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       # taz.de -- Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten: Riders on the Storm
       
       > Die Gorillas-Rider trommeln zur Demo. Aber sie sind längst nicht die
       > einzigen, die unter schlechten Arbeitsbedingungen leiden.
       
   IMG Bild: Allein machen sie Dich ein
       
       Berlin taz | Es könnte die größte Protestaktion der Fahrer:innen des
       [1][Lebensmittellieferdienstes Gorillas] werden. Schon seit zwei Wochen
       trommelt das Workers Collective der seit Monaten kämpfenden Rider für ihre
       [2][Demo am Dienstagnachmittag], die von etwa 20 linken Organisationen
       unterstützt wird. Doch Gorillas ist nur eines von inzwischen mehr als einem
       halben Dutzend Unternehmen, die in dem Liefermarkt von Lebensmitteln und
       Restaurantbestellungen konkurrieren.
       
       Auf den Websites der Unternehmen von Wolt bis Foodpanda werden ein
       garantierter Mindestlohn, flexible Arbeitszeiten und ein Support für die
       Kuriere versprochen. Schaut man hinter die Fassade, sind schlechte
       Arbeitsbedingungen allerdings nicht nur bei Gorillas die Regel. Kuriere
       beklagen, dass sie oft zu spät oder falsch bezahlt werden. Sie fahren auf
       teils kaputten Rädern und in schlechter Ausrüstung oder müssen auf das
       eigene Rad oder Handy zurückgreifen.
       
       Dabei geben sich die Unternehmen im Wettbewerb um die Fahrer:innen
       generös. Wolt, ein Technologie-Start-up aus Helsinki, beschreibt sich als
       „tief verwurzelt im Modell des skandinavischen Wohlfahrtsstaates“. Flexible
       Vertragsoptionen und der garantierte Mindeststundenlohn von 11 Euro sollen
       potenzielle Rider locken. Alle Rider sollen außerdem ihr gesamtes Trinkgeld
       behalten dürfen.
       
       Die Bezahlung bei den Lieferdiensten läuft folgendermaßen: Pro
       ausgelieferte Bestellung bekommen Rider einen Betrag, bei Wolt und
       Foodpanda sind das um die 4 Euro. Unterschreitet die Summe der
       ausgelieferten Bestellungen pro Stunde die 11 Euro, bekommen die Rider bei
       beiden Diensten den Stundenlohn ausgezahlt. Auch Gorillas verfährt seit
       Neuestem nach diesem Modell.
       
       ## Nach der Befristung wird's schlechter
       
       Ein ehemaliger Programmierer arbeitet seit Februar bei Wolt. „Ich habe
       meinen Bürojob gekündigt, weil ich die Tage nicht mehr hinter dem
       Schreibtisch verbringen wollte“, sagt er. Als er seine Arbeit als Rider
       begann, schneite es in Berlin – das schlechte Wetter sieht er als Teil
       seiner Arbeit. „Die findet nun mal draußen statt“, sagt er. Generell
       gefällt ihm die Arbeit, man könne gutes Geld verdienen. Doch er habe in der
       Vergangenheit auch Probleme mit dem Support des Unternehmens gehabt, und
       viele Kolleg:innen hätten mehrere Monate keinen Lohn erhalten. Am
       meisten stören ihn allerdings die befristeten Verträge.
       
       Denn: Wenn die Rider ihr Arbeitsverhältnis verlängern wollen, müssen sie
       neue Verträge mit meist niedrigeren Lohnvereinbarungen unterzeichnen. Wohl
       ein Grund dafür, dass so viele Rider zum Konkurrenten Foodpanda gewechselt
       sind, der unbefristete Verträge anbietet, vermutet der Fahrer. „Man sieht
       ja, dass die Stadt voll mit Werbekampagnen von Wolt ist“, sagt er, „das
       liegt daran, dass ihnen die Leute weggelaufen sind.“
       
