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       # taz.de -- „Zieh dich an wie deine Wohnung“
       
       > Beim Szeneevent „Olympiade von hinten“ wurde für den Erhalt alternativer
       > Kultur demonstriert und das sportivste Hausprojekt ermittelt
       
       Die Regeln waren leicht verständlich: Es gab keine. Beim Friedrichshainer
       Häuserrennen am Samstag galt es lediglich, sich ein irgendwie
       fahrtaugliches Stück Wohnraum zusammenzubasteln und dann damit gegen die
       beinharte Konkurrenz auf der Piste anzutreten. Das „wichtigste Rennen der
       Saison“ fand im Rahmen der „Olympiade von hinten“ statt, ein knappes
       Dutzend Teams aus ehemals besetzten Häusern und Wohnprojekten beteiligte
       sich.
       
       Schon lange vor dem Startschuss um 19 Uhr trafen sich die Fans des
       Häuser-Rennsports, um die Boliden in Augenschein zu nehmen. Vom
       Forckenbeckplatz aus demonstrierten einige hundert Menschen – mittenmang
       die Rennhäuser – für den Erhalt der unkommerziellen Kulturprojekte in
       Friedrichshain. In Redebeiträgen wurde gefordert, „bei Haussanierungen auf
       die Bedürfnisse der Menschen Rücksicht zu nehmen.“ Die immer umfassender
       durchgeführten Luxussanierungen würden zu Mietpreiserhöhungen führen, durch
       die unter anderem alternative Projekte vertrieben und so aus Friedrichshain
       ein überteuerter, steriler Vorzeigebezirk gemacht wird. Ein Redner wies auf
       die vorerst gescheiterten Verhandlungen der noch besetzten Rigaer Straße 94
       um ein Ersatzobjekt. Die Demo führte unter anderem am Samahaus in der
       Samariterstraße vorbei. Auch dort stand der Samstag ganz im Zeichen des
       Sports. Vor allem Kinder versuchten sich in Friedrichshainer
       Olympiadisziplinen wie Kunstspringen vom 30-Zentimeter-Turm oder beim
       Hundekacke-Hindernislauf.
       
       Der Rennstall des Kultur- und Wohnzentrums Supamolly nutzte – wie einige
       andere auch – die Demoroute zum Warm-up. Das Fahrgestell bestand aus
       Einkaufswagen, auf denen ein liebevoll gebasteltes Modellhäuschen
       installiert war. Selbst aus Reihen der Konkurrenz erntete die Konstruktion
       anerkennende Blicke. Beeindruckend auch der an die vier Meter hohe
       Papp-Wolkenkratzer, gebaut und gesteuert von Leuten aus der Voigtstraße 36.
       Die rosa Fassadenfarbe wirkte betont harmlos, doch unter Kennern wurde das
       Team als aussichtsreicher Titelaspirant gehandelt.
       
       Die Demo bog schließlich auf die Frankfurter Allee, es war Zeit für den
       Showdown. Für Ordnung am Start sorgte ein Trupp der „Schnellen
       Eingreiftruppe der Polizei“. Mit Schneckenhäuschen waren die Unparteiischen
       ausstaffiert und verhinderten mit ihren Winkkellen freundlich, aber
       bestimmt Fehlstarts allzu enthusiastischer Rennhäuser. Die wirklichen
       Polizisten hielten sich zurück. Der Star-Wars-Soundtrack schallte aus den
       Lautsprecherboxen, plötzlich ertönte das Startsignal.
       
       Und los ging’s. Schon nach den ersten Metern zeigte sich, dass die Häuser
       mit der spektakulärsten Optik auch die schnellsten sind. Teilnehmer, die
       sich nur in einen bemalten Pappkarton zwängten oder ein Puppenhäuschen aufs
       Skateboard schnallten, fielen schnell zurück. Es zahlte sich aus, die
       Kräfte einzuteilen: Die Ziellinie war anfangs nur gute 100 Meter vom Start
       entfernt, doch gemeinerweise wurde sie eilends direkt nach dem Startschuss
       noch um ein paar hundert Meter versetzt.
       
       Durch die sich nah an der Strecke drängelnden Zuschauer erforderte das
       Rennen höchste Konzentration, das von fünf Olympioniken angeschobene
       Hochhaus aus der Voigtstraße kam zwischenzeitlich bedenklich ins Wanken.
       Haarscharf vor den Verfolgern brauste schließlich der Bolide der
       Schreinerstraße als Erstes ins Ziel. Zweiter war die Voigtstraße, Bronze
       ging an das Team vom Supamolly.
       
       Mit Sprechchören „Keiner ist gemeiner als die Schreiner“ feierten die Fans
       des Erstplatzierten. Sportlich fair wurde von allen Seiten gratuliert, nur
       aus den Reihen der Supamolly flogen Wasserbomben auf die Konkurrenz. „Wir
       wollten eigentlich gewinnen, doch die Strecke war sehr, sehr schwierig“,
       analysierte Jens vom Voigtstraßen-Rennstall den Ausgang des Rennens. Eine
       Woche lang hatten der 22-Jährige und seine Mitbewohner an ihrem Rennhaus
       gebastelt und sich „intensivst“ vorbereitet. Ausschreitungen enttäuschter
       Voigtstraßen-Hooligans fürchtete Jens nicht, tatsächlich blieb es
       friedlich. „Die politische Message rüberzubringen ist allen wichitger. Und
       der zweite Platz ist ja auch ein superbes Ergebnis.“
       
       Neben Demo und Rennen fanden am Wochenende noch dutzende andere
       Veranstaltungen der „Olympiade von hinten“ statt. Am Sonntag wurde etwa ein
       Bootstriathlon für alternative Hausprojekte ausgetragen.
       
       CHRISTOPH SCHULZE
       
       1 Jul 2002
       
       ## AUTOREN
       
   DIR CHRISTOPH SCHULZE
       
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