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       # taz.de -- Alexei Nawalny vor Gericht: Zweimal an einem Tag
       
       > Der Berufungsantrag des Kremlkritikers scheiterte. Am Samstag wurde
       > Nawalny zu zweieinhalb Jahren Haft und Bußgeld verurteilt.
       
   IMG Bild: Nawalny zwei mal vor Gericht: zweieinhalb Jahre Haft und ein Bußgeld
       
       MOSKAU taz | Schon am frühen Morgen wurde Alexei Nawalny in das
       Babuschkinski Bezirksgericht verbracht. Stunden vor Prozessbeginn. Im
       Nordosten Moskaus hatten sich Sicherheitskräfte um das Gerichtsgebäude
       postiert. Am Samstag fanden dort gleich zwei Verhandlungen statt, an denen
       die Justiz über Wladimir Putins Herausforderer Nawalny zu Gericht saß.
       
       Den Auftakt machte der Berufungsantrag, den Nawalny [1][gegen die
       Verurteilung zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und acht Monaten Anfang
       Februar] gestellt hatte. Eine Bewährungsstrafe aus 2014 war in Haftzeit
       umgewandelt worden, da sich der Oppositionelle mehrfach nicht bei den
       Behörden in Moskau gemeldet hatte. Nach seiner Vergiftung mit dem
       chemischen Kampfstoff Nowitschok im August 2020 hatte sich der
       Oppositionelle zur Behandlung in Deutschland aufgehalten.
       
       In dem Verfahren „Yves Rocher“ war Nawalny 2014 Geldwäsche und Betrug zur
       Last gelegt worden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
       bezeichnete das Urteil 2017 als nicht angemessen und [2][forderte Russland
       diese Woche auf, den Angeklagten sofort freizulassen]. Dabei verwies das
       EGMR auf „Art und Ausmaß der Lebensgefahr“, die dem Oppositionellen in der
       Haft drohe. In der Verhandlung über „Yves Rocher“ waren 2014 Angehörige des
       französischen Kosmetikunternehmens als Zeugen aufgetreten, die bestätigten,
       dass es keine geschäftlichen Verluste durch das Gebaren Nawalnys gegeben
       hätte.
       
       Richter Dmitrij Balaschow gab dem Antrag nicht statt, verhängte stattdessen
       eine etwas verkürzte Haftzeit. Sechs Wochen Hausarrest wurden auf die
       Lagerhaft angerechnet. Immerhin zweieinhalb Jahre, lachte Nawalny bei der
       Urteilsverkündung. Er hatte auch mit dem Hinweis, sich nicht gedrückt zu
       haben und freiwillig nach Moskau zurückgekehrt zu sein, beim Gericht keine
       Nachsicht erreichen können. „Ich habe mich nicht versteckt. Die ganze Welt
       wusste, wo ich bin“.
       
       ## Dem Kreml geht es gar nicht um den beleidigten Veteran
       
       Am 17. Januar war Nawalny aus Deutschland zurückgekehrt und noch auf dem
       Flughafen festgenommen worden. Bereits in den nächsten Tagen wird er die
       Lagerhaft antreten müssen. Mit einem milderen Urteil hatte in Moskau
       niemand gerechnet. Dass es sich dabei um einen politischen Schuldspruch
       handelt, daran bestehen im Team des Oppositionellen keine Zweifel.
       
       Kaum zwei Stunden nach der ersten Verhandlung begann im selben Gericht ein
       zweiter Prozess. Selbst die Staatsanwältin aus der ersten Verhandlung
       übernahm am Samstag noch eine zweite Schicht. Dieser Prozess reicht in den
       vergangenen Sommer zurück. Nawalny [3][übte an einem Video Kritik], in dem
       mehrere Bürger die Verfassungsänderung guthießen, mit der Präsident
       Wladimir Putin im Sommer seine Machtsicherung durchdrückte. Alexei Nawalny
       bezeichnete die Mitwirkenden des Videos auf Twitter als „Verräter“.
       
       Unter ihnen war auch ein 94jähriger Veteran des Zweiten Weltkriegs, der
       sich beleidigt fühlte. Nawalny nannte den Veteranen eine „Marionette“ in
       einem Prozess mit politischem Hintergrund. Auch die Gesundheit des Soldaten
       soll unterdessen gelitten haben. Nawalny hatte auch die anderen Teilnehmer
       als „korrupte Handlanger“ und „Menschen ohne Gewissen“ bezeichnet.
       
       ## Zweites Urteil: Bußgeld
       
       Dem Kreml geht es nicht um Ignat Artemenko, den besagten Veteran. Die
       Staatsanwaltschaft verlangte eine Strafe von 950000 Rubel (10650 Euro)
       wegen Verleumdung und Verunglimpfung. Zahlen muss Nawalny 850000 Bußgeld.
       Das entschied das Gericht wenige Stunden nach dem ersten Urteil, das
       bereits gegen den Kritiker verhängt wurde.
       
       Mit dieser Klage versucht der Kreml den Angriff auf Artemenko wie eine
       Attacke auf die Grundlagen Russlands darzustellen. Die Verunglimpfung eines
       siegreichen Frontkämpfers ist gleichzeitig auch eine Infragestellung des
       Sieges über Hitlerdeutschland 1945, der den russischen Gründungsmythos in
       der Ära Putin darstellt.
       
       Der Kreml vermittelt den Eindruck, er verfolge den Oppositionellen nicht
       aus politischen Motiven, nicht etwa wegen der Enthüllungen über den „Palast
       in Gelendschik“ oder Aufrufen zu Sanktionen und Korruptionsvorwürfen,
       sondern weil er angeblich die heiligen Grundlagen des russischen
       Staatswesens ins Wanken bringt.
       
       Mit dem Slogan „Ich/Wir Ignat“ machen staatliche Medien inzwischen mobil,
       als stünde wieder ein Feind vor den Toren Moskaus.
       
       20 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Justiz-in-Russland/!5744977
   DIR [2] /Verurteilter-russischer-Oppositioneller/!5753093
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=bjl2vlj2V5Y
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus-Helge Donath
       
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