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       # taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Davos der Frauen
       
       > In Frankreich setzen sich über 500 wirtschaftsnahe feministische
       > Netzwerke für Frauen in Führungsetagen ein. Das nennt man
       > Marktfeminismus.
       
   IMG Bild: Nur unter Ihresgleichen: Frankreichs Finanzfeministin Christine Lagarde
       
       Als der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron am 2.
       Dezember 2016 im Internationalen Kongresszentrum von Deauville sein
       Programm zur Gleichstellung vorstellte, sprach er auf Englisch: „Es ist
       unbedingt notwendig, Frauen den Aufstieg in leitende Positionen in
       Wirtschaft und Politik zu ermöglichen.“ Im Saal saßen mehrheitlich
       Geschäftsfrauen und Politikerinnen. Eingeladen hatte das Women’s Forum for
       the Economy and Society (WF). Keine drei Wochen später unterzeichneten zwei
       WF-Vorsitzende den Aufruf „Elles marchent“, um Macron im Wahlkampf zu
       unterstützen.
       
       Das Women’s Forum, dem die Presse den Spitznamen „Davos der Frauen“
       verpasst hat, hat seit seiner Gründung 2005 erheblich an Einfluss gewonnen.
       Die alljährlichen Zusammenkünfte sind ein Treffpunkt für Organisationen und
       Netzwerke, die mehr Frauen in die Führungsetagen bringen wollen. Die
       Soziologin Sophie Pochic spricht von „Marktfeminismus“: In den 1980er
       Jahren jenseits des Atlantiks entstanden, wurde der Marktfeminismus Anfang
       der 2000er Jahre auch in Frankreich en vogue. Wozu französische
       Tochtergesellschaften US-amerikanischer Multis entscheidend beigetragen
       haben.
       
       Françoise Picq, Historikerin, Soziologin und ehemalige Aktivistin der
       Frauenbewegung MLF (Mouvement de libération des femmes), erklärt dazu: „In
       den Vereinigten Staaten ist diese Allianz selbstverständlich. In einem
       kapitalistischen System besorgt man sich das Geld eben da, wo es zu finden
       ist – mittels Fundraising oder großer Stiftungen.“
       
       Während es in Frankreich noch vor 17 Jahren knapp 100 wirtschaftsnahe
       feministische Netzwerke gab, sind es heute laut dem Cercle InterElles über
       500.Weibliche Führungskräfte von France Télécom, IBM France, Schlumberger
       und GE Healthcare haben 2001 diesen Eliteklub gegründet, der zugleich als
       Schaufenster für die Multis und Informationsplattform für Frauen dienen
       sollte, die leitende Funktionen anstreben.
       
       ## Wenn die Multis auf Feminismus machen
       
       Erstes erfolgreiches Ergebnis ihrer Lobbyarbeit war im Jahr 2011 die
       Verabschiedung des Gesetzes Copé-Zimmermann, das private und öffentliche
       Unternehmen mit über 500 Angestellten und einem Umsatz von mehr als 50
       Millionen Euro dazu verpflichtete, ihre Kontrollgremien zu jeweils
       mindestens 40 Prozent mit Männern und Frauen zu besetzen. Ausgenommen von
       dieser Regelung sind allerdings die Vorstände und Geschäftsleitungen, bei
       denen die tatsächlichen Entscheidungsbefugnisse liegen. Hier betrug der
       Frauenanteil 2019 nur 17,9 Prozent.
       
       Die einzige Gesellschaft im CAC 40, dem Leitindex der 40 börsennotierten
       französischen Unternehmen, an deren Spitze derzeit eine Frau steht, ist der
       Energieversorger Engie; Isabelle Kocher wird ihre Leitungsfunktion bei
       Engie Anfang 2021 an Catherine MacGregor übergeben. Nichtsdestotrotz gehört
       Frankreich nicht nur zu den wenigen Ländern, die überhaupt Quoten
       eingeführt haben, es kann sich mittlerweile auch auf den höchsten
       Frauenanteil in den Kontrollgremien großer Unternehmen berufen: 2019 lag er
       bei 43,6 Prozent, im Vergleich zu 8,5 Prozent im Jahr 2007.
       
