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       # taz.de -- Angriff auf slowakischen Premier: Ficos Zustand „weiterhin ernst“
       
       > Slowakische Medien berichten, der Premier habe nach der OP wieder das
       > Bewusstsein erlangt. Es gibt Hinweise auf ein politisches Motiv des
       > Attentats.
       
   IMG Bild: Sicherheitskräfte von Robert Fico nach der Schießerei. Im Auto soll sich der verletzte Politiker befinden. Handlová, 15. Mai 2024
       
       Berlin taz/dpa/afp | Der Zustand des slowakischen Ministerpräsidenten
       Robert Fico hat sich nach dem Attentat „stabilisiert, ist aber weiterhin
       ernst“. Das sagte Ficos erster Stellvertreter in der Regierung,
       Verteidigungsminister Robert Kalinak, am Donnerstag der Nachrichtenagentur
       TASR. Eine Krankenhaussprecherin teilte mit, Fico sei fünf Stunden lang
       operiert worden.
       
       Wegen einer Informationssperre des Krankenhauses gab es nur zögerliche
       Informationen und viele Spekulationen über den Gesundheitszustand des
       Regierungschefs. Ein Attentäter hatte am Mittwoch auf den 59-Jährige
       geschossen. Kalinak gilt als enger Vertrauter Ficos und ist auch in der
       Linkspartei Smer sein Stellvertreter.
       
       Bis Donnerstagmorgen herrschte Ungewissheit über den Gesundheitszustand
       Ficos, der sich noch am Mittwoch einer mehrstündigen Notoperation in der
       Regionalhauptstadt Banska Bystrica unterziehen musste. Innenminister Matus
       Sutaj Estok und Verteidigungsminister Robert Kalinak, der auch
       stellvertretender Regierungschef ist, hatten am Mittwochabend direkt in der
       Klinik verkündet, Ficos Zustand sei lebensbedrohlich und „außerordentlich
       ernst“. Am frühen Morgen berichteten slowakische Medien, Fico habe nach der
       Operation wieder das Bewusstsein erlangt. Allerdings nannten weder der
       Fernsehsender TA3 noch die Zeitung Dennik Details zum Gesundheitszustand
       des Regierungschefs.
       
       Der Angriff auf den slowakischen Premier löste auch international
       Bestürzung aus. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte das Attentat
       „unerträglich“. „Ich wünsche ihm, dass er sich gut von diesem feigen
       Anschlag erholt“, sagte Scholz. US-Präsident Joe Biden sprach von einer
       „schrecklichen Gewalttat“. „Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und dem
       slowakischen Volk“, erklärte er.
       
       Der slowakische Regierungschef wurde am Mittwoch bei einer öffentlichen
       Veranstaltung angeschossen. Er habe sich mit Regierungsvertretern bei einer
       Kabinettssitzung in Handlová in der Zentralslowakei, etwa 180 Kilometer von
       der Hauptstadt Bratislava entfernt, befunden, berichten mehrere slowakische
       Medien übereinstimmend.
       
       Laut der Boulevardzeitung plus7dni war der 59-jährige Premier nach der
       Sitzung zum Händeschütteln an die Zuschauenden an einem Absperrzaun
       herangetreten. Jemand soll ihn bei seinem Spitznamen „Robo, komm hierher“
       gerufen haben, woraufhin fünf Schüsse gefallen seien. Es ist nicht
       bestätigt, wie viele davon den Premierminister getroffen haben. Laut
       Berichten der Investigativzeitung Denník N soll Fico ein Schuss in den
       Bauchbereich getroffen haben, andere in seine Arm- und Beinregion.
       
       ## Mutmaßlicher Täter ist ein 71-jähriger Schriftsteller
       
       Ein Reporter von Denník N hat sich bei der Kabinettssitzung vor Ort
       befunden, [1][ein Foto zeigt den Premierminister kurz vor dem Angriff] vor
       der Menge. [2][In Videoaufnahmen des Fernsehsenders RTV Prievidza ist zu
       sehen, wie der Premierminister nach den Schüssen auf dem Boden liegt].
       Mehrere Medien berichten, dass ihn seine Sicherheitskräfte in seine
       Limousine und damit ins Krankenhaus gebracht hätten.
       
       Im Laufe des Mittwochabends wurden Details zur Identität des mutmaßlichen
       Attentäters bekannt. Auf die Frage, ob es sich um einen 71-jährigen
       Schriftsteller aus dem Zentrum der Slowakei handle, sagte Innenminister
       Estok: „Ich denke, ich kann das bestätigen, ja.“ Der Mann soll
       Medienberichten zufolge aus der Stadt Levice rund 150 Kilometer östlich von
       Bratislava kommen und Gründer eines Literaturclubs sein. Demnach ist er
       zudem Mitglied der offiziellen slowakischen Schriftstellervereinigung, was
       diese später im Onlinedienst Facebook bestätigte. Sollte bestätigt werden,
       dass es sich um den mutmaßlichen Attentäter handelt, werde die
       Mitgliedschaft „dieser abscheulichen Person“ aufgekündigt.
       
