       [10][gar gefördert, weil das ihnen politisch opportun] erschien. Es braucht
       schließlich nicht unbedingt eine Partei, um islamistische Ideologie zu
       verbreiten und islamistische Politik zu machen.
       
       In Houellebecqs Roman wenden sich manche Rechtsextreme nach der
       islamistischen Machtübernahme dem neuen Regime zu. Sie finden Gefallen an
       der neuen Ordnung. Ein rechter Professor stellt fest, wie nahe sich die
       Vorstellungen der Islamisten und Rechtsextremisten eigentlich sind.
       
       Und anders als ihre politischen Konkurrenten hält sich die AfD bisher
       auffällig zurück, was die Kommentierung der neuen Partei Dava angeht.
       
       3 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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