       Außer in Frankreich gibt es verbindliche Regelungen bisher nur in Norwegen
       (seit 2003), Italien (seit 2011) und im US-Bundesstaat Kalifornien (seit
       2018). Ende November einigte sich nach langem Streit auch die
       Regierungskoalition in Deutschland auf eine verbindliche [1][Frauenquote
       für Aufsichtsräte.]
       
       Dass der Feminismus von Eliten vorangetrieben wird, ist nicht neu. Berühmte
       Beispiele aus dem vorigen Jahrhundert sind vor allem die Suffragetten, die
       weltweit für das Frauenwahlrecht kämpften, oder in Frankreich die
       Gesundheitsministerin Simone Veil, deren Gesetzesinitiative zur
       Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen am 29. November 1974 von der
       Nationalversammlung angenommen wurde.
       
       ## Die Angst der Chefin vor Radikalfeministinnen
       
       In der Geschichte des Feminismus gab es immer schon unterschiedliche
       Strömungen, die einander bisweilen sogar bekämpft haben. Auch Aude de
       Thuin, die ihr Women’s Forum als „Wirtschaftsforum nach dem Vorbild von
       Davos“ definiert, will auf keinen Fall mit radikalfeministischen oder
       gewerkschaftlichen Organisationen in Verbindung gebracht werden.
       
       Von Anfang an wurde das jährliche WF-Treffen, an dem zwischen 1000 und 2000
       Frauen teilnehmen, von internationalen Konzernen gesponsert. Engie,
       McKinsey und das Facility-Management-Unternehmen Sodexo waren ebenso
       darunter wie Renault, dessen ehemaliger CEO Carlos Ghosn einer der ersten
       Unterstützer des Women’s Forum war. 2019 belief sich der Umsatz von Wefcos,
       dem Unternehmen, das das Forum organisiert, auf 6,6 Millionen Euro: Ein
       Ticket für zwei bis drei Kongresstage kostet zwischen 3000 und 4000 Euro.
       
       Dieses Unternehmensmodell hat auch andere Organisationen inspiriert. Der
       Club Journée de la femme digitale (JFD), der regelmäßig bei den Konferenzen
       des Women’s Forum dabei ist, fördert weibliche Start-ups. Finanzielle
       Unterstützung erhält JFD von einer Handvoll CAC-40-Unternehmen wie dem
       Mineralölkonzern Total, der Telekomfirma Orange oder L’Oréal, aber auch von
       US-Konzernen wie Google und Microsoft.
       
       Gleichstellung fördere das Wachstum, ist das zentrale Argument für mehr
       Frauen in Führungspositionen. Boris Janicek, ehemals leitender Angestellter
       bei L’Oréal und Co-Präsident im Club 21e Siècle zur Förderung von
       Diversität in Unternehmen, lobt beispielsweise die Bank Goldman Sachs, die
       seit Juli 2020 nur noch Börsengänge von Unternehmen begleitet, in deren
       Vorstand mindestens ein Mitglied mit „diversem Hintergrund“ sitzt und
       Frauen bevorzugt werden sollen. Janicek versichert: „Hier geht es nicht um
       Altruismus oder gesellschaftliche Verantwortung seitens der Firmen. In
       Unternehmen, deren Leitung divers aufgestellt ist, liegt die Wertsteigerung
       bei 44 Prozent in vier Jahren, in anderen bei nur 13 Prozent.“
       
       ## Monitoring, Networking und Mentoring
       
       Auch die großen Beratungsfirmen wie EY oder McKinsey vertreten die These,
       dass die Gleichstellung gut für den Markt und der Markt gut für die
       Gleichstellung sei. Einmal im Jahr bringt McKinsey in Kooperation mit dem
       Women’s Forum die Studie „Women matter“ heraus. Darin wird privaten wie
       öffentlichen Unternehmen ein Standardprogramm für das Personalmanagement
       nahegelegt: zu „Monitoring“ (Überwachung der Kennzahlen), „Networking“ (die
       Einrichtung von Netzwerken für Frauen in Führungspositionen) und
       „Mentoring“ (individuelle Begleitung).
       
