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       # taz.de -- Attentäter von Halle: Der Geist von Benndorf
       
       > Mit seiner Tat wollte Stephan B. weltweit Aufmerksamkeit erzielen. Wo hat
       > er sich radikalisiert? Hatte er Freunde? Wie hat er seine Waffen gebaut?
       
   IMG Bild: Polizisten bewachen das Elternhaus von Stephan B. in Benndorf
       
       Benndorf, Helbra, Halle, Berlin taz | Rechts hinter den Bahnschienen steht
       ein Wappen, auf dem Hammer und Schlägel sich kreuzen und an vergangene Tage
       erinnern. Links reihen sich niedrige Häuserblöcke, in den Fenstern weiße
       Scheibengardinen. An einem anderen Tag könnte man den menschenleeren
       Kilometer zwischen Klostermansfeld und Helbra fast verpassen, doch nicht
       heute.
       
       Denn hier lebte bisweilen der 27-jährige Stefan B., der am vergangenen
       Mittwoch [1][eine Synagoge zu stürmen versuchte] und zwei Menschen tötete.
       Die Motive waren klar rechtsextremistisch und antisemitisch, wie er am
       Donnerstagabend in einem mehrstündigen Termin mit einem Ermittlungsrichter
       des Bundesgerichtshofes gestand.
       
       Es sind immer noch viele Fragen offen: Was ist der Attentäter von Halle für
       ein Mann? Hatte er Helfer? Wo hat er die Waffen gebaut? Warum hat ihn
       niemand dabei beobachtet?
       
       Am Donnerstagnachmittag um halb vier stehen mehrere Autos in Schwarz und
       Blau vor einem zweistöckigen Neubaublock in Benndorf, einer Gemeinde im
       Südwesten von Sachsen-Anhalt. Polizisten des Bundeskriminalamts laufen mit
       gelben Koffern von den Autos zum letzten Eingang des Blocks. Hier hat
       Stephan B. gewohnt. Die Bewohner von Benndorf, die mit uns reden, sprechen
       über Stephan B., als sei er ein Geist.
       
       ## Manchmal war er joggen
       
       Ja, er habe dort mit seiner Mutter gelebt, sagt eine Frau, die mit ihrem
       Hund spazieren geht. Sie möchte nicht, dass ihr Name veröffentlicht wird.
       Ihr Garten liegt nur ein paar Meter von dem Garten entfernt, den die B.s
       genutzt haben. „Ich habe den Jungen kaum gesehen“, sagt sie. Das ist
       ungefähr das, was hier alle über Stephan B. sagen.
       
       Im nahen Keglerclub sitzen acht Männer, einer ist 17, die anderen sind über
       30 und weit älter. Zwei trainieren, die anderen reden, trinken
       Ur-Krostitzer. Hier sei Stephan B. nie gewesen, aber junge Leute haben sie
       hier ohnehin kaum. Manchmal habe man ihn joggen sehen in einer braunen
       Hose. Dann kommt noch ein Mann, der üben will, er sagt, B. verdiene „eine
       ordentliche Strafe“, also Prügel, und zwar jeden Tag.
       
       Mehrere Menschen sagen, Stephan B. habe in Magdeburg Chemie studiert und
       sei bei der Bundeswehr gewesen, allerdings hat das sein Vater auch in einem
       Interview der Bild erzählt. Viele haben das gelesen. Viele kennen auch das
       Video von Stephan B.s Mordfahrt oder zumindest Teile davon, Kolleginnen und
       Freunde hätten es ihnen zugeschickt, sagen sie.
       
       Hatte Stephan B. Freunde? „Einmal habe ich ihn mit einem anderen jungen
       Mann das Dach der Laube decken sehen“, sagt die Frau mit dem Hund. Sie sagt
       auch, die Laube sei von Polizisten durchsucht worden. Die Laube ist
       interessant, weil sie der Ort sein könnte, an dem Stephan B. seine Waffen
       gebaut hat.
       
       Als Stephan B. den Link am Mittwochmittag postet, sitzt er bereits in einem
       Mietwagen voller selbst hergestellter Sprengsätze, er hat vier selbst
       gebaute Waffen dabei. Er lädt zum Videolink auch eine Dateisammlung mit 88
       Objekten hoch, die der taz vorliegt: sechs PDF-Dateien mit Tatplan und
       Anleitungen zum Waffenbau, ein Selfie und zwei Dutzend Fotos von Waffen,
       der Munition und Dateien, mit denen sich Waffenteile am 3-D-Drucker
       herstellen lassen.
       
       ## Waffen aus dem 3D-Drucker
       
       [2][Die Dokumente, die Stephan B. hochgeladen hat, belegen, dass er sich
       lange auf die Tat vorbereitet hat.] Eine Pistole wurde den Fotometadaten
       zufolge bereits im März fotografiert, einige Dateien stammen schon aus dem
       Frühjahr 2018. Bis auf ein Vorderladergewehr, das legal zu bekommen ist,
       sind die gezeigten Waffen alle selbst zusammengebaut. Die Teile aus Holz
       und Metall bekommt man in jedem Baumarkt. Manche der Waffen haben
       Plastikteile, die mit einem 3-D-Drucker hergestellt wurden. Er habe ein
       billiges Fabrikat für 100 Euro benutzt, schreibt B.
       
       Einen solchen Drucker fanden die Ermittler in den Wohnräumen [3][laut
       Spiegel ] und dpa. Die Bauanleitungen fand er online. Aber für die Holz-
       und Metallteile muss er irgendwo eine Werkbank und vielleicht eine Fräse
       benutzt haben. Zwei Polizisten stehen am Donnerstagnachmittag beim Tor der
       Schrebergartenanlage „Bergfrieden“. Im Garten der B.s steht eine
       Wassertonne, gelbe und rote Rosen blühen, die Ermittler sind bereits wieder
       verschwunden.
       
