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       # taz.de -- Aufstand gegen Reformpläne: Notruf an Lauterbach
       
       > Mit den Krankenhäusern und der Notfallversorgung sollen auch die
       > Rettungsdienste reformiert werden. Dagegen formiert sich Widerstand in
       > den Ländern.
       
   IMG Bild: Die Rettung der Rettungdienste ist umstritten
       
       Hannover taz | Es sind harsche Töne: „Der Rettungsdienst ist das letzte
       Glied im Gesundheitswesen, das überhaupt noch funktioniert. Wer die 112
       ruft, landet nicht in einer Warteschleife, dem wird innerhalb von 15
       Minuten geholfen!“ Das, sagt Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des
       Niedersächsischen Landkreistages (NLT), habe auch damit zu tun, dass der
       Bund hier nichts zu sagen hat. Der Rettungsdienst ist Ländersache.
       
       Meyer ist nicht der Einzige, der möchte, dass es so bleibt. Neben ihm stand
       Mitte September in Hannover Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens
       (SPD), die [1][Lauterbachs Pläne] ebenso kategorisch ablehnt wie Ralf
       Selbach, der Landesgeschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes in
       Niedersachsen. Sie präsentieren den Gründungsaufruf für das Bündnis „Rettet
       den Rettungsdienst 2.0“. 2.0, weil dieses Bündnis eine Neuauflage ist.
       Schon einmal waren Länder, Kommunen und Hilfsorganisationen erfolgreich
       gegen Reformpläne Sturm gelaufen, [2][2019, damals unter
       Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU)].
       
       „Wir brauchen nicht noch eine unausgegorene Reform“, lautet der Tenor in
       Hannover. Es drohe die Zerschlagung eines funktionierenden Systems. Was die
       Protestierenden besonders erbost: Die Reform segelt im Windschatten der
       viel umfangreicheren Reformen der Krankenhauslandschaft. Nicht einmal ein
       eigenes Gesetzgebungsverfahren soll es geben; die Inhalte sollen per
       Formulierungshilfe in [3][das Gesetzgebungsverfahren zur Notfallreform
       eingebracht werden].
       
       Aus Lauterbachs Sicht ist die Verknüpfung inhaltlich folgerichtig: Die
       Notfallreform versucht, die Notaufnahmen zu entlasten, indem die
       Leitstellen der 112 besser mit dem ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der
       116117 verknüpft werden sollen. „Integrierte Leitstellen“ sind das Ziel, um
       die Patientenströme besser steuern zu können und die kostbaren
       Notfallressourcen nicht mit Bagatellfällen zu überlasten.
       
       ## Hausaufgaben machen
       
       Gegen dieses Ziel hat auch in Niedersachsen niemand etwas, wohl aber
       dagegen, die Leitstellen anzutasten. Der Bund, so argumentieren die
       Bündnisvertreter, soll erst einmal an anderer Stelle seine Hausaufgaben
       machen: die Einstellung von Gemeindenotfallsanitätern, die Bagatellfälle
       übernehmen können; erweiterte Kompetenzen für Notfallsanitäter; klarere
       Abrechnungsstrukturen, die überflüssige Transporte verhindern.
       
       Zwar betonen die Vertreter des Protestes, wie wenig Konkretes man bisher
       eigentlich über die Lauterbach’schen Reformpläne wisse. Aber sie befürchten
       so einiges: Am Ende wird es „um Finanzierungsabschläge gehen, wenn
       bestimmte bürokratische Parameter nicht erfüllt werden“, wie es Landrat
       Rainer Rempe, Vorsitzender des NLT-Gesundheitsausschusses, formuliert.
       
       Auch das ist ein Dauerthema zwischen Ländern und Krankenkassen. In Ländern
       wie Niedersachsen bedeuten „integrierte Leitstellen“ nämlich etwas anderes
       – da sind die Feuerwehren mit im Boot. Und die Gesetzlichen Krankenkassen
       argwöhnen, dass Notfalltransporte so teuer ausfallen, weil der Brand- und
       Katastrophenschutz heimlich querfinanziert wird. Eine Unterstellung, die
       von den Leitstellenträgern, meist den Landkreisen, von sich gewiesen wird.
       
       Ganz überraschend sind die Reformanliegen nicht gekommen. Eine Debatte
       darüber, dass der Rettungsdienst nicht so gut funktioniert, wie er könnte
       und sollte, gibt es schon länger. Und nicht wenige Experten haben die
       Leitstellen als Schwachstelle ausgemacht. Erst im Juli hatte [4][ein
       Gutachten im Auftrag der Björn-Steiger-Stiftung] der Bundesrepublik
       bescheinigt, ihrem Auftrag zur medizinischen Notfallversorgung nur
       unzureichend nachzukommen. Es gebe kein flächendeckend funktionierendes
       Rettungsdienstsystem. Als wesentliches Hemmnis wurde die Aufsplittung der
       Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern ausgemacht.
       
       Auch die vom Bundesgesundheitsministerium eingesetzte Expertenkommission
       empfahl [5][in ihrem neunten Bericht vom September 2023] einheitliche
       Standards sowie eine Konzentration und Zentralisierung von Leitstellen. Zu
       einem ähnlichen Schluss war [6][eine Studie gekommen, die die
       Bertelsmann-Stiftung und die Björn-Steiger-Stiftung 2022 bei der
       Universität Maastricht] in Auftrag gegeben hatten. An einer Reform der
       Leitstellenstruktur führe auch deshalb kein Weg vorbei, weil es einen
       erheblichen Investitionsbedarf in intelligente Leitstellen- und
       Kommunikationstechnik gäbe, der sonst nicht zu leisten wäre.
       
       3 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/regierungskommission-legt-rettungsdienst-konzept-vor-pm-07-09-23
   DIR [2] /Neuaufstellung-der-Notfallversorung/!5621704
   DIR [3] /Reform-in-der-Notfallnummer-112/!5983107
   DIR [4] https://www.steiger-stiftung.de/presseartikel/gutachten-rettungsdienst/
   DIR [5] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Krankenhausreform/BMG_Stellungnahme_9_Rettungsdienst_bf.pdf
   DIR [6] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/notfallversorgung-rettungsdienst-in-deutschland
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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