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       # taz.de -- „Da müssen wir uns richtig Sorgen machen“
       
       > DFB-Vizepräsidentin Silke Sinning über ihren Wahlsieg gegen Rainer Koch,
       > ihre Aufgaben im neuen Präsidium und Probleme im Frauen- und
       > Mädchenfußball
       
   IMG Bild: „Es braucht Mut“: Silke Sinning (l.) ist seit 2010 Professorin für Sportpädagogik und –didaktik sowie Sportsoziologie an der Uni Koblenz-Landau. Die 52-Jährige gehört seit zehn Jahren dem Ausschusses für Frauen- und Mädchenfußball im DFB an, ist seit 2008 Vorsitzende des Frauen- und Mädchenfußballausschuss des Hessischen Fußball-Verbandes und seit 2011 Vorsitzende des Frauenfußballausschusses des Süddeutschen Fußballverbandes
       
       Interview Frank Hellmann
       
       taz: Frau Sinning, Sie sind durch die Wahl ins neue DFB-Präsidium in aller
       Munde, weil Sie sich in einer Abstimmung gegen Rainer Koch durchgesetzt
       haben. Was hat Sie animiert, sich als eine der wenigen Frauen in den
       DFB-Gremien hochzuarbeiten? 
       
       Silke Sinning: Ich war selber Fußballspielerin, teilweise Spielführerin bei
       der SG Beisetal und später auch Spielertrainerin bei den Frauen des SC
       Schwarz-Weiß Zennern. Dann habe ich mich ehrenamtlich auf Kreisebene für
       den Frauen- und Mädchenfußball engagiert. Ich habe mich für ein Bezirksamt
       zur Verfügung gestellt und gegen eine Gegenkandidatin durchgesetzt. Vier
       Jahre später ist dasselbe beim Hessischen Fußballverband passiert. Man muss
       dafür viel Mut und Veränderungswillen aufbringen.
       
       Sind Ihnen Steine in den Weg gelegt worden? 
       
       Mir wurde meist respektvoll begegnet. Vielleicht hat auch mein
       Professorinnentitel dafür gesorgt, dass sich der eine oder andere
       zurückgehalten hat … (lacht) Aber trotzdem hatte ich häufiger das Gefühl,
       dass unter den Männern viele Dinge einfach schon abgesprochen sind. Da habe
       ich mich schon häufiger gewundert, warum hat eigentlich mich keiner vorher
       mal angerufen.
       
       Sie wirkten in Bonn nach Ihrer Wahl ins DFB-Präsidium sehr ergriffen. Sie
       haben damit wahrscheinlich nicht gerechnet. 
       
       An jenem Morgen hatte ich meiner Tochter zugesagt, dass ich den Mut
       aufbringen würde, tatsächlich anzutreten. Nach meiner Rede hatte ich
       gehofft, einen Achtungserfolg zu erhalten. Dass ich die Wahl so deutlich
       gewinnen würde, damit hatte ich nie gerechnet. Für mich ist es eine große
       Herausforderung, nun auch den Süddeutschen Verband zu vertreten und zu
       unterstützen. Aber dieses überwältigende Ergebnis verschafft mir Respekt
       und gibt mir Rückenwind. Wir sind nun vier Frauen im DFB-Präsidium, mit
       Heike Ullrich bald fünf. Das ist super, das finde ich ganz stark.
       
       Warum hatten es Frauen denn bislang so schwer, in DFB-Führungspositionen zu
       kommen? 
       
       Zwei Aspekte sind hier erst einmal zu trennen: Es gibt hauptamtliche
       Mitarbeiter, bei denen sich Männer wie Frauen für ein bestimmtes
       Aufgabenfeld bewerben können. Da wird auch beim DFB darauf geschaut, dass
       kein Geschlecht benachteiligt wird. Dann gibt es aber die ehrenamtliche
       Ebene. Dort bewerben sich in der Regel nicht mehrere Personen auf eine
       Position. Da ist einfach das Beharrungssystem der Männer sehr groß.
       Außerdem stehen nur alle drei, vier Jahren Wahlen an, sodass es lange
       dauert, bis eine Person oben ankommt.
       
       Braucht es eine Frauenquote, um dieses System aufzubrechen? 
       
