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       # taz.de -- Ausstellung in London feiert die Diva: Ein gottähnliches Konzept
       
       > Das Victoria & Albert Museum widmet einem Thema, das nicht nur
       > feministisch ist, eine Sonderausstellung. „Diva“: eine mitreißende Schau.
       
   IMG Bild: Diven unter sich: Cher, Elton John und Diana Ross 1975 bei den Rock Awards in Santa Monica
       
       [1][Diva].
       
       Das Wort hat ja immer etwas Schmähendes: Da will wohl eine – seltener:
       einer – eine Sonderrolle! Sich von den anderen unterscheiden, das Köpfchen
       über die Häupter der anderen erheben!
       
       „Das ist ja eine Diva“ – das ist eigentlich in feministisch gesinnten
       Kontexten ein, wenn überhaupt, [2][vergifteter Ausruf]. Sind nicht alle
       gleich schön, interessant, durchsetzungsfähig und außerdem extrem gut
       gekleidet? Darf das überhaupt in unseren partizipativ gesinnten Kulturen
       sein – als [3][Aschenputtel], die wir ja alle sind, hochzugucken zu einer
       (und manchmal: einem) und freundlich ausrufen: Wie schön sie ist, wie über
       uns erhoben und wie entschwebt! Wirklich?
       
       Die Kuratorinnen des Victoria & Albert Museums in London, durchaus
       spezialiert auf die Bergung kultureller Schätze des Populären, haben sich
       couragiert herangewagt und eine in der Tat ergreifende, teils mitreißende
       Show aus einer gebirgigen scheinenden Fülle an Originalfummeln und
       Accessoires der Diven, den göttlich anmutenden Repräsentinnen* auf Erden,
       gefertigt.
       
       ## Die Diva als feministische Vorkämpferin
       
       Was eine Diva ist (nur Klamotten?, schlechtes, höfisches Benehmen?), was
       sie ziemt (Takt und Ton, ein Sprechen im Stuhlkreis?) und wie sie performt
       (unter gleißenden Scheinwerfern oder immer mit Kontakt zur Chorus Linel, zu
       ihrem Showgesinde?), das ist ganz unklar.
       
       In London haben sich die Macherinnen der Schau entschieden, die Diva als
       feministische Vorkämpferin zu präsentieren, schon in frühesten Zeiten, in
       der Oper und der Operette, bis in die sechziger Jahre mit der Callas als
       Königin der höchsten Töne, umschwärmt in einer Intensität, gegen die das
       Fantum, das der Russin Anna Netrobko entgegengebracht wird, blässlich und
       allenfalls überfönt wirkt.
       
       Die Diva, die Göttin in unserem Diesseits, ist eine Showfigur, die Höchstes
       kann, nämlich ihre Kunst. Sie weiß um ihr Handwerk, aber sie gibt nicht
       preis, wie sie es schafft, anders und besser als die anderen zu sein. Die
       Schau, interessanterweise und wie im Klischee schon am Vormittag nur durch
       Besucherinnen wie geflutet, fast keine Männer, bis, soweit man sie als
       solche zu lesen vermochte, ein paar schwule Fellows, die ja prinzipiell
       auch einen Sinn für das Un-Buddyhafte kapriziöser Kulturen haben.
       
       ## Die Ära des Pops
       
       Und was man von der Crowd auf den zwei Etagen hören kann, ist einerseits,
       im Parterre ein Herantasten, zumal mit den Kopfhörern auf den Ohren, eben
       die Callas, Mae West, Joan Crawford, Marlene Dietrich und you name it!
       
       Im ersten Stock, als es in die Ära der Zeit seit 1960 geht, den Jahren des
       Pop, schließlich ein Publikum, das die Songs der Sängerinnen mitsingt: Tina
       Turner, Shirley Bassey, Lady Gaga, Cher, Barbra Streisand, Diana Ross,
       Beyoncé, Lata Mangeshkar, Billie Holiday, Rihanna oder auch – als Referenz
       an die schillernden Formen neuer Männlichkeit – Freddie Mercury, die
       Dragkönigin RuPaul. Und, in einer eigenen Vitrine am Ende mit dem
       monströsen Fummel zu einem seiner Geburtstage, Elton John.
       
       Wir lernen: Diven sind Künstlerinnen, die in ihrer Zeit und in ihrer
       Disziplin mehr als andere von sich abforderten und mehr wollten, als man
       ihnen zugestehen mochte – und das jeden Tag, rund um die Uhr, bis zum
       Lebensende jeweils ihren Platz auf den Thronen der Glanzindustrien
       verteidigend, mal mehr, mal weniger souverän. Und es sind Menschen, die
       sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassen wollen, das zuallerletzt.
       
