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       # taz.de -- Änderung beim Selbstbestimmungsgesetz: Gefahr eines „Sonderregisters“ für Queere
       
       > Die unlautere Geschlechtsänderung eines Neonazis wird zur Vorlage für
       > Änderungen der Erfassung in Behörden. Eine Grünenpolitikerin beklagt
       > Diskriminierung.
       
   IMG Bild: Während Nazis Nazi-Dinge machen, leiden die wirklich Betroffenen des Selbstbestimmungsgesetzes unter der Debatte
       
       Berlin taz | Die Bundesregierung steht hinter den Plänen von Innenminister
       Alexander Dobrindt (CSU), mehr Daten über Personen zu erfassen, die das
       Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch nehmen. Das geht aus der Antwort der
       Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen-Fraktion hervor.
       
       Laut einem Referentenentwurf will das Bundesinnenministerium (BMI)
       verordnen, beim Standesamt angepasste Namens- und Geschlechtseinträge mit
       drei neuen Vermerken zu kennzeichnen. Sie sollen festhalten, unter welchem
       Geschlecht die Person zuvor bei den Behörden geführt war sowie wann und wo
       die Anpassung des Geschlechtseintrages stattgefunden hat. Diese Daten
       sollen an andere Behörden weitergegeben werden. Zudem sollen sie dem
       Meldeamt etwa bei einem Umzug angezeigt werden. Verbände und Betroffene
       warnen vor der Gefahr eines „Sonderregisters“ queerer Menschen, [1][sowie
       eines Zwangsoutings vor Behörden (die taz berichtete)].
       
       Diese Kritik teilt auch die Abgeordnete und queerpolitische Sprecherin der
       Grünen, Nyke Slawik; sie ist Initiatorin der Anfrage. „Anstatt Schutz vor
       Gewalt und Diskriminierung zu bieten, ermöglicht Bundesinnenminister
       Dobrindt mit der Weitergabe höchst sensibler Daten ungewollte Outings beim
       Kontakt mit Behörden“, sagt Slawik. Das sei vor dem Hintergrund der
       steigenden [2][Anzahl an Übergriffen gegen trans-, intergeschlechtliche und
       nicht-binäre Menschen] „politisch absolut verantwortungslos“.
       
       Seitens der Bundesregierung heißt es, das Erfassen des früheren Namens sei
       notwendig, um „Datensätze zweifelsfrei und dauerhaft der richtigen Person
       zuzuordnen“. Wie bei einer Änderung des Nachnamens würden alte Daten
       gespeichert, ohne nach dem Rechtsgrund für die Änderung zu unterscheiden.
       Rückwirkend gelten die Änderungen nicht. Es soll der betroffenen Person ab
       Inkrafttreten der Verordnung aber auch nicht möglich sein, der Verarbeitung
       der Daten zu widersprechen.
       
       ## Keine schützende Melderegistersperre mehr
       
       Als Reaktion auf die von Verbänden geäußerte Warnung vor Diskriminierung
       schreibt die Regierung: Eine „isolierte Suchanfrage nach dem früheren
       Geschlechtseintrag“ sei beim Amt „ausgeschlossen“. Der zusätzliche Vermerk,
       dass eine Änderung des Namens vorgenommen wurde, wird allerdings bei jedem
       Behördenkontakt sichtbar sein.
       
       Das Selbstbestimmungsgesetz in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG)
       wurde von der Ampel-Regierung im vergangenen Jahr eingeführt, um die
       Diskriminierung von trans-, intergeschlechtlichen und nonbinären Personen
       zu reduzieren. Sie müssen kein psychiatrisches Gutachten mehr vorlegen, wie
       es laut dem bis dahin gültigen „Transsexuellengesetz“ der Fall war.
       Allerdings galt darunter auch eine Melderegistersperre „zugunsten eines
       sehr strengen Schutzes“ der Betroffenen. Nur, wenn „besondere Gründe des
       öffentlichen Interesses“ – also sicherheitsbedingt – vorlagen, konnten die
       alten Daten eingesehen werden. Dieser Schutz soll nun wegfallen. Er lasse
       sich nach „jetzt geltender Rechtslage nicht aufrechterhalten“, so die
       Regierung.
       
       Die Union war von Anfang an Gegnerin des Selbstbestimmungsgesetzes, noch im
       Wahlprogramm hatte die Fraktion angekündigt, es wieder abschaffen zu
       wollen. Die Argumentation klang da noch anders: Man wolle einen
       „leichtfertigen Geschlechtswechsel“ etwa bei Jugendlichen verhindern. Die
       Forderung sei transfeindlich, hieß es damals aus Verbänden. Mit dem
       Koalitionspartner SPD wurde dann der Kompromiss vereinbart, das Gesetz bis
       2026 zu evaluieren.
       
       ## Neonazi Liebich war ohne Register identifizierbar
       
       Hört man auf jüngste Aussagen von Innenminister Dobrindt, zielt sein
       aktueller Vorstoß gegen das SBGG nun darauf ab, das Gesetz vor Missbrauch
       schützen zu wollen. Am vergangenen Wochenende sagte Dobrindt gegenüber dem
       Stern, er wolle „Regeln gegen den Missbrauch des Geschlechterwechsels“
       verankern. [3][Die Wortwahl hat sich gegenüber dem Wahlprogramm kaum
       geändert.]
       
       Futter für Dobrindts neuen Vorstoß liefert der bisher einzig bekannte Fall
       offensichtlichen Missbrauchs des SBGG durch die verurteilte
       Rechtsextremistin Marla-Svenja Liebich. Für Volksverhetzung, üble Nachrede
       und Beleidigung verurteilt, soll Liebich die Freiheitsstrafe nun in einem
       Frauengefängnis absitzen. Dabei hat sich Liebich noch bis zuletzt explizit
       queerfeindlich geäußert. Dass Liebich mit der Namensänderung provozieren
       wollte, gilt als unstrittig.
       
       Grünen-Abgeordnete Slawik sieht keinen Grund, die Regelung wegen eines
       einzelnen Missbrauchs zu ändern: „Liebich hat nach November 2024 das
       Selbstbestimmungsgesetz für sich genutzt. Die Sicherheitsbehörden und die
       Justiz hatten aber offenkundig zu keinem Zeitpunkt Probleme, die
       betreffende Person zu identifizieren oder ausfindig machen zu können“, sagt
       sie. Die Grundrechte queerer Menschen nun pauschal zu beschneiden, wäre
       „populistisch und entsetzlich zugleich.“
       
       26 Aug 2025
       
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       ## AUTOREN
       
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