URI: 
       # taz.de -- Autorin über Patriarchales Design: „Geeicht auf 40-jährigen Mann“
       
       > Von der Toilettenbenutzung bis zu den Algorithmen: Rebekka Endler über
       > eine Welt, die sich nach Durchschnittsmännern richtet.
       
   IMG Bild: Strahl des Anstoßes: Links kostet die Benutzung dieser Toilette 50 Cent, rechts ist Pinkeln gratis
       
       taz: Frau Endler, demnächst verlassen viele von uns absehbar wieder [1][das
       Homeoffice] und arbeiten wieder mit anderen zusammen. Kann eine
       Raumtemperatur eigentlich sexistisch sein? 
       
       Rebekka Endler: Wenn in einem Großraumbüro einem Großteil der Cis-Frauen
       kalt ist, während es den -Männern gut geht, dann würde ich sagen: Ja. Die
       Frage ist: Steckt dahinter Absicht? Und das würde ich in den meisten Fällen
       verneinen. Aber die Standardtemperatur in einem Büro entspricht der
       Wohlfühltemperatur des Cis-Manns.
       
       Frauen mögen es lieber etwas wärmer? 
       
       Da gibt es auch noch kulturelle Unterschiede, aber die Vorlieben von
       Cis-Männern und -Frauen unterscheiden sich um 3 bis 5 Grad. Da spielt der
       Stoffwechsel eine Rolle, auch das Alter: Alle Menschen werden
       kälteempfindlicher, je älter sie werden. Wichtig ist: Häufig ist die
       Temperatur in so einem Zusammenhang geeicht auf einen etwa 40 Jahre alten
       Cis-Mann von durchschnittlichem Gewicht.
       
       Was sich schon bei diesem lebensnahen Beispiel zeigt, zieht sich durch
       [2][das ganze Buch]: Wie sehr, von der öffentlichen Toilette bis zum
       Crashtest-Dummy, die Dinge ausgerichtet werden an den Bedürfnissen einer
       angenommenen Norm-Person – und die ist (cis-)männlich. 
       
       In den USA zum Beispiel ist für öffentliche Gebäude eine Temperatur
       festgelegt, das ist in den 1960er-Jahren passiert. So eine feste Norm gibt
       es etwa beim Deutschlandfunk, bei dem ich arbeite, nicht. Aber wie warm es
       im Büro ist, das orientiert sich an den Entscheider:innen an höchster
       Stelle – und das sind meistens Männer, die [3][womöglich noch im Anzug] zur
       Arbeit erscheinen.
       
       Wir hatten es schon gestreift: Steckt hinter so etwas nun eine Absicht, gar
       böser Wille? Oder eher eine Art männlicher Tunnelblick? 
       
       Mit dem Wort „böse“ tue ich mich schwer. Die wenigsten Menschen sind böse.
       Wenn aber ein Festhalten an bestimmten Machtstrukturen zu beobachten ist,
       dann steckt dahinter eine Absicht. Ob sich die Menschen, also Männer,
       dieser Absicht aber bewusst sind? Ich kriege sehr viele teils auch
       aggressive Nachrichten. Und ich glaube, nur ein sehr geringer Teil der
       Absender ist sich dessen bewusst, dass er da gerade seine patriarchalen
       Felle davon schwimmen sieht.
       
       Für Ihr Buch haben Sie „mit vielen unterschiedlichen Frauen aus
       unterschiedlichen Generationen“ gesprochen. Männer zu gewinnen, gestaltete
       sich schwieriger? 
       
       Als Journalist:innen sind wir beide es ja gewohnt, mit allen möglichen
       Leuten zu sprechen, und darin liegt ein großer Reiz. Für mein Buch habe ich
       Menschen angesprochen und mich erst mal für die Annahme rechtfertigen
       müssen, dass es patriarchales Design überhaupt gibt. Oder ich habe als
       Feedback erhalten, meine ganze Idee sei völliger Quatsch, weil wir doch in
       einer gleichberechtigten Welt lebten.
       
       Und dann lieber nicht? 
       
       Ich habe mir irgendwann gedacht: Das brauche ich nicht unbedingt. Wir hören
       in den Medien ohnehin sehr viel mehr Cis-Männer als alle anderen
       Personengruppen. Ich bin ja niemandem Ausgewogenheit schuldig, ich schreibe
       mein eigenes, ohnehin sehr egozentrisches Buch, dann kann ich ja auch
       einfach mit Menschen sprechen, bei denen ich mich nicht erst mal
       rechtfertigen muss – keine einzige Frau hat mir gesagt, dass die Idee
       hinter meinem Buch Quatsch ist.
       