       Seit das Gesetz Copé-Zimmermann Wirkung zeigt, schenkt der französische
       Staat weiblichen Führungskräften zunehmend mehr Aufmerksamkeit. Unter
       Macrons Präsidentschaft sind ihre Interessenvertretungen regelrecht im
       Aufwind. Regierungsmitglieder wie die ehemalige Arbeitsministerin Muriel
       Pénicaud oder die Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium Agnès
       Pannier-Runacher waren bereits beim Women’s Forum eingeladen, ebenso wie
       Astrid Panosyan, die Mitbegründerin von Macrons Partei En Marche! (heute La
       République en Marche).
       
       Im Oktober 2019 gaben das Wirtschafts- und das Bildungsministerium bei
       Chiara Corazza, Generaldirektorin des Women’s Forum, eine Studie in
       Auftrag, die im Februar 2020 unter dem Titel [2][„Les femmes au cœur de
       l’économie – La France pionnière du leadership] au féminin dans un monde en
       pleine transformation“ (Frauen im Herzen der Wirtschaft: Frankreich als
       Vorbild für weibliches Unternehmertum in einer sich wandelnden Welt)
       veröffentlicht wurde.
       
       Der Bericht stützt sich weitgehend auf die Arbeit der verschiedenen
       Ausschüsse des Women’s Forums, die von verschiedenen Unternehmen geleitet
       werden: Die Großbank BNP Paribas steht hinter „Frauen und Klima“, das
       Versicherungsunternehmen Axa leitet den Ausschuss „Frauen und der Zugang zu
       Gesundheitsdiensten“, und „Frauen und künstliche Intelligenz“ ist eine
       Initiative von Microsoft.
       
       „Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, aber auch des wirtschaftlichen
       Erfolgs: 240 Millionen Arbeitsplätze können bis 2025 entstehen und das
       globale Bruttoinlandsprodukt kann um 28 Billionen US-Dollar wachsen, wenn
       Frauen und Männer gleichermaßen vertreten sind“, lautet das Fazit der
       WF-Studie, die als Grundlage für einen Gesetzentwurf zur wirtschaftlichen
       Emanzipation der Frau dienen soll, der jedoch noch aussteht.
       
       ## Gender Pay Gap? Nicht so wichtig
       
       Von den 27 vorgeschlagenen Maßnahmen betreffen die meisten den Zugang zu
       technischen und wissenschaftlichen Berufen, die Einführung von Quoten, den
       Zugang zu Förderprogrammen oder die Schaffung neuer Stipendien für
       Hochbegabte. Nur an zwei Stellen werden der Gender Pay Gap erwähnt und
       gleiche Gehälter gefordert, und nur an einer Stelle wird die Verlängerung
       des Vaterschaftsurlaubs vorgeschlagen. Diese letzte Maßnahme wurde
       inzwischen umgesetzt: Ab 1. Juli 2021 soll sich der Anspruch auf
       Vaterschaftsurlaub von 14 auf 28 Tage verdoppeln.
       
       Diese Wahlverwandtschaft zwischen den „Marktfeministinnen“ und der
       „Macronie“ hat dazu beigetragen, dass die Gewerkschaften auf dem Feld der
       beruflichen Gleichstellung an den Rand gedrängt wurden. 2018 ließ sich die
       Regierung zum Beispiel von Sylvie Leyre beraten, die damals die
       Personalabteilung des Konzerns Schneider Electric leitete.
       Arbeitsministerin Muriel Pénicaud lud sie ein, an der Konzeption einer
       Software zur Beurteilung ungleicher Arbeitsvergütung mitzuarbeiten. Auf
       Grundlage dieser Zusammenarbeit entstand der Index der beruflichen
       Gleichstellung, der in das im September 2018 ratifizierte „Gesetz zur
       freien Wahl der beruflichen Zukunft“ eingeflossen ist.
       
