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       # taz.de -- Ausstellung zu Roma in Wien: Eine Geschichte des Argwohns
       
       > Im Wien Museum erzählt die Ausstellung „Romane Thana. Orte der Roma und
       > Sinti“ von den Mustern der Ausgrenzung.
       
   IMG Bild: Teil der Ausstellung: Bild der Familie Nitsch im Hof der Franklinstraße in Floridsdorf, um 1950.
       
       „Roma zurück nach Indien!“ Diese unmissverständliche Botschaft auf einer
       schwarzen Metalltafel war am Rande einer Roma-Siedlung im burgenländischen
       Oberwart aufgestellt. Als vier Männer aus der Siedlung sie entfernen
       wollten, explodierte eine Rohrbombe. Erwin und Karl Horvath, Josef Simon
       und Peter Sarközi waren tot.
       
       Der Sprengstoffanschlag des rassistischen Bombenbauers Franz Fuchs jährte
       sich am 4. Februar zum zwanzigsten Mal. Manuela Horvath nahm das Ereignis
       zum Anlass, die Biografien ihrer zwei Cousins und der beiden anderen Toten
       in Erinnerung zu rufen. Sie gestaltete eine Wand der Ausstellung „Romane
       Thana“, die jetzt im Wien Museum eröffnet wurde.
       
       Karl Horvath war 21 Jahre alt. Er arbeitete in einem Ziegelwerk, ging gern
       in die Disco und spielte mit anderen Burschen Fußball. Josef Simon war 40
       Jahre alt, beliebt wegen seiner Hilfsbereitschaft und seiner Fähigkeit,
       jede Art von Apparaten zu reparieren. Er war mit den anderen Opfern
       befreundet und spielte mit ihnen gerne Karten. Videointerviews, die Manuela
       Horvath mit Angehörigen führte, haben auch in ihr wieder Trauer, Hass und
       Angst erweckt. Aber: „Man muss das zulassen.“
       
       Obwohl Roma, Sinti und Lovara in Österreich seit Jahrhunderten sesshaft
       sind, haftet ihnen noch immer die Aura des fahrenden Volkes an. Das
       Anderssein ist ihnen in die Wiege gelegt, und die Zuschreibung aus der
       NS-Zeit, die erblichen Anlagen der „Zigeuner“ würden zwangsweise asoziales
       Verhalten bedingen, ist noch immer lebendig. Entsprechend reagierten die
       Behörden 1995 zunächst mit Hausdurchsuchungen bei den Nachbarn. Man sei
       offenbar von der Annahme ausgegangen, mutmaßt Manuela Horvath, „dass die
       Roma sich selbst in die Luft sprengen“.
       
       ## Herkunft verborgen
       
       Wegen solcher Vorurteile gehörte es lange Zeit zur Überlebensstrategie der
       Sinti und Roma, ihre Herkunft – oft selbst den eigenen Kindern gegenüber –
       zu verbergen. In Manuela Horvaths Familie war das nicht so. Der Großvater
       habe von der Zeit im KZ erzählt. Doch die Zeit der Verfolgung wurde – bis
       zum 4. Februar 1995 – als etwas längst Vergangenes betrachtet.
       
       Seit ihrem Auftauchen in Europa werden die Wandervölker aus Asien, die sich
       anfangs als Ägypter ausgaben, als unerwünschte Fremde betrachtet. Sie haben
       zwar nie Gebietsansprüche gestellt oder einen Krieg vom Zaun gebrochen,
       konnten aber ihre Herkunft nicht überzeugend nachweisen.
       
       „Wer als Volk in Europa an der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit
       Anerkennung finden will, muss in der Lage sein, über seine Abstammung
       Auskunft zu geben: am besten in Gestalt eines Epos, wie der Aeneis“, wagt
       der deutsche Literaturwissenschaftler und Suhrkamp-Autor Klaus-Michael
       Bogdal im Katalog eine Deutung. Doch die Roma, die über keine
       Schriftsprache verfügten, hätten auch keine Erinnerung mehr an ihren
       Aufbruch aus dem heutigen Nordindien gehabt.
       
       Während der mehrere Jahrhunderte andauernden Auseinandersetzung des
       Abendlandes mit dem Osmanischen Reich konnten die Roma auch nie den
       Verdacht abschütteln, sie spionierten für die Türken. Selbst die Annahme
       des Christentums konnte sie von diesem Argwohn nicht befreien.
       
       ## Angedrohte Strafen
       
       So überrascht es nicht, dass eines der ersten Dokumente, das die
       Anwesenheit von Roma in Mitteleuropa belegt, ein Patent aus dem
       Erzherzogtum Österreich zur „Zigeiner Außrottung“ ist. Gemeint ist damit
       nicht die physische Eliminierung, aber immerhin die „Verhafftbring- und
       Abstraffung“ von „Gesindel“ wie „umbherscheiffenden Persohnen, deren
       Weibern und Kindern“.
       
       Kaiser Joseph II. verfügte Ende des 18. Jahrhunderts im Geiste der
       Aufklärung die Zwangsansiedlung des fahrenden Volks. Es ist symptomatisch,
       dass bis weit ins 20. Jahrhundert kaum Quellen der Sinti und Roma über sich
       selbst existieren, sondern immer die Außensicht dokumentiert wird. Daran
       änderte auch die Romantik im 19. Jahrhundert nichts, die die „Zigeuner“ als
       Projektionsobjekte für die Sehnsucht nach einem freien, ungebundenen Leben
       entdeckte.
       
