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       # taz.de -- Aktivistin über fehlende Barrierefreiheit: „Da läuft extrem viel falsch“
       
       > Die gehörlose Julia Probst über Barrieren bei Behörden, den
       > öffentlich-rechtlichen und ihren Einsatz für Menschen mit Behinderung.
       
   IMG Bild: Behörden und Politik sind zur Barrierefreiheit verpflichtet
       
       Sie wollten am 9. November zu einer Infoveranstaltung eines Jugendamts
       gehen. Auf Twitter machten Sie öffentlich, dass es Ihnen nicht möglich war.
       Was ist genau passiert?Ich habe Mitte Oktober mitbekommen, dass die
       Veranstaltung in meiner Nähe stattfindet. Das Thema – richtiges Verhalten
       bei Kinderunfällen – ist für mich wichtig, da meine Tochter nun bald zehn
       Monate alt ist. Ich habe sofort der Behörde und der Organisation gemailt,
       dass ich gerne teilnehmen möchte und [1][einen Gebärdensprachdolmetscher
       benötige].Als Antwort bekam ich mitgeteilt, ich solle die Krankenkasse
       fragen, ob diese die Kosten übernimmt – das habe ich dann auch getan,
       obwohl mir aus Erfahrung klar war, dass die Antwort negativ sein wird. Das
       Jugendamt war zwar entgegenkommend, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass
       ein Bewusstsein besteht, dass solche Veranstaltungen barrierefrei sein
       müssen – das ist nämlich [2][gesetzlich festgeschrieben].
       
       Inwiefern war die Behörde dennoch entgegenkommend?
       
       Sie hat sich direkt an die Dolmetschervermittlungzentrale gewandt, weil die
       Zeit knapp war. Denn ein Problem ist auch: Man muss idealerweise einen
       Dolmetscher vier bis sechs Wochen vorher bestellen. Wir fanden mit dem
       Bezirk Schwaben irgendwann einen Kostenträger, aber bis heute keinen
       Dolmetscher. Also kann ich nicht hingehen, da eine Teilnahme ohne
       Dolmetscher sinnlos ist.
       
       Was sind Ihrer Beobachtung nach die Ursachen für diese Probleme? 
       
       Meiner Meinung läuft da extrem viel falsch. Ich möchte, dass das System der
       Dolmetscherbestellung vereinfacht wird: Dass ich bestelle und sich die
       Dolmetschervermittlung nur noch an die zuständigen Kostenträger wenden
       muss, weil klar ist, wer was und wann und wo bezahlt. Ich finde es nicht
       okay, dass Gehörlose sich auch noch um die Kostenträgerermittlung kümmern
       müssen.
       
       Außerdem hat der Beruf des Gebärdensprachdolmetschers kaum Sichtbarkeit im
       Fernsehen. Angebote in Gebärdensprache werden in die Mediathek ausgelagert
       und erscheinen so gut wie nie direkt im Fernsehen. Eine Ausnahme ist die
       Tagesschau auf Phoenix, aber das ist eben auch ein Spartensender.
       
       Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist zur Barrierefreiheit verpflichtet.
       
       Die Öffentlichen-Rechtlichen haben ihre Untertitelquote fast zu 98 Prozent
       ausgebaut, was an sich lobenswert ist. Störend ist immer noch die
       Verkürzung und die Vereinfachung der Untertitel, wodurch Informationen
       verloren gehen. Ich plädiere auf 1:1-Untertitel, denn Gehörlose haben das
       Recht auf die gleichen Informationen, die Hörende erhalten.
       
       Welche konkreten Schritte wünschen Sie sich von der Bundesregierung?
       
       Ich würde mir hier ganz deutlich wünschen, dass die hiesige Politik den
       gleichen Schritt geht, wie Uganda es neulich getan hat: Die Uganda
       Communications Commission (UCC) wird die Lizenzen für Fernsehsender nicht
       verlängern, wenn sie keine Gebärdensprache und Untertitel in wichtigen
       Nachrichtensendungen und Programmen anbieten.Für Deutschland würde ich das
       so umformulieren: Die Fernsehsender verlieren ihre Lizenzen, wenn sie
       Untertitel nicht 1:1 anbieten sowie alle Nachrichtensendungen und
       Kindersendungen direkt im Fernsehen mit Gebärdensprache.
       
       Was haben Sie in den letzten Jahren beim Thema Barrierefreiheit beobachtet
       – positiv wie negativ? 
       
       Seit 2009 blogge ich nun. Das Bewusstsein ist gestiegen, aber man scheut
       sich nach wie vor, die Umsetzung als selbstverständlich zu betrachten.
       Deutschland wird sich bei der Staatenprüfung 2020 auf die [3][Umsetzung der
       UN-Behindertenkonvention] wie immer eine scharfe Rüge abholen, weil
       Deutschland einfach nicht der Verpflichtung nachkommt, obwohl das Geld
       dafür eigentlich da ist.
       
       9 Nov 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bgbb.de/dolmetschen/rechtsanspruch
   DIR [2] https://www.behindertenbeauftragter.de/DE/SchlichtungsstelleBGG/Barrierefreiheit/Barrierefreiheit_node.html
   DIR [3] /UN-Behindertenrechtskonvention/!5017242
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sarah Emminghaus
       
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