       So war es auch bei einer Riderin, die fünf Monate für Wolt Lebensmittel
       ausgeliefert hatte, bevor sie im Mai zur Konkurrenz gewechselt ist. Sie
       habe unterschrieben, keine Details über das Arbeitsverhältnis preiszugeben,
       deswegen möchte sie anonym bleiben. Bei Wolt habe sie besonders gestört,
       dass es keinen festen Zahltag gab. Das habe ihr die finanzielle Planung
       erschwert. Auch habe sie oft wochenlang auf Antworten vom Support gewartet.
       Zu Beginn schien ihr der Job bei Foodpanda tatsächlich besser: Die
       Rücksäcke waren leichter, bequemer und die Verträge unbefristet – im
       Gegensatz zu Wolt, wo die Rider mit einer maximalen Vertragsdauer von sechs
       Monaten angestellt werden.
       
       ## „In Zucker umwickelte Lüge“
       
       „Bei Foodpanda hat mir besonders gefallen, dass ich mir die Zone aussuchen
       konnte, in der ich Lebensmittel und Restaurantgerichte ausliefern sollte“,
       sagt sie. Sie habe auf kürzere Fahrwege gehofft. „So wollte ich vermeiden,
       dass ich zu Schichtende weit weg von zu Hause war und noch eine Stunde
       Heimweg einplanen muss“, sagt sie. Aber das erwies sich als eine „in Zucker
       umwickelte Lüge“, sagt sie: „Wir können zu Schichtbeginn zwar eine
       Startzone wählen, die fällt aber in ein größeres Liefergebiet.“ Deswegen
       seien die Fahrtwege letztendlich doch länger als gedacht. „Als ich das
       rausgefunden habe, habe ich mich betrogen gefühlt“, sagt die Riderin.
       
       Warum aber ging der Protest vor allem von den Gorillas aus? „Sie versammeln
       sich vor den Warenhäusern und warten dort gemeinsam, bis Aufträge
       eingehen“, sagt der Wolt-Rider. „Die Gemeinschaft untereinander scheint
       stärker zu sein“, vermutet er. Bei Wolt würden sich die Fahrradkuriere, die
       individuell Restaurantbestellungen ausliefern, zwar grüßen, wenn sie sich
       auf der Straße entgegenfahren, generell nehme er die Arbeit aber als
       „isolierter“ wahr.
       
       Auf den wilden Streiks vor den Warenhäusern von Gorillas haben die Rider
       für korrekte und pünktliche Löhne und regelmäßig gewartete Fahrräder
       gestreikt. Sie beschwerten sich über lockere Sattel und brechende Lenker.
       Während Getir, Flink und Gorillas ihren Ridern Fahrräder stellen, fahren
       Kuriere bei Wolt, Lieferando oder Foodpanda bislang für eine Entschädigung
       im Cent-Bereich pro gefahrenen Kilometer ihr eigenes Rad. Das könnte sich
       ändern. Vergangene Woche war eine Klage eines Lieferando-Kuriers vor dem
       Bundesarbeitsgericht erfolgreich. Demnach haben Rider einen Anspruch auf
       ein Diensthandy und auf ein Dienstfahrrad, das die Unternehmen ihren zur
       Verfügung stellen müssen.
       
       Die Fahrer:innen von Lieferando sind die Ersten, die jenen von Gorillas
       nacheifern und sich in einem Workers Collective organisieren. Ein Brief mit
       der Forderung nach besserer Ausstattung, wie Handschuhen, wurde vergangene
       Woche an die Unternehmenszentrale geschickt. Sollten die Forderungen nicht
       erfüllt werden, droht das Collective auf einer neuen Twitterseite mit
       „weiteren Aktionen“.
       
       Der Protestaufruf der Gorillas-Rider für Dienstag 17 Uhr vor dem Warehouse
       in der Muskauer Straße in Kreuzberg könnte auf große Solidarität anderer
       Fahrer:innen stoßen. „Ich denke, dem Streik werden sich viele
       anschließen und für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen“, sagt die
       Foodpanda-Fahrerin.
       
       16 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gorillas/!t5783381
   DIR [2] https://twitter.com/GorillasWorkers/status/1458413852593463301
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sara Guglielmino
       
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