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       # taz.de -- Amazon darf Beschäftigte dauerüberwachen: Leistungsdaten als Beifang
       
       > Das Verwaltungsgericht hat Amazon erlaubt, die Arbeit der Beschäftigten
       > im Lager in Winsen ununterbrochen zu erfassen – trotz
       > Datenschutzbedenken.
       
   IMG Bild: Die Maschine gibt den Takt vor, der Arbeitgeber kontrolliert: Amazon-Sortierzentrum in Garbsen
       
       Winsen/Luhe taz | Amazon darf die Mitarbeiter in seinem [1][Logistikzentrum
       in Winsen/Luhe] weiterhin engmaschig überwachen. Das hat das
       Verwaltungsgericht Hannover am Donnerstag in einer Sitzung vor Ort
       entschieden.
       
       Das Gericht befasste sich mit einer Klage von Amazon gegen die
       niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte Barbara Thiel. Diese hatte
       Amazon 2017 untersagt, in seinem Logistikzentrum in Winsen aktuelle und
       minutengenaue Quantitäts- und Qualitätsdaten seiner Beschäftigten zu
       erfassen. Amazon tut das, indem es die Warenscans, die die Beschäftigten
       bei jedem Arbeitsschritt machen, erfasst und auswertet.
       
       Worum es konkret geht, nahm das Gericht bei einem Ortstermin im
       Amazon-Logistik-Zentrum in Winsen bei Hamburg in Augenschein. In der 100
       mal 650 Meter großen Halle arbeiten durchschnittlich 2.000 Menschen daran,
       Waren entgegenzunehmen, umzupacken und zu versenden. 80 Sortier- und
       Verteilzentren des Unternehmens werden von hier aus im Wege der
       Feinverteilung beliefert.
       
       Betriebsleiter Jörn Asmussen versuchte in Rahmen einer Führung plausibel zu
       machen, warum jeder einzelne Arbeitsschritt in seinem sogenannten
       „Fulfillment-Center“ dokumentiert werden muss: Der ganze Prozess sei vom
       Auslieferungstermin beim Kunden her rückwärts gedacht. Heißt: Wenn die Ware
       zu einem bestimmten Zeitpunkt ankommen soll, muss sie zwei große Schritte
       weiter hinten in Winsen zu einer bestimmten Zeit [2][in einem Lkw
       weggefahren werden].
       
       ## Scannen hilft, Arbeitskräfte zu disponieren
       
       Um diese Zeit einzuhalten, gibt es in Winsen ein ausgeklügeltes System.
       Mitarbeiter nehmen große Kartons an, scannen sie und packen den Inhalt
       wiederum in schwarze Transportkisten, die sie ebenfalls scannen. Die Kisten
       gehen auf dem Band zu anderen Mitarbeitern, die die Waren aus den Kisten
       nehmen und in Regalpaletten stecken, die von Robotern in einem großen,
       eingezäunten Areal geparkt und später zum Warenversand gebracht werden.
       Dort werden die [3][Päckchen mit dem Amazon-Logo] gepackt.
       
       Dadurch, dass die Beschäftigten die Ware bei Annahme und Weitergabe scannen
       und auch die Transportbänder überwacht werden, ist zum einen stets klar, wo
       sich die Ware gerade befindet – und zum anderen kann Amazon seine
       Arbeitskräfte besser disponieren. Mal komme besonders viel Ware herein, mal
       müsse besonders viel ausgeliefert werden – durch die Erfassung könnten
       Arbeitskräfte von der einen Stelle abgezogen und anderswo hingeschickt
       werden. „Wir müssen das während des Tages immer wieder neu austarieren“,
       sagte Betriebsleiter Asmussen. Das Austarieren sorge im Übrigen für einen
       ruhigeren Arbeitsablauf, mithin weniger Stress für die Mitarbeiter.
       
