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       # taz.de -- ■ Joschka Fischer fordert die freie Rede im Bundestag: „Arschloch“, „Raus“, „Schtonk“!!
       
       Der Abgeordnete Joschka Fischer meint es gut mit uns. Nach den landab,
       landauf sichtbaren Erfolgen der Kampagne „Unser Dorf soll schöner werden“
       regt er an, auch den Bundestag umzukrempeln. Ihn spannender zu machen,
       unterhaltsamer gar. Jener Ort also, vor dem die gemeinen MdBs flüchten wie
       der Vampir vorm Knoblauch, sagt Fischer, möge künftig Zentrum von „Streit
       und Entscheidung“ sein.
       
       Schöne Vorstellung. Rufen da nicht von fern die Verbalrempler Wehner und
       Strauß polternd und mit Grabesstimmen „So sei es“?! Wer vom Blatt abliest,
       fordert Fischer, solle das Rederecht verlieren im Hohen Hause. Ha!, da geht
       ein angstvolles Zucken nicht nur durch die Hinterbänke. Wird er, fragt man
       sich, den zungenlahmen Kollegen bisweilen den Rückgriff auf den
       Teleprompter gestatten, wenigstens das? Und was ist mit der 10punktigen
       Stichwortliste – ... Zugelassen, ja? Oder dem Zettel, auf welchem weniger
       Schlagfertige ein kesses „Hört, hört!“ zum Zwischenruf notierten?
       
       Andererseits, so ist aus Bonn gedrungen, wird Politik längst in Ausschüssen
       und Unterausschüssen gemacht, aus denen dann aktenweise Rechtsverordnungen
       und Gesetze purzeln. Der Plenarsaal demnach nur: Bühne für Hokuspokus,
       Selbstdarstellung und ... Valium fürs Wahlvolk?
       
       Es ist ja so, daß Joschka Fischer („Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind
       ein Arschloch“) gut reden hat. Er gilt als rhetorisches Talent. Steht
       gleichsam in der Tradition von Cicero („O tempora, o mores“) und
       Robespierre (Wohlfahrtsausschuß!), Mussolini (all' arrabiata) und Charlie
       Chaplin („Schtonk!“).
       
       Oder denkt der MdB F. an Fidel Castro, der sich bisweilen selbstbegeisternd
       in mehrstündige Reden steigert, die sofort zwischen Pappe gesteckt als Buch
       enden? Möglich auch, daß etwa der Abgeordete Panella Vorbildfunktion hat,
       dessen damalige „Partido Radicale“ mittels Dauerpalaver den Fortgang des
       italienischen Politikgeschäfts behinderte.
       
       Obacht, kurz mal in alten Protokollen geblättert und das hier gefunden
       (27.4.72):
       
       Pfui-Rufe von der SPD.
       
       Lemmrich (CDU/CSU): „Aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß
       der Herr Minister Leber heute etwas zu lange im Restaurant verbracht hat,
       und ich möchte ihn gerne fragen, ob er bereit ist, sich dem Promilletest zu
       unterwerfen.“
       
       Glocke des Präsidenten. 
       
       Anhaltende Zurufe von der SPD: „Aufhören!“, „Raus!“ 
       
       Hübsch, hübsch, aber schon kommen die Nörgler und fragen pikiert: Wo bleibt
       der Inhalt, ist der Tiefgang? Den gilt es zu finden, aber nicht vom Blatt,
       sondern frei von der Leber weg. Herr Thömmes
       
       26 Apr 1995
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Herr Thömmes
       
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