URI: 
       # taz.de -- Anschlag in Berlin: Terroranschlag oder Amokfahrt
       
       > Am Dienstag rammt ein Mann auf der A 100 vorsätzlich Fahrzeuge und
       > verletzt dabei sechs Menschen. Was war sein Motiv?
       
   IMG Bild: Spuren der Tat auf der A 100 am Dienstagabend in Berlin
       
       Wie „islamistisch“ war der Anschlag von Dienstag auf der A 100? War Sarmad
       A., ein 30-jähriger Geflüchteter aus Irak, ein „Islamist“ – oder psychisch
       krank? Oder beides? In Medien und Politik ist nun vielfach von einem
       „islamistisch motivierten Anschlag“ die Rede. Doch das sei vorschnell,
       kritisierte der Berliner Kinder- und Jugendpsychiater sowie Psychotherapeut
       Basel Allozy am Donnerstag gegenüber der taz. „Man muss erst einmal die
       Fakten sauber sortieren, um die Frage beantworten zu können: War es der
       Amoklauf eines psychisch Gestörten oder Extremismus?“
       
       Vieles spreche für Ersteres, so Allozy: Der Mann sei offenbar schon früher
       psychisch auffällig geworden, und er sei nach bisherigem Erkenntnisstand
       auch nicht in einer islamistischen Gruppe organisiert oder mit einer
       solchen in engerem Kontakt gewesen. „Dann kann man seine schreckliche Tat
       aber auch nicht dem islamistischen Terror zuschieben“, so Allozy.
       
       Innensenator Andreas Geisel (SPD) sprach am Donnerstag im Abgeordnetenhaus
       von einem Angriff „aus islamistischer Motivation heraus, gepaart mit
       psychischen Motiven des Täters“. Berlin bleibt aus seiner Sicht im Fokus
       des Terrorismus, „unabhängig davon, ob das Netzwerke oder Einzeltäter
       sind“.
       
       A. hatte am Dienstag auf der Autobahn A 100 mit seinem Wagen mehrere
       Motorradfahrer und Autos gerammt, sechs Menschen wurden verletzt, drei
       davon schwer. Laut Generalstaatsanwältin Margarete Koppers, die dazu am
       Mittwoch im Rechtsausschuss Auskunft gab, hat der Täter seinen Wagen an
       einer Autoahnabfahrt verlassen, in arabischer Sprache erklärt, dass alle
       sterben würden, und auf Arabisch „Gott ist groß“ gerufen. Gehört habe dies
       ein arabisch sprechender Polizist, der unter den ersten Eintreffenden war.
       
       ## Dem Staatsschutz bekannt
       
       Auf seiner Facebook-Seite, die inzwischen gesperrt ist, soll A. zudem nach
       Medienberichten etwas von „Märtyrer“ geschrieben haben. Bislang ist den
       Behörden aber nicht bekannt, dass er in der islamistischen Szene unterwegs
       war. Laut Geisel hatte der Staatsschutz den Mann „zwar als einen Bekannten
       eines Gefährders hier in Berlin registriert“ – die beiden hätten zusammen
       in einem Wohnheim gelebt. „Das ist aber schon eine ganze Weile her.“
       
       Gleichzeitig gibt es Hinweise auf schwere psychische Probleme bei dem
       mutmaßlichen Täter, der am Mittwochabend vorerst im Maßregelvollzug, dem
       Haftkrankenhaus, untergebracht wurde, wo er psychiatrisch behandelt wird.
       In der Flüchtlingsunterkunft in Treptow-Köpenick, wo der abgelehnte
       Asylbewerber mit Duldungsstatus wohl von 2016 bis 2019 lebte, fiel er mit
       körperlicher Gewalt auf – im Gerichtsverfahren wurde ihm zeitweilige
       Schuldunfähigkeit attestiert, und er wurde psychiatrisch untergebracht.
       Warum er daraus relativ schnell entlassen wurde, ist noch unklar.
       
       In den letzten Jahren hat es immer wieder Anschläge gegeben, bei denen sich
       eine psychische Störung und mutmaßlich religiös fundierte Motive gepaart
       hatten – zuletzt bei einem Messerangriff im Januar in Gelsenkirchen. Darauf
       spielte auch Koppers im Rechtsausschuss am Mittwoch an: „Es ist leider ein
       Phänomen in letzter Zeit, dass vermehrt psychisch auffällige Personen
       entweder instrumentalisiert werden oder sich radikalisiert haben.“
       
       Im Inforadio erklärte Dominic Kudlacek, Professor für Sicherheitsmanagement
       an der Hochschule Bremerhaven, am Donnerstagmorgen, der Zusammenhang
       zwischen psychischer Erkrankung und Radikalisierung sei inzwischen gut
       erforscht. Er sprach unter anderem von einer eigenen Studie zu Anschlägen,
       die zwischen 2001 und 2016 in Deutschland begangen wurden. Dazu seien 170
       Anschläge ähnlichen Kalibers wie der auf der A 100 untersucht worden,
       Kudlacek nennt das „low level terrorism“, wo Alltagsgegenstände wie Autos,
       Äxte und dergleichen zu Waffen werden.
       
       ## Forscher: „Gefährliche Kombination“
       
       Bei dem Großteil der Täter hätten psychiatrische Diagnosen vorgelegen,
       sagte er. Zugleich hätten die Täter aber auch eine Verbindung zu
       extremistischen Netzwerken „in der realen Welt“. Die Kombination aus
       einschlägiger psychischer Erkrankung, Gewaltbereitschaft und der Verbindung
       in entsprechende Milieus sei eine gefährliche Kombination, so der
       Wissenschaftler.
       
       Allozy wiederum sagte der taz, es gebe hierzulande eine Tendenz, Straftaten
       von Muslimen oder muslimisch gelesenen Menschen schnell als „islamistisch“
       zu verorten. „Es geht nicht darum, Terror kleinzureden“, betonte er. „Aber
       nicht jeden Amoklauf eines Muslimen kann man Islamisten in die Schuhe
       schieben.“
       
       Der Attentäter von Christchurch sei umgekehrt auch nicht (von Muslimen) als
       „christlicher Terror“ bezeichnet worden – obwohl es damals vom Täter
       durchaus Äußerungen in diese Richtung gegeben habe. Zu einem
       extremistischen Anschlag – ob islamistisch, rechtsradikal oder linksradikal
       – gehörten ein klares Bewusstsein und ein gezielter Wille.
       
       20 Aug 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
   DIR Stefan Alberti
       
       ## TAGS
       
   DIR Islamismus
   DIR Terrorismus
   DIR Anschlag
   DIR Bundeskanzleramt
   DIR Adopt a Revolution
   DIR A100
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Vorfall in Berlin: Auto fährt in Tor des Kanzleramts
       
       In Berlin ist laut Augenzeugen ein Mann mit einem VW Kombi in das Tor des
       Bundeskanzleramts gefahren.
       
   DIR Messerattacke in Dresden: Verdächtigter wurde beobachtet
       
       Ein Islamist gilt für die Messerattacke von Dresden als tatverdächtig. Die
       Sicherheitsbehörden haben ihn noch am Tattag beobachtet.
       
   DIR Mehrere Verletzte auf der A100 in Berlin: Ermittler gehen von Anschlag aus
       
       Laut Staatsanwaltschaft handelt es sich bei dem Vorfall auf der A100 um
       einen islamistisch motivierten Anschlag. Auch gebe es Hinweise auf
       psychische Probleme des Fahrers.