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       # taz.de -- Retorten-Provinz
       
       > ■ Tatort: Tod im Häcksler, Sonntag, ARD, 20.15 Uhr
       
       Also, wenn dem Südwestfunk am Montag ein geharnischtes Protestschreiben aus
       dem Kanzleramt ins Haus geflattert ist, ganz verdenken könnte man Herrn Dr.
       Kohl die Empörung über eine beispiellose Verunglimpfung des Pfälzers und
       seines Wesens nicht. Daß die forsche Jungkommissarin Lena Odenthal, alias
       Ulrike Folkerts, einen offerierten Saumagen barsch zurückwies, mochte ja
       noch angehen. Aber ein ganzes pfälzisches Dorf über neunzig Minuten als
       eine pittoreske Gemeinschaft von tumben Hinterwäldlern zu präsentieren, das
       war schon ein starkes Stück. Doch Regisseur Nico Hoffmann hatte sich
       offenbar in den Kopf gesetzt, mal so richtig den deutschen Provinzmief ins
       Zentrum eines Krimis zu setzen. Und in diesem Vorhaben hatte er seine
       Ausstatter zu wahren Höchstleistungen getrieben.
       
       Als hätte nie ein Versandhauskatalog die pfälzische Provinz erreicht,
       trotteten die tumben Dorfbewohner in abenteuerlichen Gewändern von Anno
       Tobak daher, wurden Plattenspielermodellen Töne entlockt, die
       wahrscheinlich jedes Museum gern in seinem Besitz hätte, schütteten sich
       finstere Gestalten das Bier aus Flaschen mit Bügelverschluß in den Schlund,
       und einem anständig besoldeten Polizeibeamten stand zur morgendlichen Rasur
       — wie weiland John Wayne im tiefsten Arizona — lediglich eine
       Spiegelscherbe zur Verfügung. Wenn Frau Kommissarin da nicht in Jeans und
       fescher Lederjacke umherstolziert wäre, man hätte das Ganze für ein
       Historienspiel zur Bauernfrage in der Nachkriegszeit halten können.
       
       Und der Fall, der Krimi? Er versumpfte sang- und klanglos in dieser
       grotesken Überzeichnung provinzieller Zurückgebliebenheit. Zwar wurden nach
       bewährtem Muster Tatverdächtige aufgebaut und als solche wieder verworfen,
       ein doch sicherlich böses Industrieunternehmen ins Spiel gebracht, aber als
       dank „Kommissar Zufall“ endlich fast das gesamte Dorf des Kollektivmordes
       an jenem rumänischen Aussiedler überführt wurde, war es einem längst völlig
       egal, wer's denn nun eigentlich gewesen war. Denn gegen die derart dick
       aufgetragene Einheits-Maxime vom tumben Provinzler hatte selbst ein
       exzellenter Darsteller wie Achim Grubel keine Chance, seiner Figur auch nur
       ein Minimum an Profil zu verleihen.
       
       Positiv bleibt bei diesem Tatort lediglich zu vermerken, daß er sich
       hinsichtlich einer tiefschürfenden Problematisierung der Aussiedlerfrage
       wohltuend zurückhielt. Für Kommissarin Odenthal bleibt zu hoffen, daß
       Freund Michael während ihrer Abwesenheit die Katze ordentlich gefüttert hat
       und sie künftig nicht noch einmal ein Fall in eine derartige
       Retorten-Provinz verschlägt. Reinhard Lüke
       
       15 Oct 1991
       
       ## AUTOREN
       
   DIR reinhard lüke
       
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