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       # taz.de -- Antisemitismus in Mexiko: Die Präsidentin bleibt eine Fremde
       
       > Claudia Sheinbaum ist die erste Präsidentin Mexikos und jüdisch. Im Land
       > kündigen sich jetzt misogyne und antisemitische Ressentiments an.
       
   IMG Bild: Claudia Sheinbaum, die gewählte Präsidentin Mexikos, begrüßt ihre Anhänger in Mexiko-Stadt, Mexiko, am 13. September 2024
       
       Die Stimmung war gut, die Straßen waren voller feiernder Menschen. Folglich
       war es nicht ganz einfach, ein Taxi zu finden, nachdem die Gewinnerin der
       mexikanischen Präsidentschaftswahlen nachts um eins ihren Sieg im Zentrum
       von Mexiko-Stadt gefeiert hatte. Was er denn davon halte, [1][dass Claudia
       Sheinbaum künftig das Land regieren werde], wollte ich von dem Fahrer
       wissen, der mich dann doch noch, etwas genervt von dem vielen Trubel, in
       den Süden der Stadt brachte. „Nichts“, meinte der. Sie sei nicht von hier
       und im Übrigen Jüdin.
       
       Ja und? „Jüdin“, raunzte er noch einmal in entschlossenem Tonfall. Schon
       vorher war mir auf einer Veranstaltung der konservativen Opposition eine
       Frau begegnet, die in ähnlichem Sinne erklärte: „Sheinbaum ist keine von
       uns.“
       
       Seit der Wahlnacht sind ein paar Monate vergangen, aber Anfang Oktober wird
       mit Sheinbaum von der gemäßigt linken Morena-Partei erstmals eine Frau und
       Jüdin mexikanisches Staatsoberhaupt. Die 62-Jährige hat ihre religiöse
       Herkunft nie thematisiert, doch mit der Amtsübernahme ist zu befürchten,
       dass sich misogyne und antisemitische Ressentiments Bahn brechen werden.
       
       ## Ein vom Katholizismus dominiertes konservatives Land
       
       Im offiziellen Diskurs war davon während des Wahlkampfs zum Glück wenig zu
       hören, und immerhin haben 60 Prozent der Wähler*innen des vom
       Katholizismus dominierten konservativen Landes Sheinbaum ihre Stimme
       gegeben. Weder Rechte noch Linksradikale nutzten ihren familiären
       Hintergrund für verschwörungsideologische Theorien. Auch Hetzkommentare in
       sozialen Medien hielten sich in Grenzen.
       
       Nur der wirtschaftsliberale Ex-Präsident Vicente Fox stach hervor, weil er
       Sheinbaum als „Jüdin und zugleich Ausländerin“ bezeichnete. Den eigentlich
       gar nicht zulässigen Erklärungsversuch, sie sei doch hier geboren, wollte
       auch mein Taxifahrer nicht akzeptieren. Das Enkelkind bulgarischer Juden,
       die 1940 vor dem Holocaust flohen, und litauischer jüdischer Einwanderer,
       die 1920 nach Mexiko kamen, bleibt eine Fremde. Eine, die nicht zu „uns“
       gehört.
       
       Unweigerlich diskutiert so mancher Kolumnist, so manche Kolumnistin nun die
       Frage, ob sich mit Sheinbaum die Haltung der Regierung zum Gazakrieg ändern
       werde. „Der katastrophale Konflikt zwischen Israel und der Hamas könnte für
       sie zu einem ausgesprochen heiklen Thema werden“, schreibt etwa der
       Geisteswissenschaftler Ilan Stavans in der New York Times. Zu Recht
       erinnert der Autor daran, dass die linken Regierungen Lateinamerikas „einen
       antiisraelischen Hang“ haben und, „ob es uns gefällt oder nicht, wir
       lateinamerikanischen Juden mit Israel assoziiert werden“.
       
       ## Zwei-Staaten-Lösung und Empathie für alle Opfer
       
       Doch im Gegensatz etwa zu Kolumbiens Staatschef Gustavo Petro, der im
       Gazastreifen gleich eine Kopie von Auschwitz erkannte, blieb Mexikos
       Präsident Andrés Manuel López Obrador auf dem Teppich. Zwar schloss sich
       seine Regierung der [2][Genozid-Klage Südafrikas gegen Israel vor dem
       Internationalen Strafgerichtshof] an, doch am nächsten Tag stellte der
       Staatschef klar, er sei in dem Konflikt neutral. Der Völkermordvorwurf
       vertiefe das Problem, anstatt es zu lösen.
       
       Vieles spricht dafür, dass Sheinbaum der Linie ihres Vorgängers treu
       bleibt: Zwei-Staaten-Lösung und Empathie für alle Opfer des Krieges.
       Zugleich wies sie in ihrem Amt als Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt schon
       2019 Kritiker*innen deutlich zurück, die ihre Nähe zu jüdischen
       Israel-freundlichen Organisationen monierten: Sie werde sich „der Agenda
       antiisraelischer und antisemitischer Gruppen nicht unterordnen“.
       
       Sollte sie bei ihrer Haltung bleiben, könnte das Folgen haben. Denn
       angesichts des „fürchterlichen Konflikts im Nahen Osten wurde sie wegen
       ihrer jüdischen Herkunft seit ihrer Wahl Ziel des zeitgenössischen
       Antisemitismus“, betont der Kolumnist Arnoldo Kraus in der Tageszeitung El
       País.
       
       Auch den christlichen Antisemitismus wird sie wortwörtlich nicht aus den
       Augen verlieren. Unweit ihres Regierungssitzes liegt der Palast der
       Inquisition. Dort wurden in kolonialen Zeiten Jüdinnen und Juden gefoltert,
       die trotz der zwangsweisen Christianisierung heimlich ihren Glauben
       praktizierten.
       
       17 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Sheinbaum-wird-Mexikos-neue-Praesidentin/!6014973
   DIR [2] /Internationaler-Gerichtshof/!5985388
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wolf-Dieter Vogel
       
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