URI: 
       # taz.de -- Argentiniens WM-Sieg gegen Kroatien: Messi vor der Heiligsprechung
       
       > Argentinien schlägt Kroatien und steht im WM-Finale. Lionel Messi könnte
       > dafür sorgen, dass das Turnier nicht als Skandal-WM in Erinnerung bleibt.
       
   IMG Bild: Lionel Messi jubelt mit Julian Alvarez nach seinem Treffer zum 2:0
       
       Tränen waren zu sehen, ein paar nackte Oberkörper und viele Tattoos, als
       Argentiniens Nationalspieler vor ihren einmalig leidenschaftlichen Fans den
       Einzug ins WM-Finale feierten. [1][Lionel Messi] sang aus voller Brust mit.
       Dann blickte er die Tribüne des gigantischen Lusailstadions hoch. Hätte er
       das wirklich gedacht? Dass ihm der Fußball noch diese Chance gibt, alles
       miteinander zu versöhnen?
       
       „Es ist meine letzte Gelegenheit, den Traum zu verwirklichen, den wir alle
       haben: die WM zu gewinnen“. So hatte er es selbst am Tag vor Turnierstart
       formuliert und sich gerührt gezeigt, dass es große Teile des
       ballsportinteressierten Planeten dieses Mal mit Argentinien halten. Nur
       seinetwegen, wegen einer Frage von fast schon historischer Gerechtigkeit,
       von Fußballgerechtigkeit jedenfalls. Man muss ihn persönlich nicht mögen,
       man konnte in der Nacht von Doha sogar sein Gegner gewesen sein wie Luka
       Modric, der in diesem Halbfinale 0:3 geschlagene [2][Kroate] von Real
       Madrid, dem ewigen Rivalen von Messis Lebensklub FC Barcelona, um zu sagen:
       „Hoffentlich gewinnt Messi diese WM, er ist der beste Spieler der
       Geschichte, und er hat es verdient.“
       
       Am Sonntag wird der siebenfache Weltfußballer derjenige mit den meisten
       WM-Einsätzen sein (26, einen vor Lothar Matthäus). Wenn er ein Tor schießt
       oder eine Torvorlage gibt, wird er die meisten WM-Scorerpunkte haben
       (aktuell 19, wie Miroslav Klose, Gerd Müller und Ronaldo, der Brasilianer).
       Wenn er nach vier teils knapp (2014), teils unglücklich (2006), teils
       krachend (2010, 2018) missratenen Anläufen tatsächlich gewinnen sollte,
       dann wird ihn keiner mehr hinter Pelé und Maradona einreihen können, den
       ewigen Referenzen des weltbeliebtesten Sports. Und dann wird diese im
       Westen so umstrittene WM von Katar, ob es gefällt oder nicht, für immer
       ikonisch sein.
       
       Nach seiner Sangeseinlage ging Messi im Lusailstadion langsam in Richtung
       Kabine. Auf seinem Weg umarmte er jeden einzelnen aus der im heutigen
       Fußball so beträchtlichen Entourage, Assistenten und Analysten, Mediziner
       und Medienleute. Als Letzter war Nationaltrainer Lionel Scaloni an der
       Reihe. Scaloni zuckte immer noch ein bisschen, er hatte geweint, nur wenige
       im Fußball sind so ergriffen, auch von sich selbst, wie die Argentinier.
       
       ## Messis Freunde
       
       Messi steht also im WM-Finale, aber natürlich wusste er nach all dem
       Scheitern der Vergangenheit, nach aller Verzweiflung und sogar einem
       zwischenzeitlichen Rücktritt: Es brauchte dafür ein bisschen Hilfe von
       seinen Freunden. Da ist zuvorderst Scaloni, 44, der jüngste Trainer des
       Turniers, der in seinem ersten Job die Trümmer nach der WM 2018 in ein
       harmonisches Team überführte. Es gewann die Südamerikameisterschaft 2021,
       Argentiniens ersten Titel seit 1993, reihte bis zum WM-Beginn eine Serie
       von 36 Spielen ohne Niederlage aneinander und zerfiel nicht am Schock der
       Auftaktniederlage gegen Saudi-Arabien. Scaloni baute die Mannschaft in
       aller Ruhe um, gab ihr die emotionale Stabilität, um schon früh im Turnier
       um alles oder nichts zu spielen. Jetzt muss er nur noch fürs Finale die
       richtige Taktik finden, so wie im Halbfinale, als er entgegen der sonstigen
       Spielweise auf Konter setzte, um die vorher erkannte „Unordnung“ (Messi)
       der Kroaten nach Ballverlusten zu nutzen. Und der Trainer muss nur noch
       einmal die richtige Aufstellung wählen so wie zuletzt mit Julián Álvarez.
       
