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       # taz.de -- Asylpolitik in Deutschland: Kehrtwende an der Grenze
       
       > Nach dem Treffen von Kanzler Scholz und CDU-Chef Merz im Kanzleramt
       > nähern sich Regierung und Union in der Migrationspolitik an.
       
   IMG Bild: Bei der EU beantragt: Polizeikontrollen an der Grenze zu Polen
       
       Berlin taz | Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat am Montag
       stationäre Grenzkontrollen nach Polen, Tschechien und zur Schweiz
       angekündigt. Außerdem sollen die Kontrollen in Bayern an der Grenze zu
       Österreich um weitere sechs Monate verlängert werden. Ein entsprechender
       Antrag sei bei der EU-Kommission eingereicht worden, teilte ihr Ministerium
       am Montag mit. Damit vollzieht sie eine weitere [1][Kehrtwende in der
       Migrationspolitik]. Es dürfte [2][nicht die letzte] sein.
       
       Am Freitagabend hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit CDU-Chef
       Friedrich Merz und Ländervertretern bei einem [3][Abendessen im Kanzleramt]
       über ein gemeinsames Vorgehen beim Thema Migration gesprochen. Alle Seiten
       nannten die etwa zweistündigen Beratungen anschließend konstruktiv, auch
       wenn es keine konkreten Ergebnisse gab. Ein Regierungssprecher sagte aber
       am Montag in Berlin, beide Politiker würden in der Frage „viele Punkte
       ähnlich bewerten“.
       
       Zuvor hatten die Bundesländer am Freitag bei einer
       Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) ihre Forderungen an den Bund in der
       Migrationsfrage formuliert. In einem 15-seitigen Papier verlangten die
       Länder unter anderem deutlich mehr Geld für die Versorgung von
       Geflüchteten, schnellere Asylverfahren und die Einführung einer
       bundesweiten Bezahlkarte, die Asylsuchende anstelle von Geldzahlungen
       erhalten sollen.
       
       Die Union begrüßte am Montag die Ankündigung der Innenministerin, die
       Grenzkontrollen auszuweiten: „Ein überfälliger Schritt“ sei das, lobte
       Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) und forderte, dass der Bund
       auch mehr Polizisten an den Grenzen zur Verfügung stellen müsse. Auch aus
       der SPD kam am Montag Zustimmung. Brandenburgs sozialdemokratischer
       Ministerpräsident, Dietmar Woidke, sagte, der jetzige Zustand an den
       Grenzen sei nicht hinnehmbar. „Der Staat muss hier handeln. Die stationären
       Kontrollen können dazu ein wichtiger Beitrag sein.“
       
       ## Pro Asyl fürchtet Pushbacks
       
       Scharfe Kritik kam dagegen von Pro Asyl: „Grenzkontrollen schrecken
       Menschen nicht ab, die vor Krieg und Verfolgung fliehen“, erklärte die
       rechtspolitische Sprecherin der Organisation, Wiebke Judith. Sie sagte, es
       sei besorgniserregend, dass dort, wo Grenzkontrollen stattfänden,
       Asylsuchende auch vermehrt zurückgewiesen würden. „Das sind illegale
       Pushbacks an Binnengrenzen, die von der deutschen Bundesregierung nicht
       toleriert werden dürfen“, so Judith.
       
       Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther forderte hingegen
       einen breiteren Schulterschluss zwischen Union und Regierung: „Alle
       Anstrengungen müssen sich in den kommenden Monaten darauf richten, dass die
       demokratischen Parteien gemeinsam die Handlungsfähigkeit des Staates und
       der staatlichen Institutionen beweisen“, sagte der CDU-Politiker der Welt.
       SPD-Chefin Saskia Esken bat CDU-Chef Friedrich Merz um konstruktive
       Mitarbeit: Merz könne als Oppositionsführer im Bund „viel dazu beitragen“,
       dass alle dabei mitwirkten, dass die Maßnahmen, die EU, Bund und Länder
       vereinbart hätten, „zügig umgesetzt werden“, schmeichelte sie ihm im
       Handelsblatt.
       
       Die Grünen signalisieren im Ringen um einen härteren Kurs in der
       Migrationspolitik Kompromissbereitschaft. Seine Partei sei bereit,
       Kompromisse zu machen, wenn sie den Kommunen helfen, sagte Parteichef Omid
       Nouripour der Augsburger Allgemeinen. „Alle Vorschläge sind willkommen,
       wenn sie rechtskonform und machbar sind und wenn sie die Kommunen
       voranbringen.“
       
       ## Nächstes Treffen im November
       
       Während Scholz die von den Ländern am Freitag vorgebrachten Vorschläge nach
       einer Beschleunigung der Asylverfahren, stationären Grenzkontrollen und
       einer bundesweit einheitlichen Bezahlkarte für Asylbewerber lobte, gehen
       diese Forderungen der Union nicht weit genug. CDU und CSU fordern weiterhin
       unter anderem einen Richtwert für die Aufnahme von Flüchtlingen – eine Art
       „Obergrenze“ – und die Einstufung weiterer Staaten als „sichere
       Herkunftsländer“, in die Flüchtlinge leichter abgeschoben werden können.
       
       Bis zu einem Treffen aller Ministerpräsidenten mit Scholz in Berlin am 6.
       November sollen nun konkrete Lösungen gefunden werden.
       
       16 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
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