       Zwei Kilometer von der Wohnung, in der Stephan B. mit seiner Mutter gelebt
       hat, in dem Ort Helbra lebt der Vater. In einem Haus nahe dem Friedhof.
       Jeden Tag, so erzählt eine ehemalige Gartennachbarin der Mutter in Benndorf
       und eine Nachbarin des Vaters in Helbra, sei Stephan B. von der Wohnung der
       Mutter zum Haus des Vaters gelaufen. Morgens hin, abends gegen 5 oder 6 Uhr
       zurück, sagt die Frau in Benndorf. Ihre Tochter sei auch 27 Jahre alt, wie
       Stephan B. Er sei als Junge klug gewesen, habe ihrer Tochter in der 9.
       Klasse Nachhilfe in Naturwissenschaften gegeben, aber die habe ihn seltsam
       gefunden und den Unterricht abgebrochen.
       
       Warum wissen so wenige etwas über Stephan B.? Hört man sich um, dann wissen
       hier so einige Menschen eher wenig voneinander. Benndorf ist nicht das
       einzige ostdeutsche Dorf, in dem mit dem Zusammenbruch eines großen
       Kombinats oder einer LPG auch die gemeinsame Sinnstiftung verloren ging.
       Die Benndorfer haben hier Kupferschiefer aus der Erde geholt, seit 1990 ist
       alles zu.
       
       Weil in Benndorf so viele Bergarbeiter untergebracht werden mussten, stehen
       dort sehr viele Neubaublöcke, auch verglichen mit anderen ostdeutschen
       Dörfern, an deren Ränder oft diese Häuser gesetzt wurden, mit denen die DDR
       ihre notorische Wohnungsnot mindern wollte. Die Blöcke sind saniert. „Wir
       haben in unsere Wohnungen investiert, um die Leute zu halten“, sagt
       Bürgermeister Mario Zanirato. Gegangen sind viele trotzdem. Stephan B.
       auch, kurz, zum Studieren, dann kehrte er zurück und zog wieder bei seiner
       Mutter ein.
       
       ## 23,4 Prozent AfD-Wähler
       
       Mario Zanirato – Vater Italiener, seit 20 Jahren Bürgermeister – sagt,
       viele würden in seiner Gemeinde AfD wählen, was stimmt. In Benndorf holte
       die Partei bei der Bundestagswahl 2017 bereits 23,4 Prozent, der
       Landesdurchschnitt lag bei 16,9 Prozent. „Ich sage den anderen Parteien
       immer, wenn die AfD nicht so viel braunes Zeug in ihrem Programm hätte,
       dann würde die noch viel besser abschneiden“, sagt Zanirato noch. Er selbst
       ist parteilos.
       
       War Stephan B. online besser vernetzt als in seinem Leben in der realen
       Welt? Radikalisierte er sich im Internet? Bisher ist wenig dazu bekannt.
       
       Polizei und Staatsanwaltschaften scheinen in solchen Fällen etwas ratlos.
       Im April dieses Jahres hatte die FDP-Bundestagsfraktion in einer Kleinen
       Anfrage wissen wollen, wie Ermittlungsbehörden mit Foren und Chats umgehen.
       Die Antwort der Bundesregierung: Bundeskriminalamt und Bundesamt für
       Verfassungsschutz ermitteln und beobachten sie – und haben große Probleme
       dabei. Rechtsextreme Nutzer und Administratoren reagieren innerhalb von
       Stunden.
       
       Gruppen, Foren, ganze Seiten ziehen um und erscheinen an anderer Stelle
       unter neuem Namen erneut. Es ist der Bundesregierung daher nicht möglich,
       Angaben zu machen, an wie vielen virtuellen Orten sich Rechtsextremisten zu
       Propaganda- und Mobilisierungszwecken organisieren.
       
       ## „Er vermasselt alles“
       
       Mit seiner Tat wollte Stephan B. offenbar einen größeren Kreis von Menschen
       ansprechen: In seinem Post bat er darum, den Link zu seiner Dateisammlung
       zu verteilen. Und: Er meldet sich auf Englisch, seine Zielgruppe ist nicht
       Benndorf, nicht Halle, nicht Deutschland, es sind die Rechtsextremen aller
       Länder.
       
       Eine Handvoll User aus dem Imageboard sind die knapp 36 Minuten live dabei,
       manche sehen sich erst später die Aufzeichnung an. Einer schreibt: „Er
       vermasselt alles. Das ist verdammt ungeschickt.“ Ein anderer: „Das ist
       bizarr. Gerade wohl ein Flüchtlingsfreund erledigt, nicht schlecht.“ Und
       noch einer: „Keine Spoiler bitte, ich habe noch nicht alles gesehen.“
       
       Als das Video gelöscht wird, war es längst gespeichert und verbreitet
       worden. Auch Teile von Stephan B.s Dateisammlung tauchen später in
       Onlineforen auf. Und auch in geschlossenen Chatgruppen, in denen sie ihn
       als Helden feiern.
       
       12 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Das-Attentat-von-Halle/!5628896
   DIR [2] /Terroranschlag-in-Halle/!5632736/
   DIR [3] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/ermittler-finden-beim-attentaeter-zettel-mit-der-aufschrift-niete-a-1291049.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Schulz
   DIR Christina Schmidt
   DIR Sebastian Erb
   DIR Pia Stendera
       
       ## TAGS
       
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