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       # taz.de -- Abstimmung über Polizeigesetz in Bayern: CSU setzt ihren Willen durch
       
       > Schon lange wurde im bayerischen Landtag nicht mehr so leidenschaftlich
       > gestritten. Verabschiedet wurde das umstrittene Gesetz trotzdem.
       
   IMG Bild: Was empfinden Sie beim Anblick dieses Bildes? Sicherheit? Freiheit?
       
       München taz | Es sind sechs Jugendliche auf den Zuschauerrängen, die beim
       Vizepräsidenten des bayerischen Landtags, Reinhold Bocklet, fast
       Schnappatmung auslösen. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die
       Freiheit klaut“, rufen die jungen Menschen immer wieder laut in den Saal –
       solange bis Bocklet, der gerade die 132. Plenarsitzung der
       Legislaturperiode leitet, wieder einigermaßen die Fassung gefunden hat und
       den Saaldienern zuruft: „Ich bitte, sie sofort des Saals zu verweisen.“
       
       Es ist richtig was los hier im Landtag an diesem Dienstag. Auch ohne den
       Auftritt auf der Empore kochen die Emotionen so hoch wie schon lange nicht
       mehr. Und das schon zu Beginn der Sitzung, als es erstmal nur um
       Geschäftsordnungsanträge zum an diesem Tag zu verabschiedenden
       Polizeiaufgabengesetz (PAG) geht: Die Opposition fordert, die
       Verabschiedung des höchstumstrittenen Gesetzes von der Tagesordnung zu
       nehmen. „Man kann doch nicht erst ein Gesetz beschließen und hinterher
       einen Dialog darüber führen“, schimpft etwa Katharina Schulze. Die
       Fraktionschefin der Grünen bezeichnet die Ankündigung von Ministerpräsident
       Markus Söder, eine breite Informationsoffensive zu den neuen Regelungen zu
       starten und deren Umsetzung durch eine Kommission kritisch begleiten zu
       lassen, als „Beruhigungspille“. Das Gesetz soll bereits am 25. Mai in Kraft
       treten, damit es mit den neuen europäischen Datenschutzregelungen konform
       ist.
       
       Nachdem der CSU-Abgeordnete Tobias Reiß angesichts des ungeplanten
       Intermezzos auf der Empore mehr „Respekt vor den parlamentarischen
       Gepflogenheiten“ gefordert hat, platzt schließlich SPD-Chefin Natascha
       Kohnen der Kragen. „Wissen Sie, was Respekt ist“, herrscht sie Reiß an. Sie
       müsse nicht so schreien, bekommt sie von Regierungsfraktion zu hören. „Ich
       schreie so viel, wie ich will“, ruft sie. Dann erinnert Kohnen an die
       Anti-PAG-Demonstranten, die von Innenminister Joachim Herrmann als
       „unbedarft“ verunglimpft worden seien. „Pfui!“, lässt sich ein spontaner
       Chor sozialdemokratischer Abgeordneter vernehmen. Bocklet dreht nervös die
       Daumen. Kohnen erinnert auch an den Herrmann’schen Vorwurf der
       „Lügenpropaganda“, fordert eine Entschuldigung des Ministers und wirft der
       CSU vor, sie gehe „mit der Axt an die Grundwerte unserer Demokratie“. Es
       ist eine leidenschaftliche Wutrede. Am Ende resümiert die Politikerin: „Das
       ist unanständig, das sage ich Ihnen.“
       
       Protest ist die CSU gewohnt, auch dass sie ihn dank ihrer absoluten
       Mehrheit im Landtag geflissentlich ignorieren kann. Aber ein solcher Sturm
       des Protests, wie ihn das PAG ausgelöst hat, ist selbst für die bayerische
       Regierungspartei eine Seltenheit. Noch während am Dienstagnachmittag der
       Landtag zusammentritt, versammeln sich in Sichtweite, am Maxmonument ein
       paar hundert Schüler, um gegen das Gesetz zu demonstrieren. Mal wieder.
       Schon Tage zuvor, an Christi Himmelfahrt, sind in München [1][rund 40.000
       Menschen auf die Straße gegangen]. Es folgten Demos in Bamberg, Murnau,
       Ingolstadt, Bayreuth …
       
       ## Polizist bedroht Abgeordneten
       
       Einer der Organisatoren der Münchner Demo, der SPD-Abgeordnete Florian
       Ritter bekam im Anschluss sogar Post von der Polizei, wie die Münchner
       Abendzeitung berichtet. Genau genommen eine private Nachricht von einem
       fränkischen Beamten im höheren Polizeidienst, der schrieb, er würde ihm
       „auch mal eine in die F.....e hauen wollen“. Und: „Solche Leute wie Sie
       gehören weg.“ Die Nerven liegen blank.
       
