URI: 
       # taz.de -- Angriffe auf Journalisten: Intifada gegen die Presse
       
       > Die antiisraelische Szene greift seit dem 7. Oktober zunehmend
       > Journalist*innen an. Die Meinungsfreiheit ist bedroht –und das geht
       > uns alle an.
       
   IMG Bild: Berliner Palästinakongress 2024: Vertreter*innen mehrerer Medien vom „Stern“ bis zur dpa wurde der Zutritt zunächst verwehrt
       
       Es ist eine antidemokratische Spirale der Radikalisierung: Seit dem 7.
       Oktober 2023, dem von der Hamas geführten Angriff auf Israel, und dem
       darauffolgenden Krieg in Gaza werden Journalist*innen zunehmend zur
       Zielscheibe, deren Berichterstattung sich als propalästinensisch
       gerierenden Linken nicht gefällt.
       
       Es kommt regelmäßig zu Beleidigungen, Anfeindungen, Diffamierungen,
       Bedrohungen, gar körperlicher Gewalt. Es trifft Reporter*innen von der
       Boulevardpresse bis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ganze Medienhäuser
       werden zum Feind erklärt.
       
       Die neuesten Zahlen der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union
       (dju) überraschen daher kaum: Es gab letztes Jahr auf Versammlungen
       mindestens 118 Übergriffe auf die Presse, davon 66 auf propalästinensischen
       und antiisraelischen Demos. Auch in der [1][Statistik von Reporter ohne
       Grenzen] lösen solche Demos die vom rechten Rand an der Spitze ab.
       
       Wer in den vergangenen anderthalb Jahren auf solchen Demos berichtet hat,
       kann davon ein Lied singen. Viele Medienschaffende bleiben solchen
       Versammlungen längst fern – [2][zu gefährlich ist die Lage geworden]. Denn
       sie werden beschimpft, angespuckt, getreten, geschlagen.
       
       Ein Reporter wurde nach Hause verfolgt und mit einem Messer bedroht. Ein
       Videojournalist wurde von einem mutmaßlichen Demoordner krankenhausreif
       geprügelt. Inzwischen kursiert in der Szene eine Art Feindesliste mit den
       Namen und Adressen von Berliner Journalist*innen.
       
       ## Hamas-Symbole als Feindmarkierung
       
       Teilweise vor den Redaktionen selbst werden Journalist*innen
       eingeschüchtert. Im Mai 2024 blockierten antiisraelische Aktivist*innen
       die Eingänge zum Büro der New York Times, weil die renommierte Zeitung, die
       im vergangenen Jahr sogar den Pulitzer-Preis für ihre Berichterstattung zum
       Nahostkonflikt gewann, „Zustimmung für den Genozid“ herstelle.
       
       In Berlin wurde die Fassade des Sitzes der Tagesspiegel-Redaktion mehrfach
       mit Hamas-Symbolen besprüht. In den Sozialen Medien bezeichnete ein in
       Berlin lebender Medienaktivist in einem inzwischen gelöschten X-Beitrag die
       Zeitung als „TageSSpiegel“.
       
       Auch [3][ich persönlich bin einer Diffamierungskampagne] samt Bedrohungen
       und Beleidigungen in den Sozialen Medien ausgesetzt. Inzwischen kleben
       Sticker mit meinem Namen und Gesicht an Straßenlaternen, Litfaßsäulen und
       Ticketautomaten in Berlin. Ich werde damit als Feind markiert. Das Ziel:
       mich einschüchtern, um meine Berichterstattung zu verhindern.
       
       Die Kampagne ist koordiniert, sie wurde von dem russlandnahen Portal Red
       lanciert – dem Nachfolger des RT-Mediums Redfish, [4][über das ich im
       Oktober für die taz berichtete]. Die Plattform berichtet nicht nur live von
       antiisraelischen Demos in Berlin, sie interviewt auch unkritisch
       Terroristen der Hisbollah und Hamas. Das hielt die einschlägigen Akteure
       der Szene nicht davon ab, gemeinsame Social-Media-Beiträge zu
       veröffentlichen – von einer sozialistischen Tageszeitung bis hin zu einem
       Bundestagsabgeordneten der Linken.
       
       ## Fahndungsplakate und Feindeslisten
       
       Das ist die Kehrseite der zunehmenden Pressefeindlichkeit in dieser Szene:
       ein Kuschelkurs mit antidemokratischen Propagandakanälen, die autoritären
       Staaten nahestehen. Zwei szenebekannte Medienaktivisten ließen sich neulich
       vom türkischen Staatsmedium TRT für eine Doku interviewen – von einem
       Propagandasender des Erdoğan-Regimes. Eine frühere feministische
       Podcasterin aus Wien, inzwischen hauptsächlich als antiisraelische
       Aktivistin bekannt, schreibt nun für den Pro-Hisbollah-Sender Al Mayadeen.
       
