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       # taz.de -- BSW in Ostdeutschland: Plötzlich Minister?
       
       > Als Racheengel der Vergessenen ist Sahra Wagenknecht auf Kreuzzug gegen
       > die Ampel. Ihre neue Rolle als Königsmacherin stellt sie vor ein Problem.
       
   IMG Bild: Popstar: Sahra Wagenknecht hat die Wahl
       
       Wagenknecht hat es geschafft. Seit Jahren kritisiert sie die Politik des
       Westens gegenüber Russland und die Waffenlieferungen an die Ukraine und
       teilt dabei vor allem gegen die Ampel-Parteien kräftig aus. Sie geriert
       sich als Anwältin der kleinen Leute und des Mittelstands und polemisiert
       gegen eine in ihren Augen [1][zu woke Linke,] die zu viel Rücksicht auf
       Minderheiten nehme, sowie eine Migrations- und Klimapolitik, die „die
       Menschen“ angeblich überfordere. Aus Talkshows ist sie damit nicht mehr
       wegzudenken, als Bestseller-Autorin füllt sie die Hallen.
       
       [2][Sahra Wagenknecht ist ein Popstar.] Popstars sind Projektionsflächen
       für Wünsche und Fantasien: Sie sprechen und leben stellvertretend aus, was
       andere nicht können oder sich nicht trauen. Sie retten die Welt, setzen
       sich gegen alle Widerstände durch oder üben schlicht Rache, so wie Clint
       Eastwood als „Dirty Harry“ oder Sylvester Stallone als „Rambo“.
       
       Auch Sahra Wagenknecht ist so ein Racheengel: Sie will der Ampel den Garaus
       machen und verspricht, das Land grundlegend zu verändern, nicht weniger.
       Damit macht sie insbesondere Menschen Hoffnung, die sich Sorgen um ihre
       wirtschaftliche Zukunft machen und solchen, die lange nicht mehr zur Wahl
       gegangen sind.
       
       Mit ihrer erst im Januar gegründeten Partei hat sie bei den Landtagswahlen
       in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zweistellige Ergebnisse erzielt und
       ist jeweils drittstärkste Kraft geworden. Ihrer Partei fällt damit in allen
       drei Bundesländern eine Schlüsselrolle zu: Ohne das „Bündnis Sahra
       Wagenknecht“ lässt sich keine Regierung bilden, wenn die AfD außen vor
       bleiben soll.
       
       ## Maximale Forderungen
       
       Sahra Wagenknecht reizt ihre neue Rolle als Königsmacherin aus: Sie hat
       schon vor den Wahlen die Ansprüche an mögliche Koalitionen sehr hoch
       gehängt und besteht darauf, bei den Verhandlungen persönlich dabei zu sein.
       Sie fordert, dass Deutschland keine weiteren Waffen an die Ukraine liefert
       und hierzulande keine US-Mittelstreckenraketen stationiert werden. Das will
       sie in die Koalitionsverträge hineinschreiben lassen, um so über den
       Bundesrat Druck auf die Bundespolitik auszuüben.
       
       Schon in der Linkspartei hat sich Wagenknecht in der Opposition wohler
       gefühlt und es stets abgelehnt, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Aber
       die CDU braucht das BSW jetzt, um in Sachsen und Thüringen eine Regierung
       zu bilden. Der SPD geht es in Brandenburg genauso. Inhaltlich spricht wenig
       dagegen: Wie die SPD setzt das BSW auf soziale Sicherheit. Es fordert
       höhere Renten und bessere Löhne, will Krankenhäuser und Schulen in der
       Fläche bewahren und mehr in die Infrastruktur investieren. Wie das bezahlt
       werden soll, verrät das BSW allerdings nicht.
       
       Mit der CDU weist das BSW ebenfalls Schnittmengen auf, etwa in der
       Migrationspolitik. Auch das BSW will die Einwanderung begrenzen und mehr
       Menschen abschieben. Flüchtlingen, die keinen Anspruch auf Asyl haben, will
       Sahra Wagenknecht sogar alle Sozialleistungen streichen.
       
       Selbst mit Blick auf die Haltung zur Ukraine und Russland, dem Hauptthema
       von Sahra Wagenknecht, sind die Gräben zu den anderen Parteien nicht
       unüberwindbar, zumindest im Osten. Sowohl Sachsens CDU-Ministerpräsident
       Michael Kretschmer wie der Sozialdemokrat Dietmar Woidke in Brandenburg
       haben sich schon für Verhandlungen mit Russland und mehr Diplomatie
       ausgesprochen.
       
       Wie realistisch solche Friedensinitiativen auch sein mögen: Diese Haltung
       ist im Osten mehrheitsfähig. Es bringt deshalb wenig, die [3][BSW-Wähler]
       zu beschimpfen oder die Partei als „Extremisten“ zu bezeichnen. Nicht
       jeder, der das BSW wählt, will, dass die Ukraine kapituliert. Aber vielen
       macht die Militarisierung der deutschen Gesellschaft Sorgen. Und viele
       fragen sich, warum der Wehretat steigen soll, während bei Sozialleistungen,
       dem Deutschlandticket oder der Rente gespart wird.
       
       ## Der Bundestag ist das Ziel
       
       Doch Wagenknecht hat noch ein anderes Problem. Eigentlich ist es für ihre
       junge Partei noch zu früh, schon Regierungsverantwortung zu übernehmen. Sie
       verfügt kaum über Personal, viele ihrer Mitglieder sind absolute
       Politneulinge. Und jetzt: plötzlich Minister? Das dürfte viele Mitstreiter
       überfordern.
       
       Außerdem will Wagenknecht im kommenden Jahr mit ihrer Partei wieder in den
       Bundestag einziehen. Das ist ihr wichtigstes Ziel, dem sie alles
       unterordnet. Sich in Bundesländern an Koalitionen zu beteiligen, birgt die
       Gefahr, Wählerinnen und Wähler zu enttäuschen, die sich davon mehr
       Veränderung erhoffen. Dieses Risiko ist groß.
       
       Co-Parteichefin Amira Mohamed Ali machte nach der Wahl in Brandenburg eine
       Regierungsbeteiligung im Landtag dann auch direkt von „echter Veränderung“
       abhängig. Nur für „ein paar Posten“ werde sich das BSW an keiner Koalition
       beteiligen. Die AfD dagegen höhnt bereits, das BSW sei auch nur eine
       weitere „Systempartei“. Diesem Vorwurf will das BSW keine Nahrung geben.
       
       ## Duldung als Ausweg?
       
       Um sich ihren Nimbus zu bewahren, dürfte es für Wagenknecht attraktiver
       sein, sich einer Zusammenarbeit in Landesregierungen zu verweigern – auch
       um den Preis, diese Länder in eine politische Krise zu stürzen. Eine
       Begründung für ihre Verweigerungshaltung wird sich schon finden.
       
       Ein anderer Ausweg wäre es, Landesregierungen lediglich zu tolerieren – in
       Sachsen und Thüringen die CDU, in Brandenburg die SPD. Dann könnte sie
       maximalen Druck ausüben, ohne selbst Verantwortung zu übernehmen. Zur
       Bundestagswahl könnte sich Wagenknecht dann weiterhin als Alternative zu
       allen anderen und Retterin in der Not profilieren. Das ist schließlich ihr
       Erfolgsrezept.
       
       Sollte es dagegen zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, weil die FDP die
       Ampel-Koalition platzen lässt, wäre das für das BSW geradezu ideal. Es
       würde auf seiner aktuellen Erfolgswelle ganz sicher wieder im Bundestag
       landen.
       
       25 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
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