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       # taz.de -- Antifa-Aktivisten über die Bewegung: „Raus aus der Abschottung“
       
       > Der Antifaschistischen Aktion fehlen Gegner und Nachwuchs. Stattdessen
       > rücken rechte Populisten in den Fokus – und Sozialpolitik.
       
   IMG Bild: „Die Antifa hat sich als Marke etabliert.“
       
       taz: Herr Obens, am Sonntag findet in Berlin der erste Antifa-Kongress seit
       Jahren statt, unter dem Titel [1][„Antifa in der Krise“]. Bezieht sich das
       nur auf die Wirtschaftskrise? 
       
       Henning Obens: Der Titel ist auf jeden Fall doppeldeutig gemeint. Er
       bezieht sich auf die Wirtschaftskrise – die hat neue Formen von Rassismus
       herausgebracht, einen Nord-Süd-Chauvinismus, der die Krise auf die
       „Faulheit“ oder Unfähigkeit der Südeuropäer schiebt. Das haben die Medien
       deutlich zum Ausdruck gebracht: „Pleite-Griechen“, „Zypri-Idioten“,
       „Siesta-Spanier“. Aber mit der Krise ist auch die Krise der Antifa gemeint.
       
       Hat die Antifa in den letzten Jahren nicht eher an Akzeptanz gewonnen? 
       
       Martin Peters: Der Redstuff-Versand hat Antifa als eine Marke etabliert und
       damit das Symbol bekannter gemacht. Man kann heute auf einer Demo
       problemlos die Antifa-Fahne mit sich tragen, das ist akzeptiert. Und die
       Blockaden von Nazi-Aufmärschen, vor allem in Dresden, das war natürlich ein
       Erfolg.
       
       Obens: Dieses Blockade-Konzept wird heute an ganz vielen Orten eingesetzt,
       nicht mehr nur von der Antifa, sondern von breiten, zivilgesellschaftlichen
       Bündnissen, die damit Nazi-Märsche durch ihre Städte verhindern.
       
       Hat die Antifa ihr Alleinstellungsmerkmal verloren? 
       
       Obens: Nein, das ist eine sehr positive Entwicklung. Die Krise der Antifa
       liegt auf mehreren Ebenen. Zum einen ist es ein Nachwuchsproblem. Zumindest
       für Berlin und Hamburg kann ich sagen, dass die Zahl der Antifa-Gruppen
       enorm abgenommen hat die letzten Jahre. Wir haben mit [2][„à gauche“] jetzt
       eine Nachwuchsgruppe. Ob dadurch wieder mehr Leute dazukommen, muss sich
       zeigen. Es gibt aber auch eine Unklarheit über die Frage: Welche Rolle
       nimmt die Antifa eigentlich ein?
       
       Das war früher klar: Die Antifa waren die, die sich gut mit Nazis
       auskennen. 
       
       Obens: Diese Expertise ist auf die Projekte übergegangen, die der Staat
       finanziert, die Opferberatungsstellen, die Mobilen Beratungen gegen
       Rechtsextremismus. Da gab es einen gewissen „Braindrain“. Den Bewegungen
       sind ihre fittesten Leute abhanden gekommen. Aber das Problem liegt auch
       daran, dass die Nazi-Schlägertrupps heute nicht mehr das Hauptproblem
       darstellen.
       
       Peters: Das kommt auf die Perspektive an. Für die Antifas, die sich bequem
       in ihren linken Quartieren in den Metropolen eingerichtet haben, mag das so
       aussehen. Aber wenn man mal an den Stadtrand fährt, sieht das ganz anders
       aus. Trotzdem stimme ich dir zu: Die klassische Antifa-Strategie des
       „Search and Destroy“, also das Aufspüren, Outen oder Angreifen von Nazis,
       das ist vorbei.
       
       Zeigt die Aufdeckung des NSU nicht, dass genau das nötig ist? 
       
