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       # taz.de -- Auf Youtube gesperrtes RT Deutschland: Reichlich Tinnef
       
       > Nachdem Youtube die Kanäle von RT Deutschland gelöscht hat, reagiert
       > Russland mit Drohungen. Doch Präsident Putin braucht den Westen.
       
   IMG Bild: Putin lässt mal wieder seine Muskeln spielen
       
       Wenn die russische Staatspropaganda offensiv den ollen Karl Marx aus dem
       Schrank holt, ist Vorsicht geboten. „Die Gedanken der herrschenden Klasse
       sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, das heißt, die Klasse,
       welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich
       ihre herrschende geistige Macht“, zitiert RT Deutsch den Autor des
       „Kommunistischen Manifests“. „Mit der Löschung der RT DE-Videokanäle von
       ihrer Plattform hat die Google-Tochter YouTube wieder einmal demonstriert,
       wie dicht an der Wirklichkeit Karl Marx mit dieser Einschätzung lag“,
       schreibt [1][RT Deutsch auf seiner Website] in eigener Sache.
       
       Diese Argumentation hat eher was von Groucho Marx und ist mindestens so
       fake wie dessen angemalter Balkenschnurrbart. Doch leider lässt sich die
       Auseinandersetzung nicht als reine Vaudevilleklamotte, die sich ins 21.
       Jahrhundert verirrt hat, abhaken. Das Ganze ist Bestandteil von Putins
       Zersetzungsstrategie, sie geht zumindest in einigen Bereichen auf. Das
       vertrackte an Propaganda ist ja gerade, dass sie so einfach zu
       funktionieren scheint. Nach dem Motto „Haltet die Dieb*in!“ heißt die
       Überschrift des Beitrags: „Politische Zensur – oder: Wie der Westen das
       Denken beherrschen will“. Es gibt mittlerweile auch hierzulande eine
       Klientel, bei der das auf fruchtbaren Boden fällt. Und so schwafelt
       Nachdenkseiten-Gründer Albrecht Müller im Interview mit RT Deutsch brav
       von Zensur. Und RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan lässt sich gerne mit
       dem Satz zitieren, kein normaler Mensch glaube noch an Redefreiheit in
       Deutschland.
       
       Nun ist gerade der Umstand, dass so etwas uneingeschränkt geäußert werden
       kann, gleichzeitig das beste Argument gegen solchen Tinnef. Denn der Wahn
       vom beherrschbaren Denken existiert ja eher im Heimatland von RT. Wobei der
       russische Präsident Wladimir Putin und seine Knechte natürlich nicht so
       schlicht sind, wirklich daran zu glauben. Weshalb in [2][Russland freie
       Medien], oppositionelle Gedanken und der dazugehörende Journalismus mit
       Gewalt verfolgt und eingeschüchtert werden.
       
       ## Der Westen dient als Feinbild
       
       Logischerweise bekommen die RT-Mythen vom „Informationskrieg“, der hier
       tobe, durch die Löschung der Youtube-Kanäle neues Futter. Zumal RT und
       seine verblendeten Verbündeten nicht müde werden, mit allen zehn Fingern
       auf die Bundesregierung zu zeigen und zu raunen, dass die doch in Wahrheit
       dahinterstecke. Auf derlei Anwürfe überhaupt zu reagieren ist nicht
       wirklich klug. Regierungssprecher Steffen Seibert hat es trotzdem getan.
       Vermutlich, weil Schweigen statt eines klaren Dementis als
       Schuldeingeständnis gewertet worden wäre. Auch das gehört zur Logik der
       Zersetzung. Und es nützt nichts. Denn nun dreht RT die Propagandaschraube
       einfach weiter und lässt Adepten wie Müller verkünden, dieser Version der
       Bundesregierung sei selbstverständlich nicht zu trauen.
       
       War die Löschung der Kanäle deshalb falsch? Natürlich nicht, und was nun
       folgt, ist zu verschmerzen – selbst wenn der Kreml Ernst macht mit seinen
       Drohungen, nun die Arbeit deutscher und anderer westlicher Medien in
       Russland einzuschränken. Denn das läuft ohnehin und ist auch schon deutlich
       länger der Fall. [3][Putin] wird hier aber immer auf dem schmalen Grat
       zwischen Einschüchterung und Selbstentlarvung wandeln, der einen völligen
       Abbruch der medialen Beziehungen ausschließt. Schließlich braucht er den
       Westen als Handelspartner, Projektionsfläche und Feinbild
       
       Und was wird aus den hochtrabenden Plänen von RT Deutsch? Zum Glück nichts.
       Mit rund 200 neuen Stellen wollte der Kanal endlich durchstarten und
       „richtiges“ Fernsehen machen. Weil sich die hinter RT Deutsch stehende
       russische Staatsagentur Novosti sicher sein konnte, in Deutschland keine
       Sendelizenz zu erhalten, sollte Luxemburg ran. Doch das für seine liberale
       Medienpolitik bekannte Herzogtum, das einst ein Radioprogramm für
       Deutschland namens RTL zuließ, dachte nicht dran: Das Unternehmen sei
       schließlich in der Bundesrepublik ansässig.
       
       ## Alles Taktik
       
       Außerdem sei der wesentliche Teil des Personals in Berlin tätig. Daher
       unterliege das geplante TV-Programm der Rechtshoheit Deutschlands, so das
       luxemburgische Staatsministerium. Damit sind auch die Chancen von RT, in
       einem anderen EU-Land eine Zulassung zu bekommen und damit automatisch auch
       in Deutschland senden zu dürfen, gleich null.
       
       Besonders erfreulich ist, dass auch die Rekrutierungskampagne
       offensichtlich nicht aufgeht. Schließlich sind im klassischen
       Mediengeschäft die fetten Jahre vorbei. Von 200 neuen Jobs auf einen Schlag
       in Berlin sollte also eigentlich eine gewisse Attraktivität ausgehen. Doch
       von langen Bewerberschlangen bei RT wurde bislang nicht berichtet. Die
       Stellen sind immer noch ausgeschrieben. Von spektakulären Personalien, gar
       dem Abwerben bekannter Gesichter von anderen Sendern wie unlängst durch RTL
       und ProSiebenSat.1, kann schon gar keine Rede sein. Denn zum Journalismus
       gehört Wahrhaftigkeit. Doch davon ist bei RT nichts zu spüren.
       
       Wird die Zersetzungstaktik von RT trotzdem aufgehen? Nein, oder höchstens
       in der zum Glück kleinen Gruppe der Menschen, die für den demokratischen
       Diskurs schon jetzt nicht mehr erreichbar sind. Wichtig ist vor allem, sich
       hier nicht kirre machen zu lassen. Sondern lieber mit Marx eine Zigarre zu
       rauchen. Aber mit dem richtigen, mit Groucho.
       
       30 Sep 2021
       
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