       Das umherschweifende „Leben unter freiem Himmel, eine freie Sexualität,
       künstlerische Kreativität und eine überschäumende Lebenslust, die in Musik
       und Tanz ihren Ausdruck findet“, habe als Gegenbild der eigenen
       Gesellschaft gedient, schreibt Bogdal. Man denke nur an Esmeralda in Victor
       Hugos „Glöckner von Notre Dame“ oder Prosper Mérimées Carmen.
       
       ## Fotos aus Polizeiakten
       
       Die meisten Fotos, die von Angehörigen der Sinti und Roma überliefert sind,
       stammen aus Polizeiakten: Profil, en face, Halbprofil. Die Aufnahmen aus
       den frühen 1930er Jahren sind eine Leihgabe aus dem Archivbestand der
       Anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums, deren damaliger
       Leiter Viktor Lebzelter sich mit der Erforschung der „Rassen“ in Österreich
       beschäftigte. Lebzelter, der 1936 starb, soll zwar ein Gegner der
       NS-Rassenideologie gewesen sein, doch bescheinigt sein Interesse, dass die
       „Zigeuner“ noch immer als Exoten betrachtet wurden, aus deren Physiognomie
       man wohl Rückschlüsse über den Charakter des Volkes zog.
       
       Ceja Stojka erinnerte sich noch gut an den 3. März 1943, als Gestapo-Männer
       die Tür ihrer Hütte eintraten und ihre Mutter suchten. Zehn Jahre alt war
       sie damals, und in den folgenden zwei Jahren sollte ein großer Teil ihrer
       Familie ausgerottet werden. Sie überlebte Deportation, Anhaltelager und KZ.
       
       Aber 90 Prozent der damals in Österreich lebenden etwa 9.000 Roma fielen
       dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer. Ceja Stojka, deren Mutter
       sich nach dem Krieg in Wien als Teppichhändlerin und Marktfahrerin
       verdingte, brauchte viele Jahre, um ihre Geschichte zu erzählen. Erst 1988
       brach sie ihr Schweigen, als sie von der Ethnologin und Regisseurin Karin
       Berger für einen Film interviewt wurde.
       
       ## Die späte Erzählung
       
       In der Folge entwickelte sie sich zu einer Art inoffizieller Sprecherin der
       Wiener Roma, deren Lieder und naive Gemälde von der Verfolgung, aber auch
       von den Festen und Bräuchen ihres Volkes erzählen. Und es ist symptomatisch
       für Österreichs Umgang mit der Vergangenheit, dass die halbalphabetisierte
       Frau erst wenige Jahre vor ihrem Tod im Januar 2012 durch die Verleihung
       des Professorinnentitels eine späte Würdigung erfuhr. Ein Platz in der Nähe
       ihres letzten Wohnsitzes in Wien trägt heute ihren Namen.
       
       Die Ausstellung wurde vom Romano Centro, dem Kulturverein österreichischer
       Roma in Wien, angeregt. Im Gegensatz zum traditionellen Herangehen an die
       Welt der Sinti und Roma ist es keine Schau über die „Zigeuner“, sondern
       eine mit und teilweise von ihnen gestaltete. Neben dem historischen Teil,
       der sich großteils auf Eigenbestände des Wien Museums stützt, besteht sie
       aus elf Tischen, die von Angehörigen der Völker gestaltet wurden. Da gibt
       es einen über Roma als Hausbesorger, Romni als Putzfrauen in Spitälern,
       Bettler aus der Slowakei und Rumänien, Migrantenschicksale.
       
       ## Alben der Familie
       
       Barka Emeni hat ihre Fotoalben ausgepackt. Ihre Familie versuchte ihre
       Identität als Sinti zu verschleiern. Zu Hause wurde Romanes gesprochen, in
       der Öffentlichkeit Serbokroatisch. Großvater Ismailj hatte es aus
       wirtschaftlicher Not aus einem Dorf im Kosovo nach Skopje, die Hauptstadt
       der jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien, verschlagen.
       
       Barka erinnert sich noch an das Absingen von Liedern, die den
       Revolutionschef Marschall Tito priesen, der damals schon lange tot war. Als
       Baby mit weißem Spitzenhäubchen posiert die kleine Barka zwischen den
       Eltern, deren Augen melancholisch, gleichwohl mit einer gewissen
       Entschlossenheit in die Zukunft blicken. Der Zerfall Jugoslawiens trieb die
       Eltern zunächst in die Schweiz, wo sie in einem Nest namens Oberbuchsiten
       im Kanton Solothurn Fuß fassten. Die Zeugen Jehovas kümmerten sich um sie
       und veranlassten sie, vom Islam zu konvertieren.
       
       Schließlich landete Barka in Wien, wo sie ihr Heil in der bedingungslosen
       Assimilation suchte und schließlich „zu meinen Wurzeln und zu mir selbst“
       fand. Das Plakat der Ausstellung zeigt den Teenager mit langen Haaren an
       einer Straßenecke im 10. Bezirk. Sie ist angekommen. Und wenn sie nach
       ihrer Herkunft gefragt wird, sagt sie, ohne nachzudenken: Wien.
       
       18 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Leonhard
       
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