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       # taz.de -- Americana-Band Los Lobos: "Vergiss, was keinen Spaß macht"
       
       > Sie sind Kinder mexikanischer Einwanderer in L. A. und begannen 1973 mit
       > Polka und Bolero. Heute wandeln Los Lobos auf den Pfaden der
       > Hippielegende Grateful Dead.
       
   IMG Bild: Über das Klischee vom Opa-Rock erhaben: Los Lobos.
       
       Es fehlen die Exzesse. Es fehlen die reisenden Fanhorden und die toten
       Keyboarder. Aber sonst sind Los Lobos in vielem die legitimen Wiedergänger
       der US-Hippierocklegende Grateful Dead als Jam-Band des denkenden Menschen.
       
       Wobei bei beiden der Jam kein Alleinstellungsmerkmal ist, auch wenn es
       zumindest bei den Dead der Mythos so will. Doch genauso wichtig war der
       Versuch, das reichhaltige und diverse musikalische Erbe der USA behutsam in
       die Gegenwart zu transferieren. Auch in den spacigsten
       Free-Form-Improvisationen spürte man die Wurzeln in Blues, Bluegrass und
       frühem Rock 'n' Roll; die Eigenkompositionen von Grateful-Dead-Kopf Jerry
       Garcia und seinem kongenialen Texterpartner Robert Hunter waren frühe
       Musterbeispiele des Genres, das heutzutage "Americana" genannt wird. Bei
       den Lobos kamen musikalische Sozialisation und Bandgründung rund ein
       Jahrzehnt später.
       
       Die musikalische Landschaft hatte sich in vielen Dingen grundlegend
       geändert, darüber hinaus wuchsen sie in den mexikanisch geprägten Barrios
       von East Los Angeles als Kinder von Exilanten auf. So wie die Dead mit
       Bluegrass, Folk Blues und Folk begannen, spielten Los Lobos zunächst
       ausschließlich mexikanische Rancheras, Polkas und Boleros.
       
       Doch als Punk auch in East L. A. Einzug hielt, wandelte sich ihr
       musikalisches Anliegen und der erste Auftritt vor einem größeren Publikum
       fand 1980 im Vorprogramm von Johnny Rottens Public Image Ltd. statt.
       
       Beide Bands wurden bzw. werden nicht zuletzt von ihrer Konstanz getragen:
       Mag sich die Musik ändern, die musikwirtschaftlichen Überlebensbedingungen
       und das kulturelle Klima: In steter Kühle und mit aller dazu nötigen Zeit
       arbeitet das Kollektiv an seiner Kunst. Bei den Grateful Dead blieb die
       Stammbesetzung während des rund 30-jährigen Bandbestehens die ganze Zeit
       über zusammen. Diese Leistung haben Los Lobos bereits übertroffen: David
       Hidalgo, Louie Pérez, Cesar Rosas und Conrad Lozano sind seit 1973 eine
       Band. 1984 kam noch der Saxofonist Steve Berlin dazu, seit etwa einem
       Jahrzehnt sitzt Cougar Estrada hinter dem Schlagzeug. Und wie auch die
       Dead-Mitglieder scheren die einzelnen Lobos immer wieder mal aus, um sich
       in anderen musikalischen Zusammenhängen zu erproben: Soloprojekte,
       temporäre Bands wie Los Super Seven oder Latin Playboys oder wie im Falle
       Hidalgos Sessions mit Tom Waits und Bob Dylan.
       
       Bei all dem scheinen sie der Maxime von Dead-Kopf Jerry Garcia zu folgen:
       "Fuck it if it ain't fun". Da gönnt man sich dann auch mal eine mehrjährige
       Studiopause. Oder man veröffentlicht zwei neue Studioalben in weniger als
       einem Jahr, wie jetzt geschehen. Dabei hieß das erste davon allerdings "Los
       Lobos Goes Disney" und bestand ausschließlich aus Coverversionen von
       Evergreens aus Disney-Filmen. Karriere-Selbstmord für jede andere Band,
       nicht jedoch für Los Lobos, die schon 1988 "I Wan'na Be Like You", das Lied
       des Affenkönigs aus dem Dschungelbuch, erfolgreich coverten und einen von
       insgesamt drei Grammys für das 1995 veröffentlichte Kinderalbum "Papa's
       Dream" erhielten.
       
       Das zweite ist nun endlich wieder ein reguläres Studioalbum mit neuen
       eigenen Songs, das erste seit dem etwas enttäuschenden "The Town And The
       City" von 2006. Und wieder spielen Los Lobos mit ihrer
       Grateful-Dead-Verwandtschaft: Sie covern nicht nur den etwas obskuren
       Garcia/Hunter-Song "West L. A. Fadeaway" (vom 1987er-Comeback-Album "In The
       Dark"), sondern Cesar Rosas schrieb auch selbst einen Song mit dem derzeit
       wieder extrem aktiven Robert Hunter (der zuletzt etwa an allen Texten von
       Bob Dylans Album "Together Through Life" mitwirkte). Beide Texte passen
       großartig in die vom auch als bildender Künstler aktiven Lobos-Texter Louie
       Pérez fein komponierte Atmosphäre aus Verlust und Melancholie, Trotz und
       Aufbruch. Für die hier auftretenden Charaktere hat die Finanzkrise keine
       Verluste gebracht, denn "sun and dirt is all I've ever known" ("The Lady
       And The Rose") und es gibt "nothing better than walking down the boulevard
       / getting a little dirt on my shoes with my brothers and sisters hanging
       all around" ("On Main Street"). Musikalisch wird jeder Boogie-Rock-Fan
       zufrieden mit dem Kopf nicken. Tatsächlich fällt die Größe und die Coolness
       dieser Musik erst beim zweiten Hinhören auf. An der Oberfläche krachen die
       Gitarren, poltern die Boogie-Beats, regiert das Bluesschema. Der
       Musikgourmet darf sich indes über eine Fülle von Details freuen, die sich
       die gemeine Bar-Band nie trauen würde, ungewöhnliche Akkordfolgen,
       merkwürdige Instrumente, Latin-Beats und Produktionsideen, die das Album
       mitunter fast wie eine Daniel-Lanois-Produktion ohne den Kitsch klingen
       lassen.
       
       Und dann gibt es mittendrin zwei Mexiko-Ausflüge: die relativ pur und
       traditionell gehaltene Ranchera "Mujer ingrata" und die eigenwillige
       Cumbia-Rock-Mischung "Yo canto", beide aus der Feder von Cesar Rosas. Eine
       der Hauptleistungen des Albums liegt jedoch darin, zu beweisen, dass auch
       2010 das Rock-Gitarrensolo nicht das tote, längst überkommene Klischee des
       Opa-Rock sein muss, für das es die herrschende Meinung der nach 1980
       musikalisch Sozialisierten gemeinhin hält.
       
       Hidalgo und Rosas schaffen es, selbst ein ganz klassisches
       Boogie-Instrumental wie "Do The Murray" irgendwie anders, seltsam und neu
       klingen zu lassen. Und was Hidalgo im spacigen Schlussdrittel von "Jupiter
       Or The Moon" macht, erinnert eher an Gabor Szabo als an Billy Gibbons und
       macht noch mal verständlich, warum er der erste Kandidat für den nach Jerry
       Garcias Tod vakanten Posten des Grateful-Dead-Leadgitarristen war.
       
       7 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Detlef Diederichsen
       
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