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       # taz.de -- Kunst in Geiselhaft
       
       > PAMPHLET Großartige Einsichten und waghalsige Thesen: Georg Seeßlen und
       > Markus Metz haben die überfällige Debatte darüber eröffnet, wie die
       > Komplizenschaft von Kunst und Markt aussieht
       
       VON INGO AREND
       
       Das Ende der Kunst. Zu Georg Wilhelm Friedrich Hegels berühmtem Diktum
       greift gern, wer den Vorabend irgendeiner Apokalypse beschwören will. Dabei
       hatte der Berliner Philosoph weiland eigentlich nur sagen wollen, dass die
       Kunst für die Erkenntnis der Wahrheit nicht mehr das entscheidende Medium
       sei, sondern die Philosophie.
       
       An die heute zur abgenutzten Metapher geronnene Formel fühlt man sich bei
       dem neuesten Buch der Kritiker Markus Metz und Georg Seeßlen erinnert. Auch
       sie sprechen von einer „Endgeschichte der Kunst“. Nicht, weil die
       ästhetische Fertigkeit Kunst zugunsten einer höheren Weisheit aufgegeben
       worden wäre. Sondern weil sie kurz davor ist, den paradoxen Tod zu
       erleiden, der schon König Midas drohte: Was der sagenhafte phrygische
       Potentat auch anfasste, wurde zu Gold.
       
       Man darf sich von Metz’ und Seeßlens Buch „Geld frisst Kunst. Kunst frisst
       Geld“ keine praktische Einführung in den Kunstmarkt versprechen. Das
       Autorenduo steht eher für geharnischte Fundamentalkritik zentraler
       Mechanismen der Kulturindustrie. 2011 ging es in dem ähnlich angelegten
       Band „Blödmaschinen. Die Produktion gesellschaftlicher Stupidität“ um die
       Rolle der Massenmedien.
       
       Ihr neues Werk heißt im Untertitel dankenswerterweise „Ein Pamphlet“. Und
       stellt einen philosophisch vertieften Aufschrei über die fantastischen
       Transfersummen von Inkunabeln der Kulturgeschichte dar, von denen
       regelmäßig die Kunstmarkt-Seiten der Tageszeitungen künden. Insofern lässt
       es sich als Kultur-Variante von Stéphane Hessels „Empört Euch!“ lesen.
       
       Man könnte es sich einfach machen mit dem etwas ausufernden Wälzer. Denn
       die zentralen Ideen, dass sich die Kunst in Lebensstil und Inszenierung
       auflöst, dass sie zum „Echoraum der Werbung“ und – in erster Linie – zur
       „Emblematik der neuen Oligarchie“ verkommen sei, sind nicht neu. Sie kommen
       als mit viel Empörung aufgeladenes Echo zeitkritischer Diskurse von Joseph
       Beuys bis Gilles Deleuze daher.
       
       Seeßlen und Metz erweitern die penible Definitionschirurgie entlang solcher
       Begriffe wie Symbolwert und Marktwert, wie sie die Frankfurter
       Kunsttheoretikerin Isabelle Graw mit ihrem Band „Der große Preis. Kunst
       zwischen Markt und Celebrity“ 2008 vorgelegt hat, ins
       Globalkapitalistische. Dabei scheut das Duo mitunter arg populistische
       Volten nicht. Vom Kunstbesitz sprechen sie einmal als dem „Schwanzvergleich
       der Herrschenden“.
       
       Aber auch ihre Grundannahme von der den Kunstwerken immanenten „Wahrheit“
       oder von der Kunst als „Bearbeitung von Entfremdung“ steht auf den Füßen
       altbekannter Essentials so gegensätzlicher Denker wie Martin Heidegger oder
       Theodor W. Adorno. Dass Seeßlen und Metz aber nicht nur klassenkämpferische
       Parolen der achtziger Jahre aufwärmen, wie die Süddeutsche Zeitung
       angesichts des Bandes mutmaßte, demonstrierte kürzlich Julian Spalding. Der
       renommierte britische Kritiker und mehrfache Museumschef beschimpfte das
       System der zeitgenössischen Kunst als „glitzerndes Ornament der Amüsement-
       und Arkaden-Kultur“.
       
       Post-Demokratie, Post-Bürger, Post-Kunst. So unhinterfragt, wie Seeßlen und
       Metz derlei politische Wasserstandsmeldungen benutzen, wähnt man sich in
       ein Zeitalter jenseits der bürgerlichen Demokratie
       parlamentarisch-repräsentativen Zuschnitts entführt, ohne es gemerkt zu
       haben. In dieser Gesellschaftsformation befinde sich „die Kunst“ in der
       Geiselhaft der Superreichen – Banker, Oligarchen, Immobilienhaie – und
       ihrer willigen Agenten: Galeristen, Auktionshäuser, Art-Consultants.
       