       Der junge Mittelstürmer von Manchester City galt schon bei River Plate als
       großes Talent, der Wechsel zu Pep Guardiola im Sommer hat ihn gewiss nicht
       schlechter gemacht, und doch konnte „niemand erwarten, dass er so eine WM
       spielt“ (Messi). Vier Tore in vier Partien hat Álvarez erzielt. Zwei waren
       es gegen Kroatien, eines nach einem so wuchtigem Lauf über das halbe Feld,
       dass ihm die gegnerischen Verteidiger nur comicartigen Slapstick
       entgegenzusetzten hatten (39. Minute). Das andere nach einem einzigartigen
       Solo von Messi durch Raum und Zeit gegen den gefeierten Abwehrmann Josko
       Gvardiol (69.). Im Gegenzug holte Álvarez für Messi den Strafstoß heraus,
       den dieser zum 1:0 verwandelte (32.).
       
       Später gingen sie kurz nacheinander aus dem Stadion, die „Bestie“ (Messi)
       Álvarez mit Fön-Tolle und seiner noch jugendlichen Akne und ein
       35-Jähriger, der am Sonntag seinen Traum verwirklichen kann. Der Planet
       Fußball träumt mit ihm.
       
       14 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Messi-und-Ronaldo-dominieren-die-WM/!5899030
   DIR [2] /Kroatien-gegen-Argentinien/!5898905
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Florian Haupt
       
       ## TAGS
       
   DIR Lionel Messi
   DIR Fußball-WM 2022
   DIR Argentinien
   DIR Finale
   DIR Fußball
   DIR Fußball-WM
   DIR Fußball-WM
   DIR Fußball-WM
   DIR Fußball-WM
   DIR Argentinien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Nach dem WM-Endspiel in Katar: Top Five der besten Finals
       
       Wann hat es so ein Endspiel einer Männer-Fußball-WM wie am Sonntag schon
       einmal gegeben? Der große taz-History-Check.
       
   DIR Argentinien ist Fußballweltmeister: Messi wird Messias
       
       Im Finale der Fußball-WM gewinnt Argentinien im Elfmeterschießen gegen
       Titelverteidiger Frankreich. Lionel Messi ist am Ziel seiner Träume.
       
   DIR Frankreichs unzählige Fußball-Talente: Alle weltmeisterlich
       
       Die französische Nationalmannschaft steht wieder einmal in einem großen
       Finale. Kein Verband produziert so unaufhörlich große Talente wie
       Frankreich.
       
   DIR Argentinien feiert Einzug ins WM-Finale: Vom Frust zur Freude
       
       Auf dem Weg zum Finale scheint das argentinische Team mit seinen Fans zu
       verschmelzen. Die ökonomische Misere wird durch die WM-Erfolge überdeckt.
       
   DIR Messi und Ronaldo dominieren die WM: Unsterblicher Heldenfußball
       
       Ohne Helden funktioniert der Fußball nicht. Da helfen die besten Konzepte
       nichts. Um die Nachfolge von Messi und Ronaldo muss sich keiner sorgen.
       
   DIR Kroatien gegen Argentinien: Messi im Prolo-Modus
       
       Die Fußballwelt diskutiert über die ungehobelte Truppe aus Argentinien.
       Warum sich doch ein manierliches Halbfinale entwickeln könnte.
       
   DIR Argentiniens Vorfreude auf die Katar-WM: „Endlich wieder Weltmeister“
       
       In Argentinien freuen sich die Menschen auf die WM in Katar. Dem eigenen
       Team werden große Chancen zugerechnet. Ein Boykott? Kein Thema.