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       # taz.de -- Ausstellung „Magical Realism“ in Brüssel: Der Magie das Unaussprechliche
       
       > Im Brüsseler WIELS, Zentrum für Zeitgenössische Künste, untersucht eine
       > Ausstellung die Beziehung von Realismus und Magie. Auch KI spielt eine
       > Rolle.
       
   IMG Bild: Was die Pflanzen wohl denken? Blick in die Ausstellung „Magical Realism“ im WIELS
       
       „Wer bist du? Wie spreche ich deinen Namen aus? Darf ich mich setzen?
       Sollte ich nun besser gehen?“ Diese Fragen stellte der in Kalifornien
       aufgewachsene Autor Barry Lopez an Landschaften, wenn er sie zum ersten Mal
       betrat. In seinem Essay „Love in a Time of Terror“ beschreibt er eine Reise
       ins australische Outback, in das Territorium der Warlpiri-Gemeinschaft. Zum
       Ziel hatte er nicht einen bestimmten Ort, sondern eine bestimmte Erfahrung:
       [1][Er suchte nach Verbundenheit mit einer Landschaft], „die den meisten
       Leuten aus meiner Kultur als Ödnis vorgekommen wäre“.
       
       Beim weiteren Nachdenken fällt ihm auf, wie wichtig die Figur der Metapher
       für diese Art, in der Welt zu sein, ist. Daher, so nimmt er an, sprechen
       Vertreter:innen der Warlpiri sogar in Verhandlungen eher in Metaphern
       als in sogenannten Fakten und Daten. Es gehe darum, Begriffe zu gebrauchen,
       die Interpretationsspielraum lassen, statt vorzugeben, dass Realitäten
       wortwörtlich und nur in einer einzigen Logik zu begreifen seien.
       
       In diesem Sinn ist die aktuelle [2][Ausstellung im WIELS], dem Brüsseler
       Zentrum für Zeitgenössische Kunst, eine Reise ins Outback. Unter dem Titel
       „Magical Realism: Imagining Natural Dis/order“ (Magischer Realismus:
       Natürliche Un/Ordnung vorstellen) versammelt sie Arbeiten von über 30
       internationalen Künstler:innen, die die Beziehungen zwischen dem (oft
       überfordernden) Realen und dem Magischen untersuchen.
       
       Dafür ist die Ausstellung im gesamten Gebäude einschließlich Treppenhaus
       und Dachterrasse auf beeindruckende Art verschachtelt. Man kann sich darin
       vorkommen wie in einem Gemälde von M. C. Escher, in dem es nicht klar ist,
       ob die Treppen nach unten oder nach oben gehen. Dennoch strahlt der Aufbau
       Großzügigkeit aus und hat ganz und gar nichts Klaustrophobisches –
       vielmehr landet man als Besucher:in plötzlich dort, wo man schon einmal
       war, jedoch verwandelt, transponiert, bereit, neu zu gucken oder sich
       weitertreiben zu lassen.
       
       Vielleicht sind es darum auch die Treibholz- und Strandgutinstallationen,
       die einen in den Bann ziehen. Zunächst „NAUfraga“ (Schiffbruch) von Cecilia
       Vicuña, ursprünglich für die [3][59. Biennale von Venedig] entstanden. Im
       Raum schweben organische und anorganische Fundstücke, die Mobilé-artig
       miteinander verknüpft sind: Plastik, Hölzer, Stücke von Fischernetzen,
       Schnüre, Drähte, Algen.
       
       ## „Schiffbrüchige“ als Ziffern im Raum
       
       Die in Chile aufgewachsene Vicuña bezieht sich in ihrer Installation auf
       zwei Begriffe: auf Quipu, eine Knotenschrift, die ab dem 7. Jahrhundert
       unserer Zeitrechnung in den Anden verbreitet war, sowie auf ihre Schöpfung
       einer arte precaria, einer prekären Kunst, bei der Vergänglichkeit und
       Verletzlichkeit die bestimmenden Kriterien sind. Höchstmögliche
       Verletzlichkeit setzt sie gegen härteste Brutalität. Ihre „Schiffbrüchigen“
       sind atmosphärische Ziffern im Raum – nicht zu entschlüsseln, aber fühlbar.
       
       Ein anderes faszinierendes Treibholzobjekt stammt von der belgischen
       Künstlerin Edith Dekyndt, deren Soloausstellung „Animal Methods“ Ende 2024
       in der Berliner Galerie Konrad Fischer zu sehen war. Sie hat ein
       Totholzstück durch eine von KI programmierte weiße Form ergänzt. Die
       resultierende Skulptur führt vor, wie in der Kunst Magie in Form von
       Schönheit entsteht. Überhaupt überrascht in „Magical Realism“ der Umgang
       mit sogenannter künstlicher Intelligenz. Sie wird nicht als Bedrohung für
       ein „künstlerisches Genie“ präsentiert, sondern vielmehr für das
       künstlerische Material benutzt.
       
       So entsteht zum Beispiel eine Verwandtschaft zwischen scheinbar entfernten
       Dingen wie den Objekten aus intentional hergestellten Pilzgeflechten von
       Nour Mobarak und [4][einer KI-generierten Antwort] auf Suzanne Huskys Frage
       „Kannst du eine Welt beschreiben, in der Menschen bewusst mit Vögeln,
       Fischen, Bäumen und Energie verbundene Wesen sind?“ Ein Exzerpt der
       Antwort: „Vögel teilen ihr Richtungsgefühl, wodurch Menschen nicht allein
       örtliche Orientierung erlangen können, sondern sich auch in tieferen Lagen
       von Gedanken und Intuition orientieren können.“
       
       ## Technik und Magie
       
       KI erscheint hier als das menschliche Pendant zu Intelligenzsystemen der
       nicht-menschlichen Natur. Mit dem Unterschied, dass andere Systeme in Bezug
       auf ihren Ressourcenverbrauch intelligenter sind. Im Katalog der
       Ausstellung arbeitet der Philosoph Federico Campagna die unterschiedliche
       Wirkweise von Technik und Magie heraus. Technik versteht er als absolute
       Sprache.
       
       Das Reich der Magie ist dagegen das Unaussprechliche, nicht durch Sprache
       Fassbare. Sich auf verkörpernde Art in das Andere zu versetzen, sei daher
       ein Weg, den Verlust der eigenen Welt als weniger bedrohlich zu erfahren.
       
       Diesen Möglichkeitsraum eröffnet „Magical Realism“. Wer sich auf den Weg
       vom Misanthropen zum Kosmopoliten machen möchte, ist zurzeit im Brüsseler
       Outback richtig.
       
       20 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Astrid Kaminski
       
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