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       # taz.de -- Angst vorm Fliegen: Erstmal den Boden küssen
       
       > Manche träumen vom Fliegen. Andere fürchten sich. Flugangst kommt
       > schleichend, sagen Experten. Es ist die Angst vor dem Sterben.
       
   IMG Bild: Fliegen: Traum oder Albtraum?
       
       BERLIN taz | Schwerelos über den Wolken schweben – ein Menschheitstraum –
       er kann wie ein Rausch sein. Auch das Gefühl kurz vor dem Abheben des
       Flugzeugs, wenn die gewaltigen Motoren Kraft pumpen, aufdröhnen, rotieren,
       dass es im Körper vibriert, kann Hochgefühle erzeugen.
       
       Viele lieben es zu fliegen. Für manche aber ist es ein einziger Albtraum.
       Immerhin mehr als ein Drittel der Bevölkerung, wie das Allensbacher
       Institut für Demoskopie vor einigen Jahren ermittelt hat, betritt die
       Gangway mit weichen Knien. Wobei das Unbehagen verschieden schwer sein
       kann. Bei manchen spielt der Magen verrückt, andere bekommen Panik. Einige
       verzichten ganz aufs Fliegen und reisen lieber mit dem Zug oder Auto auf
       dem vermeintlich sicheren Erdboden.
       
       Woher kommt die Angst vor dem Fliegen? „Es ist die Angst vor dem Sterben“,
       meinte jüngst Anna Kindermann, eine Berliner Beamtin, die sich hier nur
       unter Pseudonym traut, was zu sagen, bevor sie aus dienstlichen Gründen ein
       Flugzeug besteigen musste. „Der positive Aspekt dabei ist, dass ich den Tag
       vor dem Start durch die Gegend laufe und alles betrachte, wirklich alles,
       als würde ich es zum letzten Mal sehen. Und ich finde es schön.“
       
       Rational ist die Aviophobie, so der Fachausdruck, schwer zu erklären, denn
       alles in allem gilt Fliegen als eine ziemlich sichere Angelegenheit.
       Vorausgesetzt, man vertraut sich nicht einer Fluglinie an, die mit
       Schrott-Fliegern unterwegs ist. Psychologen zählen die beklemmenden Gefühle
       vor dem Start daher zu den irrealen Ängsten. Genauso wie zum Beispiel die
       vor Spinnen, Mäusen und Zahnärzten.
       
       ## Klopfgeräusche
       
       „Generell kann man sagen, dass sich eine Flugangst in den meisten Fällen
       schleichend entwickelt“, erklärt der Psychologe Marc Trautmann, der ein
       Flugangstzentrum gegründet hat und seit über sechs Jahren Seminare
       anbietet. Auslöser können verdächtige Klopfgeräusche sein, ein
       „Durchstarten“ oder eine Turbulenz, wenn das Flugzeug plötzlich wie ein
       Stein Hundert Meter in die Tiefe sackt. Die angstbeladenen Gefühle werden
       im Gehirn als negativ abgespeichert. In der Zukunft neigt man dann dazu,
       die Angstauslöser, die mit Flugzeugen verbunden sind, mehr und mehr zu
       vermeiden. Und je länger ein Mensch auf das Fliegen verzichtet, desto mehr
       fühlt sich das Gehirn bestätigt und denkt: Die Sache muss doch gefährlich
       sein.
       
       Anfällig für Aviophobie sind Menschen mit einem erhöhten emotionalen
       Grundlevel, wie die Experten sagen. Einfacher ausgedrückt: Alle, die
       stressige Situationen eher schlecht verarbeiten können. Oder die gerade
       sehr belastet sind, weil sie zum Beispiel viel arbeiten oder eine Trennung
       hinter sich haben. Stress und Angst sind eng verschwistert. Denn Angst ist
       in ihrem funktionellen organischen Ablauf nichts anderes als Stress. Wer
       sich also mit diffusen Ängsten oder auch mit Platz- oder Höhenängsten
       plagt, ist gefährdeter als andere, die eher einen entspannten Alltag haben.
       Es gibt aber auch die Furcht um den Verlust der Kontrolle. Manche können
       den Gedanken kaum aushalten, sich dem Piloten anzuvertrauen. Manager, in
       der Regel Vielflieger , sind daher unter den Klienten von
       Flugangst-Therapeuten häufiger zu finden.
       