       Dabei berücksichtige Amazon auch, wie schnell und gut ein Beschäftigter
       aktuell an einer bestimmten Stelle arbeitet, um Bereiche zu verstärken oder
       um Teams auszubalancieren. Wie der Durchsatz an verschiedenen
       Arbeitsplätzen ist, lässt sich ebenso wie der Betriebszustand des ganzen
       Logistikzentrums in einer Zentrale mit acht großen Bildschirmen sehen – dem
       Flow. Hier lässt sich die Leistung jedes Arbeiters ablesen und
       dokumentieren, was Amazon auch für wiederkehrende Feedback-Gespräche nutzt.
       Auch bei Vertragsverlängerungen spielen diese Daten eine Rolle.
       
       ## Ohne das Kontrollsystem bricht die Produktivität ein
       
       Dass diese Art der Organisation für Amazon vorteilhaft ist, stand auch für
       das Gericht außer Frage. Die Vorsitzende Richterin Andrea Reccius verwies
       auf eine Amazon-Zahl aus den USA: Als das FCLM genannte System in einem
       dortigen Zentrum einmal ausgefallen sei, habe das die Produktivität um 27
       Prozent gedrückt. Fraglich ist bloß, ob dieser Vorteil einen derart
       weitreichenden Eingriff in das Grundrecht auf informationelle
       Selbstbestimmung rechtfertigt. Die Datenschutzbeauftragte bezweifelt das.
       
       In die Bredouille brachte sich ihre Behörde damit, dass sie das
       ununterbrochene Erheben von Daten mittels der Scanner untersagt hatte. Was
       sich denn die Behörde als Alternative vorstelle, wollte das Gericht wissen.
       Mit einer Unterbrechung für eine Hundertstelsekunde wäre sie ja wohl kaum
       zufrieden.
       
       Es sei nicht Aufgabe der Behörde, hier Vorschläge zu unterbreiten,
       antwortete deren Anwalt Marcus Helfrich. Solche Vorschläge würden das
       Unternehmen ja viel stärker einengen als eine schlichte Untersagung, die es
       Amazon ermögliche, selbst einen Weg zu finden, um einen rechtssicheren
       Zustand herzustellen.
       
       Amazon sieht sich freilich auf der sicheren Seite: Die Überwachung sei
       keineswegs beabsichtigt und allenfalls ein Nebeneffekt, argumentierten die
       Anwälte des Unternehmens. Es würden nur Leistungsdaten erhoben, die
       Privatsphäre der Arbeiter sei nicht betroffen.
       
       Die Vertreter der Datenschutzbeauftragten wiesen darauf hin, dass Zeugen
       zufolge nicht allen Mitarbeitern das Ausmaß der Datenerhebung bewusst sei.
       Außerdem beziehe sich die Leistungserhebung auf das persönliche
       Beschäftigungsverhältnis und müsse daher verhältnismäßig sein. „Wir
       brauchen eine Begründung dafür, warum eine minutengenaue Erfassung
       notwendig ist und ob es auch anders ginge“, sagte Helfrich. Eine
       minutengenaue Überwachung widerspreche den Grundlagen des deutschen
       Arbeitsrechts. Danach seien Beschäftigte eben nicht verpflichtet, ständig
       100 Prozent Leistung zu bringen.
       
       Demgegenüber verlangten die Amazon-Vertreter von der
       Datenschutzbeauftragten, sie müsse zeigen, dass es einen übermäßigen
       Überwachungsdruck gebe. Ähnlich äußerte sich auch die Richterin: „Einfach
       nur zu behaupten, es gebe einen Anpassungs- und Leistungsdruck, reicht
       nicht“, sagte Reccius. Der Verweis auf einen Fernsehbeitrag sei dafür nicht
       ausreichend.
       
       „Es gibt viele verschiedene Überwachungsprogramme“, sagte die Richterin.
       „Jeweils ist die psychische Belastung unterschiedlich.“ Bei relativ
       einfacher Arbeit sei die Angst Studien zufolge nicht so groß wie bei
       kreativen Tätigkeiten. Auch sei das Mitschneiden von Telefonaten anders zu
       bewerten als das Erfassen von Scans.
       
       Die Landesdatenschutzbeauftragte kann Berufung gegen das Urteil einlegen.
       
       9 Feb 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Gernot Knödler
       
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