       Es geht im Buch auch um Dinge, die eigens für Frauen entwickelt und
       vermarktet werden, während sich andere ausdrücklich nur an Männer zu
       richten scheinen. Wie zufällig – oder eben nicht – ist es, dass es ein
       [4][Videospielgerät namens „Gameboy“] gibt, aber kein „Gamegirl“? 
       
       Coden, also Programmieren, ist ursprünglich von Frauen, und darunter
       besonders auch von Women of Color betrieben worden, weil es da auch noch
       gar nicht als wissenschaftlich-mathematische Fähigkeit anerkannt war. Mit
       der Entwicklung der Informatik als eigener Wissenschaft wurde es [5][dann
       komplett männlich dominiert]. Und so sind bis heute – und Deutschland ist
       da ganz vorne mit dabei – in MINT-Berufen und Studiengängen
       nicht-cis-männliche Menschen stark unterrepräsentiert. Das hat auch mit
       Marketing zu tun: Die ersten Computer, die ersten PCs wurden für den Mann,
       für Jungs vermarktet. Und ein paar Jahrzehnte später müssen wir darüber
       nachdenken, wie sehr auch Algorithmen und künstliche Intelligenz einem
       männlichen und sehr weißen Bias unterliegen. Das hat einen Rattenschwanz
       von Problemen, die ja in Zukunft immer wichtiger werden.
       
       Wie sehr berühren oder überschneidet sich patriarchales Design mit anderen
       Biases, also bezogen etwa auf die Hautfarbe? 
       
       Die Schnittmenge ist groß. Egal, ob wir über das Patriarchat sprechen oder
       über Rassismus oder über Compulsory Able-Bodied-Ismus …
       
       … in etwa übersetzbar als das Voraussetzen eines nichtbehinderten Körpers … 
       
       … es geht immer um gesellschaftliche Macht. Ein Beispiel, das es nicht ins
       Buch geschafft hat, aber in den vergangenen Tagen viel in den Medien war:
       Bei den Olympischen Spielen, den Schwimmwettbewerben, sind Badekappen nicht
       zugelassen, die eigens entwickelt wurden für Menschen mit traditionell
       afroamerikanischen Frisuren. Das fällt für mich mit meinem Designbegriff
       auch unter patriarchales Design, weil es auch rassistisches Design ist. Es
       macht unsere weiße Übermacht deutlich, ausgerechnet bei so etwas wie den
       Olympischen Spielen; dieser Deutungshoheit: Wer entscheidet, was erlaubt
       ist und was nicht?
       
       11 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Homeoffice/!t5681268
   DIR [2] https://www.dumont-buchverlag.de/buch/endler-das-patriarchat-9783832181369/
   DIR [3] /Abschied-von-Jan-Hofer/!5735638
   DIR [4] /Strittige-Kunstaktion-des-ZPS/!5646405
   DIR [5] /US-Film-Hidden-Figures/!5379067
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Diehl
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR taz.gazete
   DIR Feminismus
   DIR Gender
   DIR Sexismus
   DIR Design
   DIR Rechter Populismus
   DIR Frauenpolitik
   DIR Bremen
   DIR Kolumne Habibitus
   DIR Menstruation
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Podcasterinnen über rechte Romantik: „Mehrere Arten von schlimm“
       
       Trump, christlicher Nationalismus und die Rollenangebote in Romance Novels:
       Der medienkritische Podcast „Feminist Shelf Control“ gastiert in Hamburg.
       
   DIR Streit um öffentliche Toilette in Hamburg: Das Pinkelprivileg
       
       An der Alster wurde die Frauen-Toilette zur Unisex-Toilette umgebaut,
       während die Männertoilette erhalten blieb. Linke-Politiker fordern Rückbau.
       
   DIR Geschlechtergerechtigkeit abgelehnt: Kein Netzwerk für Deerns
       
       Mit dem Stadtmarketing-Maskottchen „Vegesacker Junge“ werden nur junge
       Männer gefördert. Eine Bremerin wollte das ändern – und stieß auf eine
       Wand.
       
   DIR Debatten innerhalb Communitys: Zwischen Kritik und Schadenfreude
       
       Ob Antisemitismus in der Antirassismusszene oder Transfeindlichkeit unter
       Feminist_innen: Es passiert. Nur ist es schwer zu ertragen.
       
   DIR Die These: Ich will keine „Period-Revolution“
       
       Ich will nur einen Tampon! Unsere Autorin ist genervt von Hashtags wie
       #PeriodPositive. Vor allem, wenn es dabei nur noch ums Verkaufen geht.