# taz.de -- Ausstellung zu Marx und Wagner in Berlin: Ein Unterschied ums Ganze
> Das Deutsche Historische Museum möchte sich dem Thema Kapitalismus
> nähern. Erst mit Karl Marx, demnächst wird Richard Wagner folgen.
IMG Bild: Barackensiedlung in Paris, Rue Champlain, 20. Arrondissement, Paris Charles Marville, 1877-1878
Karl Marx und Richard Wagner, unterschiedlicher können zwei politische
Leben kaum verlaufen. Auf die Idee, sie irgendwie zusammen zu denken, kommt
man eher nicht, sie verbindet einzig der Umstand, zur selben Zeit gelebt zu
haben. Allein das Wort Zeitgenosse möchte man lieber vermeiden. Miteinander
beschäftigt haben sie sich nicht. Nur eine einzige Kommentierung von Marx
ist überliefert – er schimpfte, wenig überraschend, Wagner einen
„neudeutsch-preußischen Reichsmusikanten“.
Dennoch hat das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin sich für Marx
und Wagner entschieden, um sich einem Thema zu nähern. Mit zwei
Ausstellungen, die erste zu Karl Marx wurde vor zwei Tagen eröffnet, die
zweite zu Richard Wagner kommt im April hinzu, klammert das DHM das Thema
Kapitalismus.
Raphael Gross, Präsident des Deutschen Historischen Museum, wollte eine
„Ausstellung zeigen, die sich Kapitalismus zum Thema macht“, wie er
anlässlich der Eröffnung der Marx-Ausstellung sagte, und: „Wir haben alle
eine bestimmte Vorstellung davon was Kapitalismus ist – nur nicht
dieselbe.“
Das mag sein, ist doch der Kapitalismus nicht überall und nicht zu jeder
Zeit gleich, er verändert sein Gesicht und ist konflikthaft, aber dennoch
sollte klar sein, was den Kapitalismus grundsätzlich kennzeichnet, nämlich:
Privateigentum, Warentausch, Konkurrenz und der Widerspruch zwischen
Kapital und Arbeit.
## Verwerfungen der Moderne
Doch um die Analyse des Kapitalismus geht es in der Ausstellung nicht
wirklich. Ein paar marxsche Grundbegriffe werden kurz erklärt, aber die
marxsche Analyse und Theorie der politischen Ökonomie steht nicht im
Vordergrund. Vielmehr wird Marx hier in erster Linie, einer hegemonialen,
schiefen Lesart folgend, als Kapitalismuskritiker vorgestellt. Und als
einer der „schärfsten Kritiker der Verwerfungen der Moderne“; als Akteur in
seiner Zeit, einer Zeit des Umbruchs, des größtmöglichen vielleicht.
Kapitalismus meint hier Industriekapitalismus, der sich seit dem 18.
Jahrhundert von England ausgehend ausbreitete, mit seinen Maschinen und
Fabriken, neuen Rohstoffen und neuen Alltagsgegenständen, neuen
Lebensstandards und neuen Verelendungen, aber vor allem mit einer nie zuvor
gesehenen Produktivität, die eine erste große Welle der Globalisierung in
Gang setzte.
Marx-Biograf Jonathan Sperber hat den ersten Konzeptentwurf zur Ausstellung
geliefert. Entlang von sieben Themen wird den Besucher:innen Marx’
Wirken in seiner Zeit nähergebracht. Originalmanuskripte und Marx’ eigene
„Kapital“-Ausgabe, Teller und Zigarrenetui aus dem Besitz der Familie Marx,
Gemälde aus seiner Epoche (leider nicht immer im Original), Plakate, eine
Spinning Jenny, eine Geruchsinstallation und so weiter werden gezeigt. Ein
Humboldt-Pinguin macht auf Marx’ Einlassungen zur Ökologie aufmerksam.
Die Ausstellung führt den technischen und sozialen Wandel im 19.
Jahrhundert gut vor Augen, auch von den politischen Auseinandersetzungen
und Emanzipationsbestrebungen bekommen die Besucher:innen einen guten
Eindruck.
## Themen der Zeit
Unverschämt unterkomplex hingegen mutet der Abschnitt „Wirkungsgeschichte“
an. Dass es Filme und neue Publikationen gibt, die den Namen Karl Marx im
Titel tragen, für dieses Wissen bedarf es nicht einer Vitrine mit wahllos
zusammengestellten Büchern. Überhaupt, [1][wer die Ausstellungen zum
Marx-Jubiläum 2018 in Trier gesehen hat], vor allem jene über sein Leben
und Wirken im Trierer Simeonstift, die tatsächlich ein großes Panorama
seiner Zeit auffächerte, wird enttäuscht sein von der DHM-Ausstellung.
Im April werden dann die Besucher:innen sehen können, wie
unterschiedlich doch Marx’ und Wagners [2][Sicht auf Entfremdung],
Emanzipation oder Antisemitismus waren. Themen, die sie in ihrer Zeit nicht
als Einzige bearbeiteten. Ein Unterschied ums Ganze und ein Vergleich, der
lohnend sein könnte.
11 Feb 2022
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## AUTOREN
DIR Tania Martini
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