       Diese Ablehnung von Qualitätsmedien kennt man schon von
       verschwörungsideologischen Protesten während der Coronapandemie. Damals
       griffen Aktivist*innen die Presse regelmäßig an, oft gewaltsam. Sie
       bastelten Fahndungsplakate mit den Fotos unliebsamer Journalist*innen,
       erklärten die „Staatsmedien“ zum Feind. Stattdessen setzten sie auf
       „alternative Fakten“ und wirre Verschwörungsmythen, die sie auf Telegram
       oder russischen Desinformationskanälen fanden.
       
       Auch in der antiisraelischen Szene driften immer mehr Aktivist*innen
       ab. Ihre Pressefeindlichkeit ist dabei symptomatisch für eine
       Entdemokratisierung, die letztlich dem sehr dringenden und
       unterstützenswerten Anliegen der Solidarität mit palästinensischen
       Zivilist*innen nur schadet.
       
       Stattdessen: Meinungsvielfalt, vor allem zum Nahostkonflikt (aber nicht
       nur), wird nicht ausgehalten, sondern aktiv bekämpft – mit autoritären
       Methoden. Fakten dringen immer seltener durch. Und die Meinungs- und
       Pressefreiheit ist damit bedroht. Das ist nicht nur mit demokratischen
       Werten unvereinbar. Es sollte uns alle alarmieren.
       
       Anm. der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, dass es letztes Jahr
       mindestens 100 Angriffe gegen die Presse auf propalästinensischen und
       antiisraelischen Demos gegeben habe. Tatsächlich waren es insgesamt sogar
       mindestens 118 Übergriffe, aber nur 66 auf propalästinensischen und
       antiisraelischen Demos.
       
       17 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Reporter-ohne-Grenzen-ueber-Presseschutz/!6071746
   DIR [2] /Schlaege-Tritte-Morddrohungen/!6024978
   DIR [3] https://blogs.taz.de/hausblog/taz-chefredaktion-zum-angriff-auf-nicholas-potter/
   DIR [4] /RT-nahes-Medium-Red/!6039623
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nicholas Potter
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Pressefreiheit
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Medien
   DIR GNS
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Kolumne Flimmern und Rauschen
   DIR Journalismus
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Gaza
   DIR Gaza
   DIR Reporter ohne Grenzen
   DIR Schwerpunkt Russia Today
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Blockade wegen Gaza-Berichterstattung: Protest vor der „FAZ“
       
       In Frankfurt am Main blockieren Aktivist*innen das Redaktionsgebäude
       der „FAZ“. Sie werfen der Zeitung unter anderem vor, in Gaza
       „mitzuschießen“.
       
   DIR Gewalt gegen Presse: Journalist*innen müssen besser geschützt werden
       
       Immer mehr Hass und Gewalt, immer weniger Kolleg*innen: Lokaljournalismus
       wird zur Gefahrenzone – doch niemand möchte für besseren Schutz zahlen.
       
   DIR Angriffe auf Reporter*innen: Journalismus ist kein Einzelkampf
       
       Ein neuer Report zeigt, dass Journalist:innen in Deutschland immer mehr
       körperliche Angriffe erleben – und enger werdende Diskursräume.
       
   DIR Buch über Gaza: Giftige Dröhnung
       
       Pankaj Mishra blendet in seinem Gaza-Buch mit furchterregender Konsequenz
       alles aus, was der postkolonialen Lesart des Konflikts widerspricht.
       
   DIR +++ Nachrichten im Nahost-Konflikt +++: Israels Regierung stimmt Rückkehr von Minister Ben-Gvir zu
       
       Der rechtsextreme Politiker hatte die Regierung in Protest gegen den
       Geisel-Waffenruhe-Deal verlassen. Dieser ist nun passé: Israel bombardiert
       den Gazastreifen.
       
   DIR +++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Hunderte Tote nach schwerstem Angriff auf Gaza seit Januar
       
       Israel beendet Waffenruhe. Die Hamas meldet über 400 Tote.
       UN-Generalsekretär Guterres schockiert. Ehemalige Geiseln, UN und andere
       kritisieren den Angriff.
       
   DIR Reporter ohne Grenzen über Presseschutz: „Viele Journalisten wünschen sich mehr Solidarisierung“
       
       Angriffe auf Journalist:innen nehmen auch in Deutschland zu. Wie können
       sie besser geschützt werden? Ein Gespräch mit Reporter ohne Grenzen.
       
   DIR RT-nahes Medium „Red“: Hybrider Krieg in Berlin
       
       Das Berliner Medienportal „Red“ wird mutmaßlich aus Russland finanziert.
       Die Spur führt zu einer Briefkastenfirma in der Türkei.
       
   DIR Schläge, Tritte, Morddrohungen: Angriff auf die „Zionistenpresse“
       
       Die Situation für Journalist*innen auf antiisraelischen Demos wird seit
       dem 7. Oktober immer gefährlicher. Manche ziehen sich deshalb zurück.