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       # taz.de -- Ballermann-Musik mitten in der Nacht: Auf geile Nachbarschaft
       
       > Was tun, wenn der Nachbar alle Anwohner*innen mit nächtlichem Ikke
       > Hüftgold nervt? Die Polizei rufen? Besser: das Gespräch suchen.
       
   IMG Bild: Hier hallt es besonders laut: Hinterhof in Berlin
       
       Es war die Nacht von Dienstag auf Mittwoch, als eine*r der
       Nachbar*innen sich entschloss, den Hof akustisch mit den Ballermann-Hits
       2022 zu fluten. Um 22 Uhr fanden wir das noch lustig. Um Mitternacht stand
       die alleinerziehende Mutter aus dem Seitenflügel apathisch an ihrem
       Fenster, ihre beiden kleinen Kinder konnten partout nicht einschlafen und
       weinten, während [1][Ikke Hüftgold] deutsche Hochkultur in unsere
       Schlafzimmer lallte. So gegen 2 Uhr rief der Österreicher aus dem obersten
       Stock, dass er die „Polizäi“ rufen werde. Wütend war er und es ist
       allgemein bekannt, dass man Österreicher nie wütend machen sollte.
       
       Dann, um drei Uhr morgens, als ich wieder schlaftrunken aus dem Fenster
       schaute und den verzweifelten, eigentlich schwerhörigen Baba auf seinem
       Balkon erblickte, der die Welt nicht mehr verstand, traf ich die
       Entscheidung, mal klopfen zu gehen. Quelle des Schreckens war eine Wohnung
       im Nachbarhof, aus den Fenstern blinkte Diskolicht. Ich zog eine
       Winterjacke über meinen Pyjama und eine OP-Maske über Mund und Nase. Ich
       werde an dieser Stelle nicht näher beschreiben, wie ich zur Abkürzung über
       einen kleinen Zaun im Hof geklettert bin. Dann stand ich vor der Tür von
       Markus, so heißt der Hobby-DJ-Bierkönig.
       
       ## „Musik aus. Bitte. Jetzt“
       
       Die Klingel war kaputt. Das erste höfliche Klopfen brachte nichts, die
       Musik aus der Hölle war zu laut. Deswegen ballte ich meine rechte Hand zur
       Faust und hämmerte mit voller Wucht auf die alte Holztür. Sie ging auf. Mit
       glasigen blauen Augen starrte mich Markus an. „Ja?“, fragte er unschuldig.
       „Hallo. Musik aus. Bitte. Jetzt“, sagte ich. Er sackte in sich zusammen.
       „Ich brauche das heute Nacht!“ Seit Ewigkeiten habe er keinen Urlaub mehr
       gehabt und heute Nacht müsse das sein. Vom Wohnzimmer am Ende des Flurs
       schrie jemand: „SCHALALALA, MACH DIE MUSIK NOCH LAUTA!“ Ich erwiderte:
       „Selbst der schwerhörige Senior hat sich über die Lautstärke deiner
       fragwürdigen Musikauswahl beschwert. Aus. Jetzt.“
       
       Markus war traurig, dass ich seinen Musikgeschmack nicht teile. Er ging in
       das Wohnzimmer, drehte die Lautsprecher etwas leiser, kam zurück und
       fragte, ob das okay sei. Ich bestand auf komplett aus, erzählte Markus von
       der verzweifelten Mutter und dem wütenden Österreicher. Bis ich mich
       durchsetzen konnte, ging es ein paar mal hin und her.
       
       Als es endlich still war und ich den ersten Schritt Richtung Treppenstufe
       machte, sagte Markus noch einen Satz, der mir an diesem Abend jeglichen
       Restschlaf rauben sollte: „Ich weiß es sehr zu schätzen, dass du geklopft
       und nicht direkt die Bullen angerufen hast. Richtig cool!“ Hinter Markus
       tauchte ein blonder Haardutt auf. Er erinnerte mich an den Nachbarn in der
       [2][US-Sitcom „Hör mal wer da hämmert“], den sah man auch nur als Hut
       hinter einem Holzzaun. Auf jeden Fall sprach der zugedröhnte Haardutt zu
       mir: „Das nenne ich einfach eine gute geile Nachbarschaft! JAAAAA!“ Dann
       ging die Tür langsam zu.
       
       23 Feb 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Mohamed Amjahid
       
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