       Dieser Hang zum Totalisierenden erschwert die Lektüre. Denn einerseits mag
       zutreffen, was sie gelegentlich an Beispielen belegen. Zugleich hat sich
       gerade in der Kunst etwas ausgebildet, das gemeinhin unter dem Begriff
       „freie Szene“ läuft. Welche genau das Projekt „Dissidenz“ formiert, das die
       Autoren in ihren 42 Ratschlägen mit dem Titel „Occupy Art“ eher vage
       umreißen.
       
       Angemessener als mit dem Horrorbild von „der Kunst“ als dem Goldstandard
       des „asiatischen Kapitalismus“ wäre das aus den Fugen geratene Kunstsystem
       also als eines beschrieben, durch das sich ein Graben zwischen dem
       „Starrummel des geschlossenen privaten Kunstmarkts“ und dem
       nichtkommerziellen Sektor zieht.
       
       Auch einen so heterogenen Komplex wie den der Biennalen mit den Stichworten
       „Standortmarketing“ und „Kolonialisierung der Kunst-Regionen durch den
       finanzkapitalisierten Welt-Kunstmarkt“ abzutun, greift eindeutig zu kurz.
       So stehen in diesem Buch großartige Einsichten neben waghalsigen Thesen:
       Einmal definieren sie die vom kritischen Diskurs befreite Kunst als
       „Subjektivität ohne Inhalt“. Ein anderes Mal ist der Rock ’n’ Roll „zwar
       gelegentlich unheimlich schön, doch keine Kunst“ – weil er auf die Masse
       und nicht auf „Einzelne“ zielt. Na ja.
       
       Seeßlen und Metz deuten die Kunst als „Lebensmittel“, ja „Vorschein einer
       kommenden Zivilgesellschaft“. So sehr man angesichts der horrenden Summen,
       die dieses Ferment mitunter narkotisieren, ihre Forderung teilen mag, „das
       Geld aus der Kunst zu nehmen“: Es ist wenig wahrscheinlich, dass „die Blase
       platzt“ und durch „demokratische Prozesse der Wertbestimmung“ ersetzt wird,
       wie sie hoffen.
       
       Zum einen definieren sie die Kunst selbst als „soziale Maschine, die nie
       wirklich frei, nie wirklich gerecht und nie wirklich ‚solidarisch‘“
       arbeite. Dazu kommt: Die irrwitzige Preisspirale ist in einem System
       imaginärer Werte nach oben prinzipiell offen. Kunst wird auf ewig immer
       noch teurer machen, dass sie ein Versprechen auf etwas Unbezahlbares ist.
       
       Fraglich auch, ob es die direkte, unvermittelte Beziehung zwischen
       Rezipienten und Produzenten geben kann, die den Autoren vorschweben mag.
       Die Produzentengalerien der siebziger Jahre, die das versuchten, sind nicht
       zufällig verschwunden. Recht haben die Autoren aber wieder, wenn sie auf
       den Graben zwischen den „Gewinnern“ des Systems und der wachsenden Masse
       des künstlerischen Prekariats hinweisen – zwei Seiten der Medaille, die
       sich gegenseitig bedingen.
       
       Kapitalisierung, Privatisierung, Fetischisierung, Eventisierung,
       Trivialisierung, „Schnickschnackisierung“. Auch wenn sich ihre Mängelliste
       mitunter zur kulturpessimistischen Apodiktik verdichtet: Mit „Geld frisst
       Kunst. Kunst frisst Geld“ haben Markus Metz und Georg Seeßlen die
       überfällige Debatte darüber eröffnet, welchen neuen Höhepunkt die ewige
       Komplizenschaft zwischen Kunst und Markt inzwischen erreicht hat.
       
       Ein Peak, der selbst seinen Akteuren Sorgen macht. Eine Kunstkonferenz der
       FAZ erörterte vor kurzem vorsichtig „Positionsverschiebungen“ in der Kunst.
       Das Fachmagazin Artnet fragte nach der gerade beendeten Art Basel Miami
       alarmiert: „Have Art Fairs Destroyed Art?“
       
       Ob sich „die Kunst“ tatsächlich nach dem Vorbild von „Occupy Wall Street“
       aus den Gängen des Systems befreien ließe, wie es die Autoren fordern,
       bleibt dahingestellt. Dass es gesellschaftlicher Strategien gegen die
       „Machtverklumpungen“ bedarf, ist offenkundig. Das „semiotische Projekt“,
       das sie vorschlagen, um die öffentliche Rede von und über Kunst von dem
       „Ökono-Sprech“ des Marketings zu befreien, wäre schon mal ein Anfang. Die
       beste Versicherung gegen das – ohnehin obsolete – „Ende der Kunst“ ist es
       immer, ihre ganz eigene Sprache freizulegen.
       
       ■ Markus Metz, Georg Seeßlen: „Geld frisst Kunst. Kunst frisst Geld. Ein
       Pamphlet“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014, 496 Seiten, 20,60 Euro
       
       12 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR INGO AREND
       
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