       Während die Regierung Macron die Expertisen von Unternehmenschefinnen und
       weiblichen Führungskräften aus dem Privatsektor zu Rate zieht, um
       Gesetzentwürfe auszuarbeiten, hat sie die Beziehungen zu anderen
       feministischen Organisationen abgebrochen. „Eineinhalb Jahre hatten wir
       keinen Kontakt zu Marlène Schiappa, der Staatssekretärin für
       Gleichstellung“, erinnert sich Caroline De Haas, Gründerin des
       Frauenkollektivs #NousToutes. „Das änderte sich erst nach unserer [3][Demo
       gegen Femizide im November 2019], an der mehrere zehntausend Menschen
       teilgenommen haben.“
       
       Auch Marilyn Baldeck, Chefdelegierte der Europäischen Gesellschaft zur
       Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen am Arbeitsplatz (Association européenne
       contre les violences faites aux femmes au travail, AVFT), bedauert, dass
       die „Kommunikationskanäle zu den staatlichen Instanzen“ seit 2017
       verschwunden seien.
       
       ## Eine mal mehr, mal weniger subtile Form von Zensur
       
       Die Staatssekretärin Schiappa steht zu diesem Bruch mit den – wie sie sagt
       – „Satellitenverbänden der sozialistischen Partei“, wobei sie betont, dass
       die AVFT weiterhin bezuschusst werde. Hakt man nach, reagiert sie
       aufbrausend: „Es handelt sich um eine politisch orientierte Vereinigung,
       die den linken Parteien sehr nahesteht. Ich kann keine Gesetzentwürfe
       erstellen, indem ich Menschen einen Stift in die Hand drücke, die in
       Opposition zur Regierung stehen.“ Marilyn Baldeck verwahrt sich sichtlich
       amüsiert gegen diese Vorwürfe: „Weder die AVFT noch ich selbst standen
       jemals der sozialistischen Partei nahe, und übrigens auch keiner anderen
       Partei.“
       
       Die wirtschaftsnahen Frauenverbände haben gute Verbindungen zu
       Medienunternehmen, die ihnen politisch nahestehen. Sie nutzen diese Kanäle
       zu Werbezwecken, im Gegenzug können sich die großen Medienkonzerne einen
       feministischen Anstrich verpassen. Das „Davos der Frauen“ nutzte zunächst
       die Kommunikationskanäle der „PR-Päpstin“ Anne Méaux, später diejenigen der
       Agentur Publicis.Jedes Jahr ist dem Treffen eine lobende Berichterstattung
       im Figaro sicher, in der Zeitschrift Elle sowie in den Wirtschaftsmagazinen
       Challenges, Les Échos und La Tribune, allesamt Medienpartner des Women’s
       Forum.
       
       Diese Nähe kann zu einer mal mehr, mal weniger subtilen Form von Zensur
       führen. Ein Journalist, der für eines der genannten Medien arbeitete,
       erzählt von einem Telefonat, in dem eine leitende Redakteurin gegenüber
       einer Freelancerin bestätigt: „Ein Porträt über Anne Méaux zu
       veröffentlichen, wäre gewagt. Sie ist sehr einflussreich. Sie kennt alle
       unsere Werbekunden. Wenn ich sie kritisiere, werde ich gefeuert.“
       
       Für dasselbe Blatt verfasste eine junge Journalistin einen Artikel über die
       Personalpolitik bei L’Oréal, nachdem eine Mitarbeiterin gegen das
       Unternehmen geklagt hatte, weil sie wegen ihrer Schwangerschaft
       diskriminiert worden war. Allerdings war L’Oréal der zweitwichtigste
       Werbekunde dieser Zeitschrift. Die Firma rief umgehend in der Chefredaktion
       an, um den Artikel ändern zu lassen, der bereits online erschienen war, und
       eine Gegendarstellung zu veröffentlichen. Seither erwähnt die Zeitschrift
       den Kosmetikhersteller nur noch mit lobenden Worten.
       
       ## Business with Attitude
       
       Schließlich legt L’Oréal als Sponsor des Women’s Forum Wert auf ein
       feministisches Image. Das Unternehmen ist Partner des Beirats für
       Gleichstellung, der 2019 von den G7-Staaten unter dem Vorsitz Frankreichs
       eingerichtet wurde. Ähnlich ging auch die staatliche Eisenbahngesellschaft
       SNCF vor. Im Frühjahr 2019, in der Hochphase der Proteste gegen eine Reform
       zur Öffnung des Personenverkehrs für den Wettbewerb, rief die
       Geschäftsleitung in der Redaktion an und bat um einen Artikel, in dem ihre
       Unternehmenspolitik in Sachen Gleichstellung gelobt wird. Den Journalisten
       bot sie dafür kostenlose Zugtickets an.
       
