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       # taz.de -- Ausweitung der Bezahlkarte geplant: Bezahlen mit der Stigma-Karte
       
       > Hamburg prüft die Ausweitung der Bezahlkarte auf Bezieher anderer
       > staatlicher Leistungen. Hätten die auch mit den gleichen Restriktionen zu
       > kämpfen?
       
   IMG Bild: Tausche Gutscheine gegen Bares: Wer die Bezahlkarte austricksen will, braucht Hilfe
       
       Bremen taz | Das Land Hamburg gibt sich bei der Bezahlkarte weiter als
       Vorreiter: Während einige niedersächsische [1][Kommunen sich noch dagegen
       sperren], die Karte für Asylbewerber*innen umzusetzen, plant der
       Hamburger Senat bereits eine Erweiterung. In einem „Vorprojekt“, so
       schreibt der Senat in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken,
       werde aktuell die Nutzung auch für Empfänger*innen von Sozialleistungen
       geprüft.
       
       Neu daran ist vor allem die Information, dass es tatsächlich einen
       Praxistest gibt. Die Idee, die Bezahlkarte auszuweiten, ist aber schon weit
       älter – sie stammt aus den Anfangstagen des Systems: Schon als im August
       2023 durch eine Kleine Anfrage der Linken beim Senat bekannt wurde, dass
       Hamburg ein Pilotprojekt zur Bezahlkarte für Asylbewerber*innen plant,
       hieß es nach Einführung wäre sie „dann anwendbar für alle Empfängerinnen
       und Empfänger von Sozialleistungen, die über kein Konto verfügen“.
       
       Auch in ihrer aktuellen Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken verweist
       der Senat auf diese Ursprungspläne – und ergänzt: „Diese Karte würde nicht
       den gleichen gesetzlich vorgesehenen Ausgestaltungsmöglichkeiten wie die
       Bezahlkarte im Asylbewerberleistungsgesetz unterliegen.“
       
       „Ausgestaltungsmöglichkeiten“ – damit gemeint sind Beschränkungen:
       Asylbewerber*innen können mit der Karte nicht ins Ausland überweisen,
       sie können (in Hamburg und den meisten anderen Bundesländern) nur 50 Euro
       Bargeld abheben, und Überweisungen und Lastschriftaufträge nur an wenige
       ausgewählte Empfänger ausführen (zum Beispiel Mobilfunkanbieter oder
       bestimmte Inkassounternehmen). Darüber hinaus besteht bis heute technisch
       nicht die Möglichkeit, online mit der Karte zu bezahlen – obwohl das (für
       wenige zuvor definierte Zwecke) seit Langem versprochen ist.
       
       ## Bezahlkarte – Erleichterung oder offen für Restriktionen?
       
       Sozialhilfeempfänger*innen hätten solche Einschränkungen nicht zu
       befürchten, scheint die Antwort des Senats zu implizieren. Im Gegenteil:
       eine Erleichterung sollen die Karten sein. Für alle ohne Konto,
       argumentiert die Behörde in ihrer Antwort, könnte die Bezahlkarte „einen
       schnellen und unkomplizierten Zugang zu ihren Geldleistungen ermöglichen.“
       Auch das Land hätte Vorteile: Die Zahlstellen in den Bezirksämtern, in
       denen aktuell Bargeld ausgezahlt wird, würden entlastet.
       
       Die Bürgerschaftsfraktion Die Linke, die die Anfrage gestellt hat, findet
       die Antwort trotzdem bedrohlich: „Wenn man es einmal einführt, ist das
       System für Restriktionen offen“, ist die migrationspolitische Sprecherin
       Carola Ensslen überzeugt. „So wie die Diskussion momentan läuft, sind
       Sozialleistungsbeziehende die nächste Gruppe, die diffamiert und bedrängt
       wird.“
       
       Die Verankerung der Bezahlkarte im Sozialgesetzbuch könnte reichen, glaubt
       Ensslen, um dann mit Beschlüssen auf Verwaltungsebene alle möglichen
       Beschränkungen einzuführen. Das schließlich sei die Erfahrung aus der
       Bezahlkarte für Geflüchtete.
       
