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       # taz.de -- Atlas über Frauenrechte: Vermessung der weiblichen Welt
       
       > Joni Seagers in den USA gefeierter „Frauenatlas“ liegt nun auf Deutsch
       > vor. Darin zeigen Infografiken, wie es weltweit um die Rechte der Frauen
       > steht.
       
   IMG Bild: Flüchtlingscampim Sudan: Etwa die Hälfte aller Flüchtlinge auf der Welt sind Frauen
       
       Fast zwei Drittel aller Analphabet:innen sind Frauen. „520 Millionen
       Frauen können dies nicht lesen“, überschreibt die US-amerikanische
       Geografin Joni Seager ein Kapitel über globalen Analphabetismus. Ein
       Drittel aller Kinderbräute auf der ganzen Welt lebt in Indien.
       
       Im größten Teil der USA sind Kinderehen legal. Im Bundesstaat Tennessee
       waren zwischen 2000 und 2015 drei Mädchen erst zehn Jahre alt, als sie
       verheiratet wurden. Etwa die Hälfte aller Flüchtlinge auf der Welt sind
       Frauen. An Friedensverhandlungen in Afghanistan haben nur 6 Prozent Frauen
       teilgenommen. An denen in der Zentralafrikanischen Republik war gar keine
       beteiligt.
       
       ## Visualisierte Frauenrechte
       
       Fakten wie diese sind in Seagers „Frauenatlas“ nicht nur aufgeschrieben,
       sondern vor allem visualisiert: Auf fast 200 Seiten zeigen Karten und
       Infografiken, wie [1][Frauen weltweit leben]. Was Bildung angeht oder
       Arbeit, was Armut und Besitz betrifft, welche Rechte Frauen in Bezug auf
       Körperpolitik, Gesundheit oder Reproduktion erkämpft haben: der Atlas nimmt
       umfassend den Status quo der einen Hälfte der Menschheit in den Blick.
       
       Zum ersten Mal erschien er 1987 bei Myriad Editions, einem von Frauen
       geführten Verlag in den USA. Seitdem wurde er immer wieder aktualisiert.
       Die überfällige deutsche Erstausgabe wurde nun bei Hanser aufgelegt und
       macht die weltweite strukturelle Ungleichheit von Frauen deutlich, zugleich
       aber auch die Vielfalt von Erfahrungen.
       
       Denn Seager, die Professorin für Global Studies in Boston ist, läuft gar
       nicht erst Gefahr, alle Frauen gleich machen zu wollen. Auch zwischen
       Frauen und entlang der Kategorien von Race, Alter, Klasse und Herkunft,
       schreibt sie, gibt es große Unterschiede – was gezeigt wird, sofern es die
       Daten hergeben. In Panama etwa lag die Müttersterblichkeitsrate 2011 bei 70
       pro 100.000 Lebendgeburten. Bei indigenen Frauen, die auf dem Land leben,
       war die Rate zehnmal so hoch.
       
       Auch das Problem, dass der Atlas überwiegend eine binäre
       Geschlechterordnung reproduziert, thematisiert Seager: Die Daten, auf denen
       er beruht, die zumeist von den Vereinten Nationen,
       Wissenschaftler:innen und einzelnen Ländern erhoben wurden, geben eine
       andere Kategorisierung selten her. Es ist eine Vermessung der Welt nach
       geschlechterpolitischen Vorzeichen, wie sie derzeit sind – und eine
       bildliche Darstellung von Diskriminierung.
       
       In den USA wurde Seagers „Frauenatlas“ ausgezeichnet und vielfach bejubelt:
       Als „bahnbrechende, unschätzbare feministische Ressource“, wie die
       Frauenrechtlerin Gloria Steinem ihn nannte. An einigen Stelle aber
       erscheint er verkürzt: So wird in einem Kapitel über reproduktive Rechte,
       in dem es explizit um die Möglichkeit autonomer Entscheidungen von Frauen
       geht, auf das „Bestandhaltungsniveau“ einer Nation von 2,1 Geburten pro
       Frau Bezug genommen. Regierungen, schreibt Seager, seien „besorgt“
       angesichts sinkender Bevölkerungszahlen. Immigration gelte als der beste
       Weg, das Niveau zu halten oder zu steigern.
       
       Doch angesichts einer weltweit erstarkenden politischen Rechten, deren Ziel
       auch die Kontrolle von Frauenkörpern ist und die etwa in Ländern wie den
       USA oder Polen dabei ist, sichere [2][Schwangerschaftsabbrüche zu
       erschweren] oder unmöglich zu machen, sind das beschönigende
       Formulierungen.
       
       Nichtsdestotrotz ist der Atlas eine Bereicherung – sowohl für Menschen, die
       sich mit Geschlechterpolitik beschäftigen, als auch für solche, für die
       diese Form feministischer Geografie Neuland ist. Die Welt sieht so anders
       aus, wenn sie auf diese Weise kartiert wird.
       
       24 Jan 2021
       
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