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       # taz.de -- Ausstellung moderne Kunst: Wissen erleichtert die Arbeit
       
       > Erst das "Schwarze Quadrat", dann ein Prunkteller mit Hammer und Sichel:
       > Alles zu bestaunen in der Ausstellung "Malewitsch und die frühe Moderne"
       > in Baden-Baden.
       
   IMG Bild: Ist gar kein Quadrat: Das "Schwarze Quadrat" von Malewitsch.
       
       Das ist ja schief! Aber dann ist es ja gar kein Quadrat! Nein, ein
       richtiges Quadrat ist es wirklich nicht, das berühmte "Schwarze Quadrat"
       von Malewitsch. Denn die Seiten sind nicht exakt gleich lang. Es ist nur
       eine Winzigkeit, aber genau diese hebt das Quadrat aus der Fläche und dreht
       es in den Raum. Und schwarz ist es übrigens auch nicht. Nicht ganz. Es
       schillert in mehreren Schattierungen, flirrt, je nach Standort, je nach
       Licht, mal dunkler, mal heller.
       
       Ihren großen Oberlichtsaal hat die Kunsthalle Baden-Baden für ein paar
       wenige Bilder freigemacht. Ganz hinten an der Stirnseite das eine, die
       große Ikone der modernen Kunst, das "Schwarze Quadrat" von Kasimir
       Malewitsch, in einer eigenhändigen Kopie von 1929. Das Bild, von dem die
       neue Kunst ihren Ausgang nahm. Das Bild, das den einen noch fälligen
       Schritt zur totalen Abstraktion machte, damals, 1915.
       
       Auf der linken langen Wandseite sieht man weitere Arbeiten von Malewitsch:
       eine in vier Quadrate aufgeteilte Fläche von 1915, und auch sie ist ein
       klein wenig schief in den Raum gesetzt. Ein Rechteck mit Kreis. Eine
       geometrische Komposition, die von einem Quadrat ausgeht, es dreht und damit
       zu einem Kreis kommt, es verdoppelt und zu einem Rechteck formt und,
       verfünffacht, ein Kreuz erzeugt. Auf der rechten Wandseite hängen Bilder
       von Alexander Rodtschenko aus den Jahren 1918 bis 1920, nummerierte
       Kompositionen aus Linien, Kreisen und Dreiecken, manchmal fast
       dreidimensional scheinende Gebilde.
       
       Es war ein genialer Schritt von Malewitsch, mit dem er die Vorherrschaft
       der Farbe vor dem Abbild ein für alle Mal festlegte. In einer
       konzentrierten und fantasievollen Ausstellung zeigt die Kunsthalle diesen
       Urknall der Moderne, mitsamt seinen Weggefährten und einigen verblüffenden
       Folgen. Denn Malewitsch wurde nicht nur kopiert. Seine Forderung, dass es
       nicht nur eine neue Kunst, sondern auch eine neue Welt geben müsse, ein
       neues Denken, einen neuen Menschen und eine neue Architektur, fielen im
       revolutionären Russland auf fruchtbaren Boden. Erst unter Stalin wurde der
       sozialistische Realismus mit seinem kitschigen Pathos zur Staatsdoktrin.
       Bis dahin aber wurde munter und mitunter sehr humorvoll experimentiert, die
       Avantgardisten wurden gefördert, Malewitsch sogar Direktor der
       Kunstsammlungen des Kreml und Denkmalschutzkommissar.
       
       Die Ausstellung greift all dies auf. So sieht man in Baden-Baden nicht nur
       ein Eck-Konterrelief von Vladimir Tatlin, Werke von Rodtschenko, László
       Moholy-Nagy, Olga Rosanova, Nikolai Suetin, Walter Dexel und Wassily
       Kandinsky, die mal mehr, mal weniger zum Suprematismus oder
       Konstruktivismus neigten. Sondern auch Porzellan aus der Staatlichen
       Manufaktur Petrograd/Leningrad: modernes Geschirr mit revolutionären
       Parolen, Lenin-Konterfeis, ein Schachspiel mit ausgebeuteten Arbeitern auf
       der einen Seite, hübschen Bäuerinnen auf der anderen. Einen Prunkteller mit
       einer niederländischen Landschaft und Hammer und Sichel, eine schöne
       Kaffeekanne mit einer Fabrik darauf oder Teller mit revolutionären
       Zeitungen aus Petrograd.
       
       Ganz besondere Highlights sind die aufwendigen Rekonstruktionen: Dazu
       gehört die "Letzte Futuristische Ausstellung 0.10" von 1915, in der das
       "Schwarze Quadrat" wie eine Ikone im "Schönen Eck" hing; vor allem aber der
       durchgestylte "Arbeiterklub" in Rot und Weiß, mit Reformstühlen an einem
       langen Lesepult mit Zeitungen und Büchern (denn "Wissen erleichtert die
       Arbeit"), einer Rednertribüne, einem Schachspiel und einem Leninporträt.
       Der Pariser Pavillon von 1925, in der die konstruktivistische Kunst sich
       den Raum erobert und ein erstes Environment bildet. Und schließlich der
       "Merzbau" von Kurt Schwitters. Diese dadaistische Spielwiese aus
       verschachtelten Innenräumen mit Leiterchen und Spiegeln,
       Stalaktitenauswüchsen und Nischen darf man nur mit Pantoffeln betreten.
       
       Skizzen, Entwürfe und Architekturmodelle vervollständigen eine Ausstellung,
       die anschaulich macht, wie sinnlich, wie aufregend auch die reine
       Gedankenkunst sein kann, eine intellektuelle, avantgardistische und
       gleichzeitig politische Kunst mit dem hohen Anspruch, das Volk zu
       erreichen, sich einzumischen, zu formen und zu erziehen. Baden-Baden
       verführt zu träumen, ein solches Zusammenspiel sei womöglich auch unter
       heutigen Bedingungen vorstellbar.
       
       Mit dieser Schau zeigt die Kunsthalle, welche hohe Qualität man inzwischen
       von ihr erwarten kann. Wie Matthias Winzen gelingt es auch der neuen
       Direktorin Karola Kraus oft, geistige und ausdrucksvolle Elemente zu
       verbinden, politische und historische Positionen, spielerische und strenge.
       Die große Landesausstellung ist der erste Teil eines vierteiligen
       Jubiläumsprogramms, mit dem die Eröffnung der Kunsthalle im April 1909
       gefeiert wird. Sie wird mit "7 x 14" sieben junge, noch nicht arrivierte
       Künstler vorstellen, danach die iranische Künstlerin Nairy Baghramian und
       im Oktober mit dem Museum Frieder Burda eine große Baselitz-Ausstellung
       ausrichten.
       
       10 Nov 2008
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Georg Patzer
       
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