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       # taz.de -- Ausstellung zu Bauhaus und NS-Zeit: Auch Hitler saß im Freischwinger
       
       > Eine Ausstellung in Weimar zeigt, wie das Bauhaus im NS fortlebte. Ihr
       > Fazit: Es gab keinen Bruch zwischen Bauhaus-Moderne und Nazi-Ästhetik.
       
   IMG Bild: Propaganda-Publikationen aus der NS-Zeit, gestaltet von Bauhäusler:innen, Ausstellungsansicht „Bauhaus und Nationalsozialismus“
       
       Es ist wohl eines der schwierigsten Dinge, mit Ambivalenz umzugehen. In
       Weimar eröffnete jetzt eine Ausstellung über das Bauhaus im
       Nationalsozialismus. Es ist eine längst überfällige Schau voller
       moralischer Schattierungen über die deutsche Kunsthochschule, die noch
       2019, [1][hundert Jahre nach ihrer Gründung, allernorts als Heimstätte
       einer guten Moderne gefeiert] wurde.
       
       Bis heute ist der Ruf des Bauhauses recht unbescholten. Es kam der
       Hochschule, die auf eine neue Art Kunst und Handwerk zusammenführte, im
       Nachhinein wohl zugute, dass sie schon früh in Weimar von rechts in der
       Politik bekämpft wurde oder die lokale NSDAP beim Umzug 1925 in Walter
       Gropius’ ikonisches Lehrgebäude nach Dessau gegen ihren
       „Kulturbolschewismus“ polemisierte.
       
       Das Experiment Bauhaus endete 1933 in Berlin, noch ehe es sich mit dem
       Nazi-Apparat arrangieren musste. Man weiß, die [2][Bauhaus-Direktoren
       Walter Gropius] und Ludwig [3][Mies van der Rohe] versuchten noch für
       Hitler zu bauen, doch gingen beide früh genug ins amerikanische Exil, um
       sich ihm nicht mehr anzudienen.
       
       Die Institution des Bauhauses aber wirkte auch nach der Schließung tief in
       den Nationalsozialismus hinein, das zeigt nun die Schau mit ihrer Fülle an
       Biografien, Designobjekten und Kunstwerken einstiger Bauhäusler:innen.
       
       Erschreckend ist der Fall von Fritz Ertl. Ertl studierte am Bauhaus Dessau
       bei Hannes Meyer, [4][dem Sozialisten Meyer, der an Typenhäusern und
       Wohnungen zum Minimalbedarf arbeitete], später für die Sowjets entwerfen
       sollte. Den Gedanken einer Rationalisierung von Architektur verfolgte Ertl
       aufs Zynischste weiter als er, 1938 der SS beigetreten, zum Leiter des
       SS-Neubauleitung in Auschwitz avancierte.
       
       Die Ausstellung zeigt einen Plan des KZ Auschwitz-Birkenau, datiert auf
       Oktober 1941 und gezeichnet von Ertl. Die vielen Baracken, in denen
       Menschen wie Vieh gehalten wurden, sind darauf nur abstrakte Balken, der
       kalkuliert engste Raum der Insassen nur die Maßstabszahlen am Bildrand. Die
       Moderne als rationales Projekt, sie findet bei Ertls Architekturplänen
       ihren düstersten Abweg. Acht Bauhäuslerinnen [5][wurden im KZ Auschwitz
       ermordet], weil sie jüdisch waren.
       
       ## Hightech-Ästhetik und bäuerlich-völkische Idylle
       
       Fritz Ertl, obwohl nie gerichtlich verurteilt, gilt heute als NS-Täter.
       Doch wie verhält es sich mit den anderen aus der Kunsthochschule, die nach
       1933 in Deutschland weitermachten und die aufgrund ihres Berufs als
       Gestalter:innen – willig oder unwillig – den Nazi-Apparat ästhetisch am
       Laufen hielten?
       
       Da ist die Werbegrafikerin Irmgard Sörensen-Popitz. Sie wurde beim
       Leipziger Verlag Otto Beyer zu einer der ersten weiblichen Art Directors in
       der Design-Geschichte. Für auflagenstarke Zeitschriften wie die neue linie
       kombinierte sie verschiedene Druck- und Maltechniken zu reduzierten,
       geometrischen und geschmackvollen Werbebildern. Und das tat sie für den
       Verlag bis 1945, als der sein Programm der Nazi-Propaganda längst angepasst
       hatte.
       