       Und tatsächlich: Für die Einführung der Bezahlkarte wurde immer wieder
       damit [2][argumentiert, Asylbewerber*innen könnten sonst ihr Geld ins
       Ausland] überweisen. Allerdings gibt es kein deutsches Gesetz, dass
       Asylbewerberleistungsempfängern solche Auslandsüberweisungen verbieten
       würde. Mit der Karte wird es für die Inhaber aber praktisch unmöglich (oder
       sehr sehr schwierig). Ein entsprechender Beschluss der
       Innenministerkonferenz von Ende 2023 war dafür ausreichend, ein eigenes
       Gesetz wurde nicht gebraucht.
       
       Die Bezahlkarte für Sozialhilfeempfänger*innen könnte schnell
       ähnliche Restriktionen mitbringen, glaubt Ensslen. „Ein kluges Argument“,
       findet Karl Jürgen Bieback, emeritierter Professor für Sozialrecht an der
       Uni Hamburg.Die Sorge teilt er in dieser Form trotzdem nicht. Der
       Unterschied: Im Asylbewerberleistungsgesetz ist die Möglichkeit vorgesehen,
       dass nur Sachleistungen, also kein Geld, gewährt werden. Bei
       Sozialleistungen ist das anders, da geht es konkret um Geld.“ Gegen
       mögliche Einschränkungen bei einer Bezahlkarte könnten Leistungsbezieher
       deshalb erfolgreich klagen, vermutet er.
       
       Die Hamburger Finanzbehörde erklärt auch auf Nachfrage hin nicht, wie das
       geplante Projekt konkret aussehen soll. Eine völlig restriktionsfreie
       Variante könnte bedeuten: Inhaber*innen können die Karte wie eine
       kostenfreie Kreditkarte mit festem Verfügungsrahmen nutzen.
       Auslandsüberweisungen, Onlinekäufe, Barabhebungen in der Bank oder beim
       Supermarkt – alles wäre damit möglich. Für Menschen, die bisher kein Konto
       haben, würde das in der Tat eine Erleichterung bedeuten.
       
       ## Bargeld stigmatisiert nicht
       
       „Wäre das so ausgestaltet, könnte man es schlucken“, meint Ensslen.
       Bedenken hätte sie trotzdem – schon weil die Empfänger*innen bezüglich
       des Anbieters keine Auswahlmöglichkeiten hätten, und so all ihre
       Bezahldaten automatisch an den amerikanischen Konzern Visa fließen würden.
       
       Auch Rechtsexperte Bieback sieht die Karte kritisch. „Es ist eine
       Stigmatisierung, mit so einer Karte zu bezahlen“, sagt er. „Das ist der
       große Unterschied zum Bargeld, da ist egal, woher es kommt: Geld stinkt
       nicht.“ Die Finanzbehörde weist den Vorwurf der Stigmatisierung allerdings
       von sich: Schließlich seien die Karten diskriminierungsfrei gestaltet und
       vom Design vergleichbar mit anderen Debitkarten.
       
       Die angebliche Erleichterung im Zahlungsverkehr hält Bieback dennoch für
       ein „politisches Konstrukt“ – schließlich fordert die EU-Gesetzgebung ein
       Basiskonto für alle. Das Problem dabei sind oft die [3][hohen Kosten für
       Konten ohne regelmäßige Gehaltszahlungen.] Vermutlich“, sagt Bieback,
       „könnte man den Banken einfach vorschreiben, dass sie das umsonst anbieten.
       Dann wäre das Problem sauber gelöst.“
       
       22 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Probleme-mit-Gefluechteten-Card/!6071584
   DIR [2] /Debatte-um-Bezahlkarte/!6050229
   DIR [3] /Urteil-vom-BGH-zu-Kreditinstituten/!5697660
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lotta Drügemöller
       
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