       In den genannten Medien ist die Förderung weiblicher Führungskräfte nicht
       nur ein wiederkehrendes Thema, sondern auch eine Finanzquelle. So verleiht
       die Zeitschrift Madame Figaro seit mittlerweile vier Jahren den Preis
       „Business with Attitude“. Ausgezeichnet werden Managerinnen an der Spitze
       von Start-ups. Rund 100 Kandidatinnen werden von der Redaktion und einer
       Jury unter die Lupe genommen, die sich weitgehend aus Führungskräften
       großer Unternehmen zusammensetzt – dieses Jahr mit dabei: La Poste, das
       Hotelunternehmen Accor, die Privatbank Oddo BHF, der
       Energieversorgungskonzern Engie, Google und EY sowie die öffentliche
       Investitionsbank Bpifrance in Gestalt ihres Kommunikationschefs und
       Exekutivdirektors Patrice Bégay.
       
       Die Zeitschrift Elle ihrerseits hat das Forum „Elle Active“ ins Leben
       gerufen. 2019 waren die Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine
       Lagarde, und Jacques de Peretti, Generaldirektor von Axa France,
       eingeladen, ihre Ideen zum Feminismus zu präsentieren. Mit von der Partie
       waren die Netzwerke Force Femmes, Laboratoire de l’égalité, Financi’elles
       oder InterElles. Ein Stand von L’Oréal Paris lud die Teilnehmerinnen dazu
       ein, sich schminken zu lassen – mit dem Hinweis, dass bei
       Vorstellungsgesprächen auch das Erscheinungsbild zählt. Printmedien wie –
       Elle würden durch solche Veranstaltungen und das damit einhergehende
       Markensponsoring mittlerweile ihr Überleben sichern, meint Sophie Pochic.
       
       Die Feminisierung der Führungsetagen ist also auf gutem Weg. Anders sieht
       es jedoch an der Basis der Pyramide aus: 2018 war fast jede dritte Frau in
       Teilzeit beschäftigt; und weibliche Angestellte machten sogar 78 Prozent
       der Teilzeitbeschäftigen aus. In stark weiblich dominierten Berufen im
       Dienstleistungssektor (Reinigungswesen, Gastronomie, Einzelhandel, Pflege
       und so weiter) sind Teilzeitverträge die Regel.
       
       ## Zwischen Wohltätigkeit und militantem Feminismus
       
       Um diese Diskrepanz zu beheben, will Delphine Remy-Boutang, Chefin des
       digitalen Beratungsunternehmens The Bureau und Initiatorin der Journée de
       la femme digitale, die Unternehmen in die Verantwortung nehmen. Sie sollen
       ihren Angestellten einen Ausweg aus unsicheren Arbeitsverhältnissen bieten:
       „Viele Frauen haben einen Arbeitsplatz, der verschwinden wird.
       Kassiererinnen zum Beispiel. Man muss diesen Frauen helfen, sich digital
       weiterzubilden.“
       
       Diesen Weg verfolgt auch Force Femmes. In dem 2005 gegründeten Verein
       machen teilweise dieselben Frauen mit, die sich auch im Women’s Forum
       engagieren. Ihren Vorsitz führt die bekannte Unternehmerin Véronique
       Morali. Mit der finanziellen Unterstützung großer Konzerne helfen die
       ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen von Force Femmes arbeitslosen Frauen über
       45 Jahren, eine Anstellung zu finden oder sich selbstständig zu machen.
       
       „Bürgerliche Frauen haben bisweilen ihre Stellung genutzt, anderen Frauen
       zu helfen“, meint Françoise Picq: „Die Grenze zwischen Wohltätigkeit und
       militantem Feminismus ist oft fließend.“ Marion Rabier, Dozentin für
       Politikwissenschaften an der Universität Mulhouse, wird deutlicher: „Ich
       denke nicht, dass die Feminisierung der Geschäftswelt automatisch auch ein
       Hebel für die berufliche Gleichstellung ist.“ Als Beispiel nennt sie eine
       Unternehmerin, die sie beim Women’s Forum traf. Sie beklagte sich, dass
       ihre beiden Sekretärinnen gerade im Mutterschutz seien, und vertraute
       Rabier an, dass sie in Zukunft nur noch ältere Bewerberinnen einstellen
       wolle.
       