       Der Sohn des Mannes erklärte gegenüber dem slowakischen Nachrichtenportal
       aktuality.sk, sein Vater besitze legal eine Waffe. Auf die Frage, ob sein
       Vater Hass auf Regierungschef Fico verspüre, antwortete er: „Er hat ihn
       nicht gewählt, mehr kann ich dazu nicht sagen.“ Der Mann veröffentlichte
       mehrere politische Statements in Online-Netzwerken. Vor acht Jahren sagte
       er in einem davon, die Welt sei „voller Gewalt und Waffen“ und die Menschen
       schienen „verrückt zu werden“. Zudem sprach er über seine Sorgen über
       Immigration und „Hass und Extremismus“. Er selbst habe eine „Bewegung gegen
       Gewalt“ gegründet.
       
       ## Weltweites Entsetzen
       
       „Ich bin schockiert und wünsche Robert Fico viel Kraft“, verurteilte Zuzana
       Čaputová, Präsidentin der Slowakei, die Attacke. Weltweit herrschte
       Entsetzen nach dem Angriff. UN-Generalsekretär António Guterres sprach von
       einem schockierenden Angriff. „Die Gedanken des Generalsekretärs sind in
       diesem schwierigen Moment beim Ministerpräsidenten und seinen Angehörigen“,
       sagte ein Sprecher am Mittwoch in New York.
       
       Auch Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) zeigte sich zum Auftakt einer Rede
       im Bundestag am Mittwoch betroffen. Er wünschte Robert Fico „gute
       Besserung“ und mahnte zur verbalen Abrüstung. Diejenigen, die sich dem
       demokratischen Spektrum zugehörig fühlen, sollten ihre Worte „sorgsam
       wägen“. Vor allem mit Blick auf die AfD warnte Habeck, „dass aus Worten
       Taten folgen und dass diese Taten dann meistens eine geistige Vorbereitung
       haben“. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte die Schüsse
       auf den slowakischen Regierungschef „abscheulich“. Ihre Gedanken seien bei
       Fico und seiner Familie.
       
       Fico hatte mit seiner prorussischen und populistischen Partei Smer die
       Parlamentswahlen im vergangenen September gewonnen. Nach seinem Rücktritt
       2018 kehrte er damit zurück an die Macht. Er hatte sich mit seinem
       antidemokratischen Kurs in den vergangenen Monaten Ungarn angenähert.
       [3][Er hatte etwa in einem Eilverfahren eine Justizreform durchgebracht],
       die Gefängnisstrafen verkürzen soll. Kritiker*innen befürchten, dass
       dadurch auch Strafen gegen hohe Staatsbeamte wegen Korruption verringert
       werden könnten. Gegen seine Politik hatten in den vergangenen Monaten immer
       wieder Menschen in der ganzen Slowakei protestiert.
       
       ## Fico in EU wegen Ukraine-Politik umstritten
       
       Ficos neuster Vorstoß [4][gegen die freie Presse im Land] war die
       Ankündigung, dass er den öffentlich-rechtlichen TV- und Radiosender RTVS
       schließen wolle. Gegen die Schließung sollte am Mittwoch ein Protest in
       Bratislava stattfinden. Wegen des Angriffs auf Fico hatten sich die
       Oppositionsparteien jedoch entschieden, die Kundgebung abzusagen. In
       Bratislava hatte gleichzeitig ein Parlamentstreffen stattgefunden, das nach
       Bekanntwerden der Schüsse auf den Premierminister unterbrochen wurde.
       
       In Europa ist Fico wegen seiner oft überspitzten Formulierungen zur
       Ukraine- und Russland-Politik der EU umstritten. Im Wahlkampf für die
       Parlamentswahl im Herbst 2023 ließ er mit der Ankündigung aufhorchen, er
       wolle „keine Patrone“ mehr an Waffen an die Ukraine liefern. Tatsächlich
       aber hat die Slowakei seit Ficos Rückkehr an die Regierung im Oktober alle
       EU-Sanktionen gegen Russland mitgetragen und auch allen EU-Hilfen für die
       Ukraine zugestimmt – einschließlich der Verwendung eingefrorener russischer
       Gelder für die Ukraine und Befürwortung eines Beitritts der Ukraine zur EU
       – nicht aber zur Nato.
       
       Die Sanktionen gegen Russland lehnt Fico entgegen irreführender
       Medienberichte nicht grundsätzlich ab. Er kritisiert aber, dass manche von
       ihnen der von russischem Gas, Öl und Uran abhängigen Slowakei mehr schaden
       als Russland selbst. Stattdessen verlangt er Sanktionen, die Russland
       empfindlicher treffen.
       
       15 May 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.startitup.sk/video-atentat-na-premiera-slovenska-roberta-fica-zasiahli-po-rokovani-vlady-v-handlovej/
   DIR [2] https://youtu.be/87p40FPnqTM?si=apbFvH9buuO655-T
   DIR [3] /Umstrittene-Justizreform-in-der-Slowakei/!5991362
   DIR [4] /Pressefreiheit-in-der-Slowakei/!5990442
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ann-Kathrin Leclere
       
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