       Peters: Der NSU ist 2000 in den Untergrund gegangen. Er ist ein Phänomen
       dieser Zeit, eine sehr radikale Form von Widerstand gegen Entwicklungen und
       Debatten, die in dieser Zeit begannen: dass sich Deutschland allmählich als
       Einwanderungsland verstand. Das war genau die Zeit, als sich Teile der
       Antifa dem staatlich bezuschussten Antifaschismus zuwandten.
       
       Der Antifa ist also der Gegner abhandengekommen? 
       
       Obens: Er hat sich verändert. Wir haben eine ganz andere Situation als in
       den 1990ern. Auch jetzt hetzen rechte Parteien gegen Flüchtlingsheime, aber
       anders als vor 20 Jahren stehen die Medien und die Politik nicht auf ihrer
       Seite. In weiten Teilen der Gesellschaft, nicht nur im linken Milieu, ist
       Faschismus nicht akzeptiert. Aber gleichzeitig gibt es in ganz Europa im
       Zuge der Krise heftige Verschiebungen nach rechts, überall gewinnen
       rechtspopulistische Parteien. Sarrazin, jetzt die AfD. Wir sind plötzlich
       mit einem Extremismus der Mitte konfrontiert, gegen den die klassischen
       Antifa-Strategien nichts bringen.
       
       Peters: Was wir bisher gemacht haben, etwa NPD-Mitglieder in ihren Vierteln
       oder der Presse „outen“, das funktioniert bei der AfD nicht. Das Einzige,
       was wir als Antifa derzeit machen, ist das Aufdecken von Kadern anderer
       rechter Parteien in der AfD. Damit machen wir genau das Gleiche wie auch
       die SPD oder die Grünen. Das ist zu wenig. Die Antifa muss davon wegkommen,
       nur auf klassische Nazi-Parteien wie die NPD zu schauen, und ökonomische
       Fragen einbeziehen.
       
       Ist das Problem tatsächlich neu? Versuche, neue rechte Parteien zu
       etablieren, gab es immer wieder, und sie sind immer gescheitert. 
       
       Obens: Die AfD unterscheidet sich davon, sie ist keine neue NPD. Das ist
       ein Elitenprojekt. Es ist spannend zu sehen, woher die meisten Kader
       kommen. Die stammen alle aus der politischen Elite. Leute, die Angst haben,
       vielleicht auch im Rahmen des europäischen Projekts, ihre privilegierte
       Rolle zu verlieren, nicht mehr Flüsterer am Ohr der Herrschenden zu sein.
       
       Peters: Aber die Wähler der AfD stammen nicht aus der Elite. Das geht quer
       durch alle Schichten. In Berlin zeigt sich trotzdem: Die höchsten
       Stimmenanteile hat sie dort, wo auch die NPD viele Wähler hatte. Und bei
       Leuten, die sich eigentlich als eher unpolitisch verstehen.
       
       Obens: Die AfD ist aber keine klassisch rassistische Partei.
       
       Peters: Das kommt darauf an, was man unter Rassismus versteht. Die AfD
       vertritt keinen biologischen Rassismus. Offener Rassismus ist bis weit in
       die Mitte der Gesellschaft abgelehnt. Aber eben nur in seiner biologischen
       Form. Dafür hat sich der Rassismus in seiner kulturalistischen Form bis
       weit in die Mitte der Gesellschaft ausgebreitet. Seit man von „Kultur“
       redet und nicht mehr von Rassen, kann jeder Rassist sein.
       
       Obens: Die AfD vertritt Neoliberalismus in seiner extremsten Form, mit all
       der Verachtung und Ablehnung für Arme, Schwache. Im Grunde ist das ein
       gigantisches Umverteilungsprojekt, von unten nach oben. Die Gefahr ist,
       dass die Etablierung dieser Partei eine Rechtsverschiebung der Gesellschaft
       bewirkt.
       
       Und es gibt keine Idee, was die Antifa gegen die AfD unternehmen kann? 
       