       Der Österreicher Herbert Bayer gar schwang sich zum bestverdienenden
       Werbegestalter im Reich auf. Als Jungmeister in Dessau setzte Bayer noch
       die fürs Bauhaus so typische Kleinschreibung durch. Für die Nazis entwarf
       er dann Plakate, Logos und Publikationen mit einer Mischung aus
       Hightech-Ästhetik und bäuerlich-völkischer Idylle, auch für die Olympischen
       Sommerspiele 1936.
       
       1938 holte Walter Gropius ihn in die USA. Bayer blieb. Dort nahm er an
       einer ersten Bauhaus-Ausstellung jenseits des Atlantiks teil. Von Gropius
       initiiert, begann mit dieser maßgeblichen Schau im New Yorker Museum of
       Modern Art wohl auch der Mythos des Bauhauses, der sich so lange halten
       sollte, als Schmiede einer avantgardistischen, humanen Moderne fernab von
       Nazi-Deutschland. In Weimar hat man sie jetzt als
       Virtual-Reality-Installation rekonstruiert.
       
       ## Schnittige, leichte Gestaltung
       
       Bayer, Sörensen-Popitz oder der in Deutschland gebliebene Wilhelm Wagenfeld
       ([6][der mit der Wagenfeld-Lampe]) zeigen aber: Die Nazis propagierten
       nicht nur einen Schwarzwaldhütten-Style oder den monumentalen
       Neoklassizismus eines Albert Speer.
       
       Zum Reichsparteitag ließ die NSDAP Coca-Cola nach Nürnberg liefern, und
       auch sonst legte man sich im Alltag Gegenstände zu, die nach wie vor einer
       schnittigen, leichten Gestaltung wie der des Bauhauses entsprachen. Dafür
       spricht Wagenfelds wirtschaftlicher Erfolg während des NS, sein
       absatzstarkes Kubus-Geschirr kam erst 1938 auf den Markt.
       
       In der Ausstellung gibt es ein kurioses Foto von Adolf Hitler, der auf dem
       Oberberghof entspannt in einem Freischwinger der Firma Thonet seine Zeitung
       liest. Das elegante Stahlrohrmöbel war von einem Schüler [7][Marcel
       Breuers] entworfen worden. Für eine französische Zeitschrift ließ sich der
       „Chancelier“ darin 1937 in lockerem Jackett ablichten. Hitler als
       Kosmopolit: Für die Inszenierung war ein Bauhausmöbel die passendste
       Requisite.
       
       Dieses Foto macht es schwierig, noch die simple Trennung zwischen einem
       guten, menschlichen, offenen Design der Moderne und einer bösen,
       menschenverachtenden, völkischen Gestaltgebung der Nazis zu ziehen. Die
       Produktwelt des Reichs liegt zwischen braunem Mief und
       Fortschrittsversprechen.
       
       ## Die modern-runde Typografie gefiel der SS
       
       Es ist daher eine zu einfache, vielleicht zu schöne Erzählung, die
       serifenlose Schrift am schmiedeeisernen Tor des [8][KZ Buchenwald] mit dem
       zynischen Spruch „Jedem das Seine“ sei ein stiller Widerstandsakt des
       Bauhäuslers Franz Ehrlich gewesen. Der Kommunist wurde 1938 als
       Buchenwaldhäftling dazu gezwungen, das Tor zu gestalten, seine modern-runde
       Typografie war nicht subversiv, sie hat der SS einfach gefallen. Eine Kopie
       des Tors steht nun vor dem Schiller Museum, in dem der wichtigste Teil der
       Ausstellung die Biografien vieler Bauhäusler:innen aufarbeitet.
       
       Franz Ehrlich ist eine besonders brüchige Figur darin. In Buchenwald musste
       er für die SS Gebäude und Interieurs im tief-völkischen Stil entwerfen.
       Doch nach seiner Freilassung 1939 ließ er sich aus eigenen Stücken bis 1943
       bei der SS weiter anstellen. Nach dem Krieg blieb er in der DDR, wurde
       SED-Mitglied, erfolgreicher Möbeldesigner und Stasi-Informant. Was hat ihn
       zu diesen Entscheidungen bewogen?
       
       Die Ausstellung lässt einen da ratlos zurück. Aber das ist auch das Gute an
       ihr, die Ratlosigkeit.
       
       11 May 2024
       
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