       Erst einmal bin ich sicher, dass es genügend Frauen mit Expertise gibt, um
       sich in die Arbeit auf Kreis-, Verbands- oder Landesebene einzubringen.
       Trotzdem halte ich im Ehrenamt eine Quote für gut. Und gleichermaßen bin
       ich am Freitag auch eines Besseren belehrt worden, dass selbst im
       DFB-Präsidium nun gleich deutlich mehr Frauen auch ohne Quote gewählt
       wurden. Letztlich ist es wichtig, dass die Verantwortlichen Veränderungen
       wirklich wollen und dass sich auch die Frauen bereiterklären. Was mir aber
       auch am Herzen liegt, ist, dass vermehrt junge Menschen in den Ausschüssen
       sitzen sollten – das gehört für mich gleichermaßen zur Diversität, um den
       Fußball zukunftsfähig zu machen.
       
       Was haben Sie für sich als Schwerpunkte der Arbeit ausgemacht? 
       
       Meine Themen Nachhaltigkeit und Diversität habe ich in den letzten Monaten
       durchgängig kenntlich gemacht. Die möchte ich natürlich auch weiterhin
       stützen.
       
       Sie haben keine Berührungsängste mit dem Profilager. Sie haben im Team von
       Peter Peters deutlich gemacht, dass der deutsche Fußball nur gemeinsam
       vorankommt. 
       
       Es muss deutlich werden, dass die DFL genauso ein Mitglied des DFB ist wie
       alle anderen Regional- und Landesverbände auch. Natürlich verfügt die Liga
       über große Einnahmen, und mein Wunsch wäre, dass die DFL einen großen
       Betrag in einen Fonds einzahlt, aus dem sich die Landesverbände mit
       Projekten bedienen können, wobei die DFL mitbestimmen sollte, wofür diese
       Gelder verwendet werden; etwa für die Talentförderung oder den
       Frauenfußball. Ob eine solche Variante zielführend und umsetzbar wäre,
       müssen die Verantwortlichen gemeinsam klären. Ich kann mir aber gut
       vorstellen, dass damit ein großer Imagegewinn für alle verbunden sein
       könnte.
       
       Sie sind seit zehn Jahren Mitglied des Ausschusses für Frauen- und
       Mädchenfußball im DFB, daher wissen Sie, dass die Zahlen der aktiven
       Mädchen und Frauen dramatisch rückläufig sind. Zuletzt wies die
       Mitgliederstatistik nur noch 131.487 aktive Fußballerinnen aus. Fünf Jahre
       zuvor waren es noch doppelt so viele. 
       
       Da müssen wir uns richtig Sorgen machen. Wir können keinen Spielbetrieb,
       keine Förderung der Spitze betreiben, wenn immer weniger Frauen Fußball
       spielen. Alarmierend sind auch die Rückgänge bei den Mädchen. Wir konnten
       in Hessen die Rückgänge nur begrenzen, weil wir unseren Spielbetrieb extrem
       flexibilisiert haben. Viele Vereine bekommen nicht einmal ein Neuner-Team
       zusammen. Zum Glück gab es bei den letzten Schnuppertagen wieder Zulauf.
       
       Fehlen die Vorbilder, weil die deutschen Fußballerinnen zuletzt nicht mehr
       erfolgreich waren? 
       
       Ich habe das nicht untersucht, deswegen kann ich keine klare Antwort geben.
       Aber wir haben bei Jungs und Mädchen den größten Schwund in den
       Altersklassen, bei denen die Pubertät eintritt: Da sind Training und
       Wettkampf oft einfach nicht mehr interessant genug. Uns haben B-Juniorinnen
       beispielsweise erzählt, dass ihnen Spieltermine am Sonntagmorgen nicht
       passen, weil sie am Samstagabend gerne ausgehen. Bei diesen Themen müssen
       wir das Ohr viel stärker an der Basis haben.
       
       Wie kann es denn gelingen, mehr Mädchen mit Migrationshintergrund für den
       Fußball anzusprechen? 
       
       Grundsätzlich finde ich, dass es Frauen in typisch männlich geprägten
       Sportarten wie Boxen oder Fußball heutzutage leichter haben als Männer, die
       sich für weiblich zugeschriebene Sportarten wie Synchronschwimmen, Ballett
       oder Eistanzen interessieren. Für die Vereine ist es schwierig, in
       tradierte Familienstrukturen reinzukommen, wo noch der Mann die klassische
       Führungsposition inne hat. Deshalb sind für mich der Kindergarten und die
       Schule der erste Ansatz, hier Angebot zu erstellen.
       
       Warum? 
       
       Wenn die Mädchen sich hier für den Fußball begeistern, dann schaffen sie es
       auch, ihren Vater zu überzeugen, dass sie Fußball im Verein spielen wollen.
       
       15 Mar 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Hellmann
       
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