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       # taz.de -- Ausstellung „Nie wieder Krieg“: Das Grauen schauen
       
       > Das Osnabrücker Museumsquartier will mit seiner Kollwitz- und
       > Barlach-Ausstellung die Opfer der Kriege in Erinnerung rufen. Das gelingt
       > eindrucksvoll.
       
   IMG Bild: Käthe Kollwitz' Arbeit „Das Volk“ ist das Blatt sieben der zwischen 1920 und 1922 entstandenen Holzschnittfolge „Krieg“
       
       Der Hype um Verteidigungsminister Boris Pistorius ist ungebrochen. Kein
       deutscher Politiker ist derzeit beliebter als der oft demonstrativ
       tarngefleckte Sozialdemokrat, der gern in Panzern und Jets posiert.
       Pistorius kann der Bundeswehr die „Kriegstüchtigkeit“ verordnen, einen
       „Neuen Wehrdienst“ nahelegen, einen „Nationalen Veteranentag“ bescheren:
       Zustimmung ist ihm sicher. Deutschlands Militär gewinnt neue Sichtbarkeit
       und Stärke, wird in eine neue Gesellschaftsrolle gepusht, die droht neuem
       Nationalismus und Chauvinismus Vorschub zu leisten. Da ist Vorsicht
       geboten.
       
       Im niedersächsischen Osnabrück, dessen Oberbürgermeister Pistorius einst
       war, gibt es ein Beispiel für diese Vorsicht: Kämpferisch stellt das
       Museumsquartier Osnabrück (MQ4) seiner Ausstellung „Barlach | Kollwitz
       – Nie wieder Krieg“ ein unbequemes, mahnendes Wort von [1][Käthe Kollwitz]
       voran: „Nicht nur bei uns geht die Jugend freiwillig und freudig in den
       Krieg, sondern bei allen Nationen“, schrieb sie 1916, zwei Jahre nachdem
       ihr ältester Sohn an der Front gestorben war.
       
       Mit ihm hatte Kollwitz, [2][zuvor noch recht vaterlandsfrohe
       Sozialdemokratin], ihre eigene Kriegsbegeisterung verloren. „Menschen, die
       unter anderen Umständen verstehende Freunde wären, gehen als Feinde
       aufeinander los. Ist wirklich die Jugend ohne Urteil? Geht sie immer los,
       sobald man sie aufruft?“, fragt die Künstlerin nun.
       
       „Nie wieder Krieg“ ist dunkel. Ausstellungsräumlich, werkstofflich und
       gedanklich. Eine schonungslose, abgründige Welt aus Schwarz, Fahlheit und
       Grau. In alptraumhaftem Ernst zeigt sie unerträgliches Leid, echt und tief.
       Brutal treten uns Not und Tod entgegen, Schmerz und Hunger, Verlorenheit
       und Verzweiflung. Der Krieg, rammt sie uns schockhaft ins Bewusstsein,
       frisst seine Kinder. Er ist die Hölle. Immer.
       
       Die Schau, rund 140 Grafiken und Skulpturen groß, trifft wie ein
       Gewehrkolben, wie ein Bajonett. Sie erprobt unsere Nerven. Sie berührt,
       bewegt, klagt an. Ihre Intensität ist immens, ihre Intimität, ihre
       Drastik. Ihr Titel ist ein sendungsbewusstes Statement: Er verweist auf das
       ikonische Plakat, das Kollwitz 1924 für die Sozialistische Arbeiterjugend
       in Leipzig gestaltet hatte. Ein junger Mann hebt auf ihm den rechten Arm
       zum Schwur: Nie wieder Krieg!
       
       Das Plakat ist das erste Exponat, das uns entgegentritt, riesig groß. Es
       nimmt nicht nur auf die Schrecken des Ersten Weltkriegs Bezug, die für
       Kollwitz ebenso prägend sind wie die sozialen Ungleichheiten ihrer Zeit,
       ein Ausfluss des [3][Kapitalismus]. Es ist ein Verweis auf die
       [4][Friedensbewegung] der 1970er und 1980er, aus der es nicht wegzudenken
       ist – eine Bewegung, der sich auch das Rahmenprogramm widmet.
       
       Die Ausstellung zeigt Menschen, die einander umklammern, die erkaltet vor
       uns liegen, zweifelnd Betende, Menschen unter Folter. Blicke gehen ins
       Nichts, Hände verdecken Gesichter. Universalverständlich ist das, zeitlos.
       „Wir sehen das auch als politische Schau“, sagt MQ4-Direktor [5][Nils-Arne
       Kässens] der taz. „Als Aufruf, sich ganz persönlich zu engagieren, für den
       Frieden, für die Demokratie.“
       
       Den Titel der Schau verstehe er als „utopischen Imperativ“, der leider sehr
       aktuell sei. „Das hier geht schon sehr unter die Haut.“ Ernst Barlach und
       Käthe Kollwitz gemeinsam zu zeigen, liegt nahe.
       
       Die beiden Vertreter der Klassischen Moderne waren miteinander befreundet,
       haben sich thematisch und motivisch ergänzt. Im kulturellen Gedächtnis
       stehen sie für die Sehnsucht nach einer friedvolleren, gerechteren Welt.
       Während Kollwitz schon vor der Machtübernahme die Nazis künstlerisch
       bekämpft – und 1933 prompt aus der Akademie fliegt, [6][diente sich Barlach
       dem Regime zunächst an]. Verfemt wurden beide.
       
       ## Kollwitz wirkt intensiver
       
       Klug sind ihre Holzschnitte, Lithografien, Bronzen, Strichätzungen und
       Radierungen im MQ4 so gruppiert, dass sie miteinander korrespondieren.
       [7][Kollwitz brennt sich dabei weit wirkmächtiger ein als Barlach]. Ihre
       Arbeiten wirken persönlicher, lebendiger, agitativer, kühner, intuitiver,
       politischer. Kollwitz erzeugt extreme Nähe, oft sehr körperlich, sehr
       expressiv. Sie inszeniert Pathos, Dramatik. Stark ist das. Es greift uns
       an, in unseren Sicherheiten. Doch [8][auch Barlach, dem Mystischeren,
       Distanzierteren, Helleren,] gelingen Botschaften, die haften bleiben:
       Stahlhelme zeigt er, als Teil eines Ehrenmals, das keines ist. Heroismus
       erscheint als Illusion.
       
       Werke von Barlach und Kollwitz hat man schon oft gesehen. Aber die Mahnung
       der hier versammelten Exponate, die Opfer der Kriege dieser Welt nicht zu
       vergessen, ist wichtig. Es sind Kriege, die uns nicht nur geografisch nahe
       sind.
       
       Kuratorin Maren Koormann beschreibt ihre Arbeit als einen Appell: „Es geht
       hier auch um den Schrecken, ob sich all das wiederholt, ob wir nichts
       gelernt haben.“ Kollwitz sei eine unglaublich starke Künstlerin, eine
       mutige Frau gewesen, eine Vorreiterin auf vielen Gebieten. „Es war immer
       ein Traum von mir, sie zu zeigen.“
       
       29 Jun 2024
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Harff-Peter Schönherr
       
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