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       # taz.de -- Armut in Deutschland: Das Armutsrisiko sinkt – ein kleines bisschen
       
       > Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung lobt Groko und Ampel für
       > Mindestlohn und weitere Maßnahmen – mahnt aber weitere Anstrengungen an.
       
   IMG Bild: Alltag in Deutschland: Nicht alle Menschen haben Obdach
       
       Berlin taz | Den Bundesregierungen scheint es während der vergangenen Jahre
       gelungen zu sein, die Armut etwas zu reduzieren. Diese Einschätzung
       vertritt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in seinem
       neuen Wochenbericht, der am Mittwoch erschien. Demnach ist das Armutsrisiko
       in Westdeutschland leicht, in Ostdeutschland erheblich zurückgegangen.
       DIW-Forscher Markus Grabka sieht darin „Anzeichen für einen Trendbruch“,
       nachdem die Armut zuvor lange gewachsen war.
       
       Der Anteil der armutsgefährdeten Personen an der Bevölkerung in den
       westlichen Bundesländern ist nach Angaben des DIW zwischen 2018 und 2022
       leicht von 14,6 auf 14,5 Prozent gesunken. In den ostdeutschen Ländern war
       der Rückgang deutlicher – von 22,4 auf 18,7 Prozent. Solche Daten werden
       greifbarer, wenn man sich einzelne Gruppen anschaut, die besonders von
       Armut bedroht sind, etwa Alleinerziehende. Unter diesen ist der Anteil der
       Armen im Osten zwischen 2018 und 2022 von 43,1 auf 32,2 Prozent gesunken,
       im Westen immerhin von 35,4 auf 30,8 Prozent.
       
       Das Institut stützt sich dabei auf das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), bei
       dem Tausende Personen regelmäßig unter anderem ihre Monatseinkommen nennen.
       Wenn das eigene Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren
       Haushaltseinkommens beträgt, gilt man als arm. Für einen Single-Haushalt
       sind das etwa 1.400 Euro monatlich. Die positive Trendbeschreibung des DIW
       basiert neben den SOEP-Monatseinkommen auf dem Mikrozensus des
       Statistischen Bundesamtes und einer europäischen Erhebung (EU-Silc). Dort
       zeigt sich seit 2020 ebenfalls eine deutliche Verbesserung.
       
       Wobei dieser Befund umstritten ist. Denn die gewerkschaftliche
       Hans-Böckler-Stiftung hat in ihrem kürzlich veröffentlichten
       Verteilungsbericht eine steigende Armutsquote beklagt. Einig sind sich die
       ForscherInnen, dass die Armutsquote in Deutschland lange angestiegen ist.
       Um das Jahr 2000 lag sie bei rund 12 Prozent, 2022 bewegte sie sich je nach
       Datenreihe zwischen 14 und 16 Prozent.
       
       ## Für Geringverdiener wichtig
       
       DIW-Wissenschaftler Grabka erklärt die Verbesserung in jüngerer Zeit nun
       mit „politischen Maßnahmen wie der wiederholten Anhebung des Mindestlohns“.
       Die Bundesregierung aus Union und SPD unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU)
       führte 2015 die gesetzliche Lohnuntergrenze ein, durch die für Millionen
       Beschäftigte die Verdienste stiegen. Damals lag der Mindestlohn bei 8,50
       Euro brutto pro Stunde, heute beträgt er 12,82 Euro. Im Prinzip darf
       niemand weniger verdienen. Unter anderem deshalb wurden die Gehälter sehr
       vieler Arbeitnehmenden deutlich angehoben – um ungefähr ein Fünftel bis
       2022.
       
       Besonders das unterste Zehntel der am schlechtesten verdienenden
       Beschäftigten profitierte massiv. So nahm der Niedriglohnsektor ab. Der
       positive Trend zeigt sich auch bei den Haushaltsnettoeinkommen. Dabei
       werden nicht nur die Arbeitsverdienste betrachtet, sondern die Mittel, die
       Haushalten inklusive Partnern und Kindern zur Verfügung stehen. Ab 2015
       gehen die Kurven deutlich nach oben, während sie vorher weniger stiegen
       oder stagnierten. Zwischen 1995 und 2021 beträgt der Zuwachs real 35
       Prozent.
       
       „Insgesamt können sich die Deutschen ein Drittel mehr Güter und
       Dienstleistungen leisten als noch vor über 25 Jahren“, resümmiert Markus
       Grabka. Neben dem gesetzlichen Mindestlohn spielen dafür sozialpolitische
       Maßnahmen eine Rolle. Das DIW nennt als Beispiele „familienpolitische
       Reformen wie die Erhöhung des Kinderzuschlags“. Das ist eine Extrasumme
       zusätzlich zum Kindergeld für Haushalte mit sehr niedrigen Einkommen, die
       ab 2019 unter der letzten Merkel-Regierung erheblich stieg.
       
       Allerdings gibt es bei der Entwicklung der Haushaltseinkommen eine
       Ausnahme: das Zehntel der Bevölkerung mit den niedrigsten Einkommen. Deren
       Finanzen haben sich während der vergangenen 25 Jahre kaum verbessert. Ein
       Grund ist hier möglicherweise, dass der Anteil junger Menschen zunimmt, die
       die Schulen ohne „qualifizierten Bildungsabschluss“ verlassen, wie das DIW
       schreibt. Dies verschlechtert die Verdienstmöglichkeiten und drückt auf die
       Haushaltseinkommen. Grabka empfiehlt höhere Bildungsausgaben,
       [1][finanziert durch eine steigende Vermögensteuer]. Außerdem warnt er vor
       zunehmender Altersarmut von RentnerInnen.
       
       20 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
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   DIR Hannes Koch
       
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