       Trautmann, der Psychologe, befragte vergangenes Jahr über Tausend
       Passagiere nach Ihrem Befinden vor und während des Fliegens. Anders als
       vermutet, leiden Männer genauso wie Frauen. Frauen gestehen sich allerdings
       ihre Ängste eher ein. Die meisten Männer warten hingegen mehrere Jahre,
       bevor sie Hilfe suchen. Die Symptome ähneln sich bei den Geschlechtern.
       Frauen neigen allerdings mehr zu Herzrasen und erhöhten Pulsschlag, während
       Männern öfters die Knie zittern, ein Hinweis auf starke Muskelverspannung.
       
       Die Furcht vor einem Absturz ist das stärkste angstmachende Kriterium, es
       folgt das Gefühl des Ausgeliefertseins und die Sorge vor Turbulenzen. Auch
       die Angst vor der Angst nannten einige der Befragten. Anna Kindermann sitzt
       während des Fluges anders als ihre LeidensgenossInnen mit relativer
       Gelassenheit auf ihrem Sitz. Denn jetzt kann sie, wie sie schicksalsergeben
       erklärt, ja sowieso nichts mehr machen. „Aber ich versaue mir den ganzen
       Aufenthalt, weil ich ständig an den Rückflug denken muss.“ Nach ihrer
       Rückkehr werde sie, verspricht sie ganz ernsthaft, den Boden küssen.
       
       So hilfreich sie in manchen Fällen sein mögen – Seminare gegen Flugangst
       sind kein Allheilmittel. „Jemand mit einer generalisierten Angsterkrankung
       muss in psychotherapeutische Behandlung, hier kann ein Seminar nur
       ergänzend helfen“, rät Trautmann. In leichteren Fällen können sich die
       Betroffenen auch selbst etwas Gutes tun. Zum Beispiel mit einer einfach zu
       erlernenden Atemtechnik, die den Atem wieder ruhiger werden lässt. Auch die
       Progressive Muskelentspannung nach Jacobson ist eine bewährte Methode.
       Dabei werden ganze Muskelgruppen bewusst angespannt, die nachfolgende
       Entspannung wird dann als besonders angenehm empfunden.
       
       ## Kopfgeräusche
       
       Ebenfalls ein Klassiker ist das autogene Training. Man muss es nur
       schaffen, sich auf einen bestimmten Gedanken wie „Ich bin ruhig und
       gelassen“ zu konzentrieren. Dann kann sich Körper und Gemüt langsam
       entspannen. Hilfreich ist es zudem, sich auf den Flug geistig
       vorzubereiten. Zum Beispiel frühzeitig zum Flughafen zu fahren, um Stress
       beim Einchecken zu vermeiden. Während des Fliegens eine CD hören, ein
       spannendes Buch lesen oder Dehnübungen auf dem Sitz machen. Mit dem
       Nachbarn politisieren, hilft auch. Die Stewardessen mit Fragen nerven –
       oder die Nachbarin beruhigen, wenn sie unter Flugangst leidet, ebenfalls.
       
       Eine schlechte Idee ist es hingegen, sich mit Beruhigungsmittel und Alkohol
       zu betäuben. Sie unterdrücken zwar die körperlichen Symptome, nicht aber
       die Angst. Benzodiazepame gelten zwar sonst als sehr zuverlässig, an Bord
       werden sie aber oft genug zu einem Glücksspiel. Entweder wirken sie
       überhaupt nicht, oder die Wirkung setzt erst viel zu spät ein. Und manchmal
       vergrößern sie die Angst noch. Das liegt vor allem an dem leicht
       abgesenkten Luftdruck und der trockenen Luft in der Kabine.
       
       Anna Kindermann ist übrigens vor einigen Tagen wieder glücklich in Berlin
       gelandet. Ob sie den Boden in Tegel geküsst hat?
       
       2 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Angelika Friedl
       
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