       Peters: Doch. Jetzt zur Europa-Wahl drucken wir Flyer, auf denen Auszüge
       aus dem AfD-Programm stehen, und die werfen wir genau in den betroffenen
       Gegenden in die Briefkästen. Die Leute sollen sehen, wofür die Partei
       eigentlich steht: Für Sozialabbau, dafür, dass Arbeitslosen das Wahlrecht
       entzogen werden kann. Die AfD hat eine enorm gute
       Selbstvermarktungsstrategie – wenn sie offen sagen würde, was sie
       eigentlich anstrebt, hätte sie längst nicht solch einen Erfolg. Ihre Pläne
       würden genau denen schaden, die sie umwirbt: den Armen, Abgehängten.
       
       Obens: Da seid ihr weiter als wir. Wir stehen da erst am Anfang einer
       Diskussion: Wie kann man auf diese veränderten Koordinaten reagieren?
       Bisher haben wir keine Krisenerzählung, die wir der der rechten Parteien
       entgegensetzten können. Klar ist nur, dass wir dabei die Chance und
       Notwendigkeit für einen neuen Internationalismus haben. Dabei dürfen wir
       uns auch nicht scheuen, von Klassenkampf zu sprechen.
       
       Die Rückkehr der Klassenkämpfe? 
       
       Obens: Das klingt nach einem antiquierten Wort, aber es trifft den Kern.
       Die AfD macht sich die diffusen Krisenängste der Mittelschichten zunutze.
       Dem muss man etwas entgegensetzen.
       
       Das macht doch schon die Linkspartei. 
       
       Obens: Ein klassenkämpferischer Anspruch ist kein Privileg der Linkspartei.
       Wir müssen eine Gegenmacht organisieren, und dazu braucht es breite
       Bündnisse. Wir haben 2008, zu Beginn der Krise, einen guten Anfang gemacht
       mit der Demonstration „Wir zahlen nicht für eure Krise“. Wir sind Teil der
       interventionistischen Linken und darüber auch an den Blockupy-Protesten
       beteiligt.
       
       Peters: Das ist alles so abgehoben, so abstrakt. Wir müssen in unserer
       Arbeit praktischer werden. Rein in die Stadtquartiere, mit den Menschen
       zusammen an ihren alltäglichen Probleme ansetzen. Gerade in Berlin ist die
       linke Szene vollkommen abgekoppelt von der Realität der Stadt. Es gibt
       linke Strukturen, Häuser oder Läden, aber es gibt keine Jugendarbeit. Die
       Aktivisten kommen aus anderen Städten, studieren an der Uni, haben ihre
       Politgruppe, ihre zwei oder drei Stammkneipen, sie leben in einer Art
       Parallelwelt und kommen gar nicht mehr in Kontakt mit den Problemen der
       Stadt. Das fängt ja schon bei den linken Räumen an: Wer darf denn da rein?
       
       Obens: Das stimmt so nicht. Wir bemühen uns, auch in lokalen Bündnissen
       präsent zu sein. Ein Teil unserer Gruppe ist an den Protesten gegen hohe
       Mieten und Gentrifizierung beteiligt.
       
       Die Antifa macht Sozialpolitik? 
       
       Peters: So neu ist das nicht. Es gab auch früher eine Tradition der
       autonomen Stadtteilarbeit, von der noch einzelne Kneipen und soziale
       Zentren übrig sind.
       
       Obens: Aber es gibt aktuell eine Tendenz: Raus aus der autonomen
       Abschottung, hin zu breiteren gesellschaftlichen Bündnissen. Wir nehmen
       unsere Aktionsformen mit, das ist das, was wir beitragen können. Unsere
       Blockadetaktiken funktionieren auch bei Zwangsräumung. Als ich gesehen
       habe, dass die Schlecker-Frauen, die abgewickelt werden sollten, sich vor
       der Zentrale auf den Boden gesetzt haben – das hat mich gefreut.
       
       11 Apr 2014
       
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