       ## Glamour und Eleganz
       
       Die australische Belcantistin Joan Sutherland sagte einmal auf die Frage,
       wie sie dieses Leben, in jeder Hinsicht fern aller Hausfräulichkeit,
       meistere: „Wenn ich nicht einigermaßen gelassen wäre, könnte ich dieses
       Leben nicht aushalten.“ Und, direkt als Rezept formuliert: „Um eine Diva zu
       sein, ist es unerlässlich, ein Gemüt wie ein Pferd zu haben.“
       
       Sie meinte das vermutlich absolut pferdefreundlich, wie sie sich einen
       Zossen vorstellte: springbereit und doch eigenwillig ruhig. Andere Sprüche
       sind auch zu lesen beziehungsweise im Ausstellungskatalog überliefert. Etwa
       die legendäre Josephine Baker, Revuetänzerin in Paris, Antifaschistin, zu
       Nazizeiten in Frankreich, sondergleichen: „Ich habe nie den einfachen Weg
       gewählt, immer den harten. Aber wissen Sie, wenn ich den harten Weg nahm,
       wollte ich es denen, die mir folgten, ein wenig leichter machen.“
       
       Und Mae West, auch eine Mächtige in ihrer Zeit, erwiderte auf die
       Bemerkung, sie sei anstrengend, mindestens, laut und deutlich, „wenn Männer
       ihre Meinung sagen, ist das scharf, wenn Frauen das gleiche sagen, gilt es
       als zickig“. Dann sei es eben so! Um es mit Bette Davis zu verfeinern:
       „Wenn ein Mann seine Meinung sagt, ist er ein Mann. Wenn eine Frau ihre
       Meinung sagt, ist sie eine Schlampe.“
       
       Alles wohl wahr, alles prima gebitcht. Unbedingt müssen diese Sottisen als
       sprachliche Widerstandsakte wider die Zumutungen männlicher Dominanz weiter
       überliefert und gefeiert werden. Nur kommt diese Ausstellung gänzlich ohne
       den Hinweis auf ein gewisses Merkmal von Diven aus: Dass sie geheimnisvoll
       bleiben, nie alles preisgeben, ihre Mittel nie zeigen wie ein Waffenlager –
       aber immer den Anschein erwecken, in genau diesem noch genug in petto zu
       haben. Stattdessen gibt einem die Schau das Gefühl, der Glamour, die
       Eleganz, ja, die spektakulären Klamotten seien textile Zeugnisse
       leutseliger Frauen, die mit den Töchtern Egalias im Bunde waren.
       
       ## Bilder vom weiblichen Erfolg
       
       Diva ist ja als Konzept so göttinnenähnlich angelegt, dass es kaum
       ausbleiben konnte, diese Frauen (und wenigen Männer) als exzeptionell zu
       sehen – eben keine Fabrikarbeiterinnen am Band oder in der Care-Arbeit.
       Traumschaumgestalten, eine schöner als die andere. Nur: Was haben denn
       Frauen wie Edith Piaf oder Björk in diesem Reigen zu schaffen? Und wenn
       schon sie, die mit Glam so gar nicht zu beschreiben sind (und waren),
       geheimnisarm oder kunstreligiös einsortierbar, warum nicht eine Königin der
       Diven aus dem Fach Emotionalität en gros und en détail, Céline Dion?
       
       Ich will nicht mäkeln – dafür, echte Aufrittsgarderoben gesehen zu haben,
       die akkuraten Erläuterungen dazu, die britisch-coole Art, fast nebenbei die
       Kritik des Camp an den Diven, die es zu ernst mit dem Scheinwerferlicht
       meinen: Es lohnt sich, diese Ausstellung buchstäblich zu erleben. Es sind
       auch Bilder vom weiblichen Erfolg, die über die männlichen Projektionen
       hinaus das Ihrige dazu beisteuerten, das Alphabet des Ästhetischen auf ein
       neues Niveau – bitchy durch und durch, immer situationsangemessen – gehoben
       zu haben.
       
       Ohne sie alle wäre die Welt hässlicher und böte keine Schimmer der
       Hoffnung, es mit dem Nachahmen nicht zu schwer zu nehmen: Eine jede, gleich
       welcher Identität, kann Diva sein, man muss sich nur trauen. Um zu
       gewinnen, nicht nur die Hälfte des Himmels.
       
       31 Aug 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Feddersen
       
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