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       # taz.de -- Artenschutz im Zoo: Vermehrung und Verluste
       
       > Dürfen Menschen Tiere töten, die im Zoo gehalten werden? In Nürnberg ist
       > die Frage akut – dort gedeihen die Guinea-Paviane etwas zu prächtig.
       
   IMG Bild: Was diesen Pavianen im Tiergarten Nürnberg wichtig oder gleichgültig ist, wissen wir Menschen, wenn wir ehrlich sind, nicht
       
       Paviane in Gefahr: Tiergarten Nürnberg will Tiere töten“, titelte ProSieben
       am Wochenende. Die Schlagzeile bringt das Dilemma unfreiwillig auf den
       Punkt. Denn die aus einem relativ kleinen Verbreitungsgebiet in Westafrika
       stammenden Guinea-Paviane sind tatsächlich in Gefahr. Ihr Lebensraum
       schrumpft, die Bestände sind seit Jahrzehnten rückläufig. Eine Besserung
       ist nicht absehbar, im Gegenteil: einer ihrer wichtigsten Rückzugsorte, der
       [1][Niokolo-Koba-Nationalpark im Senegal,] steht wegen fortwährender
       Verschlechterung des Schutzstatus auf der Liste des gefährdeten
       Unesco-Welterbes.
       
       Gerade wegen dieser Gefahrenlage will der Tiergarten nun einige Individuen
       aus seinem Bestand töten und hat dafür beim Umweltausschuss der Stadt
       Nürnberg Ende letzter Woche eine entsprechende Vorlage zur Beratung am 21.
       Februar eingereicht. Denn einerseits ist es angesichts der prekären Lage
       der Tiere in ihrer Heimat dringend geboten, eine gesunde Reservepopulation
       in Zoos aufrechtzuerhalten.
       
       Nur so können sie später einmal, wenn die Probleme hoffentlich unter
       Kontrolle sind, wieder im ursprünglichen Lebensraum angesiedelt werden. Sie
       wären nicht die Ersten: Wisent, Przwalski-Pferd, Schwarzfußiltis und
       andere haben es vorgemacht. All diese Tierarten wären längst ausgestorben,
       hätte man sie nicht in Zoos gezüchtet und nach entsprechenden Maßnahmen
       wieder im natürlichen Verbreitungsgebiet ausgewildert.
       
       Damit diese Option eines Tages auch bei den Guinea-Pavianen besteht, ist es
       nötig, dass die Affenbande beständig für Nachwuchs sorgt. Das tun die Tiere
       auch mit großer Freude – sich paaren und Junge aufziehen gehört zu ihren
       elementaren Grundbedürfnissen. Da im Zoo allerdings Löwen, Leoparden und
       Greifvögel zwar nicht fehlen, jedoch in anderen Gehegen untergebracht sind,
       und weil im Krankheitsfall gleich ein besorgter Tierarzt herbeieilt, steigt
       die Zahl der Paviane immer weiter an.
       
       ## Töten nur aus „vernünftigem Grund“
       
       Einfache Populationsbiologie: In der Natur ist die Vermehrungsrate darauf
       ausgelegt, allerlei Verluste auszugleichen. Im Zoo dagegen leben die Tiere
       warm und sicher, wachsen wohlbehütet auf und werden steinalt. In Nürnberg
       sind es inzwischen 45 Paviane, obwohl die Anlage nur für 25 ausgelegt ist.
       Ein auch aus Tierschutzsicht langfristig nicht haltbarer Zustand.
       
       Empfängnisverhütung funktioniert nicht wie gewünscht, andere Zoos haben
       keine Kapazitäten frei, eine Wiederansiedlung ist mangels geeigneter
       Lebensräume mit Pavianbedarf derzeit unmöglich. Deshalb will der
       Tiergarten nun einige seiner Tiere töten, um so eine demografisch
       dauerhaft gesunde, reproduzierende Population zu bewahren. Manche
       Tierschützer reagieren „geschockt“ (T-Online) und drohen erwartungsgemäß
       mit Strafanzeige.
       
       Denn das Töten von Tieren ist laut Tierschutzgesetz nur aus „vernünftigem
       Grund“ erlaubt. Als vernünftig gilt im gesellschaftlichen Konsens, Schweine
       und Rinder staatlich subventioniert unter eher fragwürdigen Bedingungen zu
       züchten, um sie dann zu Koteletts, Gesichtswurst und Gulasch zu
       verarbeiten.
       
       Wenn hingegen Zootiere nach einem vergleichsweise paradiesischen Leben im
       Löwenkäfig enden, ist die Empörung groß. Man erinnere sich nur an den Fall
       der [2][Giraffe Marius] im Zoo von Kopenhagen, deren Tötung und
       Anschlussverwendung als Raubtierfutter zu einem veritablen internationalen
       Shitstorm führte. Dabei ist eine Giraffe letztlich nichts anderes als eine
       Kuh mit extravagantem Hals.
       
       Bei Affen ist die Hemmschwelle höher, weil sie näher mit uns verwandt und
       deutlich intelligenter sind. Letzteres kann man allerdings auch von
       Schweinen sagen, was die lustig rüsselnden Borstentiere dennoch nicht vor
       dem „vernünftigen“ Ende als Hackepeter bewahrt.
       
       ## Brutalerer Tod in der Savanne
       
       Ist ein erhöhter Cholesterinspiegel also grundsätzlich moralisch
       hochwertiger als der Erhalt einer Art? Der Tiergarten Nürnberg will mit
       seinem Vorstoß nicht nur sein Affenproblem lösen, sondern eine
       gesellschaftliche Debatte anstoßen. Das Ziel ist, die „biologische
       Indikation“ für den Artenschutz grundsätzlich als vernünftigen Grund zur
       Tötung anzuerkennen, um so Rechtssicherheit im Populationsmanagement von
       in menschlicher Obhut gehaltenen Arten zu erlangen. Die Notwendigkeit
       hierfür steigt zweifellos angesichts der sich immer dramatischer
       zuspitzenden Biodiversitätskrise.
       
       Um wenigstens einen Teil der Arten zu retten, die wir in den nächsten
       Jahrzehnten zu verlieren drohen, bleibt in vielen Fällen als einzig
       realistische Lösung die Erhaltungszucht „ex situ“, also in menschlicher
       Obhut – zu der dann nun einmal zwangsläufig auch das Töten von Tieren
       gehört, die anschließend im Gehege nebenan landen können, zur Freude der
       Löwen. In der Natur wäre das Resultat ohnehin das gleiche, nur dass wir,
       also die Menschen, uns schön fein rausgehalten hätten.
       
       Dem betroffenen Pavian dürfte das ziemlich gleichgültig sein, abgesehen
       davon, dass die Umstände seines Todes im Tiergarten um einiges angenehmer
       sein dürften als in der Savanne. Zumal er dazu beitragen kann, dass es in
       Zukunft überhaupt noch Guinea-Paviane geben wird. Und das wollen wir am
       Ende doch alle: die Paviane ebenso wie die Löwen und eben auch wir
       Menschen.
       
       12 Feb 2024
       
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