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       # taz.de -- Ärzte-Protest am Maßregelvollzug: Es brodelt hinter den hohen Mauern
       
       > Das System ist kaputt und macht kaputt: Ärzt*innen und Pfleger*innen
       > haben in ihrer Mittagspause gegen die desaströsen Zustände im
       > Maßregelvollzug demonstriert.
       
   IMG Bild: Chefarzt mit Megafon: Sven Reiners spricht zur Belegschaft vor dem Krankenhaus des Maßregelvollzugs in Berlin-Reinickendorf
       
       Berlin taz | Am Ende ist es doch so voll geworden, dass Sven Reiners das
       Megafon braucht: Mit orangefarbenem Gewerkschaftskäppi auf dem Kopf steht
       der Arzt vor etwa 60 Menschen. Viele von ihnen tragen wie Reiners die
       knallige Kappe des Marburger Bunds und haben Plakate, Trillerpfeifen und
       Klatschfächer mitgebracht.
       
       Sie alle arbeiten im [1][Krankenhaus des Maßregelvollzugs] und protestieren
       vor dessen Backsteinmauern in ihrer Mittagspause gegen die katastrophalen
       Zustände in der Einrichtung für psychisch erkrankte und suchtkranke
       Straftäter*innen.
       
       „Wir setzen uns jeden Tag einer brenzligen Lage aus. Das kann so nicht
       weitergehen, wir brauchen sofort Unterstützung – heute!“, ruft Sven
       Reiners, der ärztliche Leiter, unter Beifall und gellenden Pfiffen. Er
       zeigt sich ernüchtert. Bereits mehrfach haben die Belegschaft und die
       Berliner Ärztekammer Brandbriefe an den Senat verfasst: „Bis heute haben
       wir keine Antwort bekommen – das ist enttäuschend!“
       
       ## Gewalt und Bedrohungen gehören zum Alltag
       
       Es brodelt seit Langem hinter den hohen Zäunen des Berliner
       Maßregelvollzugs. Eine immer weiter steigende Zahl an Patient*innen
       [2][wird von viel zu wenig Personal auf viel zu engem Raum betreut]. Gewalt
       und Bedrohungen sind für die Patient*innen und die Beschäftigten
       Alltag.
       
       Das System ist kaputt und macht kaputt – und zwar alle, die drin stecken.
       Erst vor Kurzem haben Patient*innen und ihre Angehörigen [3][auf einer
       Demonstration das Desaster in dem Krankenhaus angeprangert]. Nun
       protestiert die Belegschaft, die völlig am Ende ist, wie auch der permanent
       hohe Krankenstand zeigt. „Menschenunwürdig“ sei die Situation, heißt es von
       Ärzt*innen wie von Patient*innen.
       
       ## „Es droht der Kollaps“
       
       Als Arzt sei es frustrierend, die Patient*innen nicht angemessen
       behandeln zu können, beklagt Peter Bobbert, der Vorsitzende des Marburger
       Bunds in Berlin und Brandenburg. Auch er hält an diesem Mittwochmittag eine
       Megafon-Ansprache. „Wir treten mit einem Berufsethos an, und das können wir
       nicht erfüllen.“ Bobbert warnt vor dem „Kollaps eines ganzen Krankenhauses“
       und stellt klar, dass sich unter diesen Umständen kein neues Personal
       gewinnen lässt.
       
       Von der schwarz-roten Koalition und insbesondere von Gesundheitssenatorin
       Ina Czyborra (SPD) fordert der Gewerkschafter, sofort die Forensikpauschale
       für die Beschäftigten zu erhöhen – allein, um die jetzigen
       Mitarbeiter*innen zu halten. Außerdem verlangt Bobbert Klarheit
       darüber, wann und wo neue Betten geschaffen werden.
       
       ## Geld ist nicht alles
       
       Czyborra hat versprochen, dass noch in diesem Jahr 50 zusätzliche Plätze in
       einem ehemaligen Abschiebeknast in Lichtenrade in Betrieb gehen. Das klingt
       vielversprechend, aber die Belegschaft, die sich in ihrer Mittagspause rund
       um das Coffeebike der Gewerkschaft drängt, ist skeptisch.
       
       Die Außenstelle liege viel zu weit von den anderen Standorten in Buch und
       Reinickendorf weg, erklärt eine Pflegerin, die trotz Urlaub zu der Demo
       gekommen ist. Das sei in Notsituationen fatal – dann komme keine schnelle
       Unterstützung von einer anderen Station. „Wir werden dort verheizt“,
       befürchtet die Pflegerin, die seit 40 Jahren im Maßregelvollzug arbeitet.
       
       Ob da mehr Gehalt helfen würde? Ihr Kollege winkt ab. „Geld ist eine Sache.
       Aber die Arbeitsbedingungen sind viel wichtiger: Stress, Gewalt – das sind
       alles keine guten Voraussetzungen, um gesunden zu können. Damit wird ein
       Grundsatz der Pflege missachtet.“ Kündigen wollen die beiden trotzdem
       nicht. „Wir arbeiten mit dem Ansporn, etwas Gutes zu tun.“
       
       20 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Hanno Fleckenstein
       
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