# taz.de -- Der sonntaz-Streit: Sind Märchen von gestern?
> In Märchen werden Bäuche aufgeschnitten, kleine Mädchen erfrieren auf der
> Straße. Man muss der Stiefmutter gehorchen, auch wenn sie böse ist.
IMG Bild: Diese Märchenfigur ist quicklebendig: Agate, Hauptdarstellerin des kommenden ZDF-Weihnachtsfilms „Die Goldene Gans“.
Früher hatten Märchen vor allem die Aufgabe, Werte zu vermitteln: Kinder
sollen sich anpassen und ihren Eltern gehorchen. Geh nicht alleine in den
Wald, sei tolerant, verlässlich und bescheiden.
Für die Alten von heute können Märchen aber eine andere Bedeutung haben.
Bestimmte Verhaltensweisen von Demenzkranken wie Aggression, Apathie oder
auch Fluchtverhalten erschweren die Pflege oft. Ein aktuelles Projekt des
Deutschen Zentrums für Märchenkultur soll die Lebensqualität der Patienten
erhöhen. Märchen schaffen einen Zugang zum Langzeitgedächtnis und somit
auch zu Emotionen. Es zeigt sich, dass demente Zuhörer nicht nur während
der Märchenstunde aufmerksam und interessiert sind, sondern auch danach
leichter zu pflegen sind.
In den Siebzigern wurden Märchen als Werkzeug schwarzer Pädagogik
kritisiert. Diese Sichtweise wollte der inzwischen verstorbene
Psychoanalytiker Bruno Bettelheim mit seinem Buch „Kinder brauchen Märchen“
widerlegen. Er machte die Beobachtung, dass gesunde wie psychisch kranke
Kinder mehr Spaß an Märchen als an anderer Literatur haben. In Bettelheims
psychoanalytischer Perspektive erscheinen Märchen als entwicklungsfördernde
Projektionsfläche.
In vielen Märchen geht es um gewalttätige Fantasien, Konflikte,
Erniedrigung oder Trennungsangst. Bettelheim war der Ansicht, dass Kinder
dadurch lernen, mit den Schwierigkeiten des Heranwachsens umzugehen. Am
Ende siegt das Gute. Obwohl das im Leben nicht immer so ist, meinte
Bettelheim, dass Kinder von Märchen genau dort abgeholt werden, wo sie
stehen. Im Gegensatz zu Erwachsenen unterscheiden Kinder vor allem zwischen
gut und schlecht, Zwischentöne sind ihnen meist fremd.
Viele Märchen wirken heute realitätsfern, sexistisch und brutal. Da gibt es
die Stereotypen der bösen Stiefmutter und der hilflosen Prinzessin, die auf
ihren strahlenden Prinzen wartet. Bäuche werden aufgeschlitzt, Augen
ausgestochen, Wölfe fressen Menschen. Muss man diese Geschichten aus dem
Kinderzimmer verbannen? Oder helfen sie unseren Kindern, eine starke
Persönlichkeit zu entwickeln?
Diskutieren Sie mit! Die sonntaz wählt unter den interessantesten
Kommentaren einen oder zwei aus und veröffentlicht sie in der sonntaz vom
19./20. Oktober. Der Kommentar sollte etwa 900 Zeichen umfassen und mit dem
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15 Oct 2013
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## AUTOREN
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