       Die Kritik an dem Gesetz entzündet sich vor allem daran, dass die
       Befugnisse der Polizei extrem ausgeweitet werden soll. Künftig genügt für
       Maßnahmen wie Online-Durchsuchungen und DNA-Untersuchungen die Annahme
       einer „drohenden Gefahr“, ein Begriff der ursprünglich lediglich im
       Zusammenhang mit der Terrorbekämpfung Eingang in die Rechtsprechung
       gefunden hat.
       
       Mit dem Gesetz, so die breite Front der Kritiker, habe Bayern bald das
       schärfste Polizeirecht der deutschen Nachkriegsgeschichte. So habe künftig
       jeder bayerische Polizist mehr Befugnisse bei der Gefahrenabwehr als das
       Bundeskriminalamt im Kampf gegen den Terror, monierte etwa der Münchner
       Richter Markus Löffel bei einer Anhörung im Landtag. Und der bayerische
       Datenschutzbeauftragte Thomas Petri bemängelte, dass die Polizei das
       genetische Programm von Menschen auswerten dürfe. Das Innenministerium will
       mit Hilfe von DNA-Spuren künftig Geschlecht, Augen-, Haut- und Haarfarbe,
       Alter und Herkunft von möglichen Verdächtigen ermitteln. Damit könne „der
       Kreis der potenziellen Gefährder eingegrenzt werden“, argumentiert das
       Innenministerium.
       
       Als es am Abend zur eigentlichen Debatte kommt, wirft CSU-Fraktionschef
       Thomas Kreuzer SPD und Grünen vor, sie wollten die Stimmung hochpeitschen
       und eine Sachdebatte verhindern. Freiheit brauche Sicherheit, und das neue
       Gesetz wahre die Freiheitsrechte des einzelnen. Es sei rechtsstaatlich in
       Ordnung. Innenminister Joachim Herrmann konzentrierte sich in erster Linie
       darauf, der Opposition vorzuwerfen, sie habe sich nicht von manchen
       Partnern im Anti-PAG-Bündnis distanziert, die groben Unfug verbreiteten.
       
       ## Opposition setzt auf Verfassungsklage
       
       Kohnen sprach noch einmal von einem „Überwachungsgesetz, das ohne Respekt
       vor dem Menschen einfach durchgepeitscht wird“, Schulze vom
       „Überwachungswahn der CSU“. „Ihr Gesetz“, so die SPD-Politikerin, „verletzt
       nicht nur Menschenrechte, sondern es hilft auch der Polizei nicht.“
       
       Auf Antrag der SPD gibt es noch eine dritte Lesung des Gesetzes, die CSU
       setzt durch, dass diese noch am selben Abend stattfindet. Am Ende wird das
       PAG verabschiedet – mit 89 zu 67 Stimmen.
       
       Für Ministerpräsident Söder kommt der Ärger um das Gesetz derzeit recht
       ungelegen. Einerseits ist es noch vor seiner Amtsübernahme auf den Weg
       gebracht worden, worauf dezent hinzuweisen er nicht unterlässt.
       Andererseits will er sich ein nennenswertes Einlenken – anders als beim
       neulich beschlossenen Psychiatriegesetz – mit Blick auf die konservative
       Klientel der CSU nicht erlauben.
       
       In der Parlamentsdebatte lässt Söder die anderen reden. Am Morgen zuvor
       hatte er das Gesetz bei einer Pressekonferenz noch einmal verteidigt: „Es
       wird Leben retten, es wird Menschen helfen, nicht zu Opfern zu werden“. Das
       PAG werde auch nicht die Grundsätze des Rechtsstaats verletzen, da die
       zusätzlichen Befugnisse der Polizei einer richterlichen Überprüfung
       unterlägen. Das sehen SPD und Grüne freilich anders. Sie haben bereits
       Klagen gegen das Gesetz angekündigt. „Das Gericht“, so Schulze, „wird die
       Lanze für den Rechtsstaat schon brechen.“
       
       16 May 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Dominik Baur
       
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