       Aus ideologischen Gründen befürworten diese Frauen eine Politik, die der
       großen Mehrheit ihrer Geschlechtsgenossinnen schadet. So lobte Laurence
       Parisot, die Präsidentin des Arbeitgeberverbands Medef, im September 2017
       die Beschlüsse zur Reform des Arbeitsrechts, obwohl gut 60 Persönlichkeiten
       und feministische Organisationen davor warnten, dass die Maßnahmen „die
       beruflichen Ungleichheiten verstärken“ würden.
       
       ## Die Staatsekretärin spricht von Kundenzufriedenheit
       
       Seit einigen Jahren streiken immer wieder Servicekräfte, die von
       Subunternehmern in Hotels beschäftigt werden. Als im Sommer 2019 das Hotel
       Ibis Batignolles im 17. Pariser Arrondissement bestreikt wurde, kündigte
       Staatssekretärin Marlène Schiappa an, sich mit der Situation zu befassen.
       2015 war Sébastien Bazin, Chef der Accor-Gruppe, zu der das Hotel gehört,
       Gast des Women’s Forum. Im September 2019 besuchte Schiappa die
       Streikposten des Ibis-Hotels, um klarzumachen, „dass sie sich nicht in die
       geschäftlichen Entscheidungen des Unternehmens einmischen und folglich auch
       nicht gegen die Vergabe an Subunternehmen vorgehen könne“, erinnert sich
       eine Gewerkschafterin, die den Streik unterstützt hat.
       
       Im Juli 2020 gab Marlène Schiappa ihr Amt an Élisabeth Moreno ab, die
       beigeordnete Gleichstellungsministerin. Die ehemalige Geschäftsführerin des
       Computer- und Smartphoneherstellers Lenovo France und später von
       Hewlett-Packard Afrika ist laut Chiara Corazza eine „Freundin des Women’s
       Forum“: „Ich werde ihr, so gut ich kann, helfen.“ Moreno war ebenfalls
       Mitglied im Club 21e-Siècle, besuchte den Journée de la femme digitale und
       unterstützte Women in Africa, eine 2015 von Aude de Thuin gegründete
       Initiative. „Ich setze große Hoffnung in Élisabeth Moreno, ich kenne sie
       gut“, erklärt Thuin, die Gründerin des Women’s Forum.
       
       Kurz nach ihrem Amtsantritt empfing Moreno die feministischen
       Organisationen, die ihre Vorgängerin ein wenig vernachlässigt hatte, zwar
       zum Essen. Dennoch ist nicht gesagt, dass damit ein neues Kapitel
       aufgeschlagen wird. Bei diesem Treffen erklärte eine Aktivistin der
       Fédération nationale Solidarité Femmes, dass ihre Organisation eine
       Notrufnummer für Opfer von Gewalt betreibe. Die Ministerin entgegnete
       daraufhin ganz selbstverständlich: „Ach ja, verstehe, Sie sprechen von
       Kundenzufriedenheit.“
       
       Einige Wochen später kündigte die Regierung an, dass sie den Betrieb dieser
       Hotline zum Gegenstand eines Wettbewerbs machen wolle. „Eine Entscheidung,
       die früher oder später dazu führen könnte, dass sie einem Betreiber
       anvertraut wird, der sich mehr um die wirtschaftliche Rentabilität als um
       die Qualität dieser Dienstleistung kümmert“, warnt Solidarité Femmes in
       einer Onlinepetition vom 16. November.
       
       Aus dem Französischen von Birgit Bayerlein
       
       12 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Frauenquote-in-Vorstaenden/!5730292
   DIR [2] https://www.economie.gouv.fr/rapport-femmes-au-coeur-economie-chiara-corraza
   DIR [3] /Gewalt-gegen-Frauen-in-Frankreich/!5640539
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Maïlys Khider
   DIR Timothée de Rauglaudre
       
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