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       # taz.de -- Bauernproteste gegen Umweltauflagen: Die Lügen der Bauernflüsterer
       
       > Am Dienstag demonstrieren Landwirte in Berlin gegen Umweltauflagen.
       > Mitorganisator ist ein Bauernverband, der auf Facebook Desinformationen
       > verbreitet.
       
   IMG Bild: 25.11.2019 in Düsseldorf: mit Traktoren gegen die Agrarpläne der Bundesregierung
       
       Jetzt rollen wieder Trecker nach Berlin: Am Dienstag werden Tausende Bauern
       am Brandenburger Tor gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung
       demonstrieren.
       
       Wie die erste Kundgebung der Bewegung „Land schafft Verbindung“ Ende
       Oktober wendet sich auch diese vor allem gegen geplante Vorschriften, mit
       denen die Regierung die Umwelt besser schützen will. Im „Agrarpaket“ hat
       das Bundeskabinett Ende September angekündigt, Unkrautvernichtungsmittel
       und besonders schädliche Insektengifte in den meisten Naturschutzgebieten
       zu verbieten – vor allem, um das Insektensterben einzudämmen.
       
       Zudem sollen mehr Agrarsubventionen, die bisher vor allem für den Besitz
       von Fläche gezahlt werden, etwa Umweltprojekte von Landwirten finanzieren.
       Außerdem wenden sich die Demo-Initiatoren dagegen, dass Landwirte in
       besonders durch potenziell umwelt- und gesundheitschädliches Nitrat
       belasteten Gebieten nur noch weniger düngen dürfen.
       
       ## Dünger, Pestizide und Nitrat
       
       Das alles koste die Bauern Geld und würde vor allem viele kleine
       Familienbetriebe in den Ruin treiben, warnen die Bauern. Ein großer Teil
       der Branche bestreitet, dass vor allem sie für das Nitrat im Grundwasser
       sowie das Insektensterben verantwortlich sei.
       
       Die Bundesregierung argumentiert, die Pestizidverbote würden nur für knapp
       7 Prozent der Agrarfläche und lediglich bestimmte Wirkstoffe gelten. Die
       Düngereduktion betreffe ebenfalls lediglich einen Teil der Landwirte und
       würde die Ernten kaum schmälern.
       
       Außerdem seien die Maßnahmen schlicht nötig, weil es immer weniger Insekten
       gebe und Deutschland hohe Strafen der EU drohten wegen der zu hohen
       Nitratwerte im Grundwasser. Wissenschaftliche Studien würden die
       Verantwortung der Landwirtschaft belegen.
       
       Offiziell ist „Land schafft Verbindung“ eine unabhängige Bewegung, die in
       Internetnetzwerken entstanden ist. Tatsächlich haben Unterorganisationen
       des Deutschen Bauernverbands sie von Anfang an mitgesteuert, [1][wie die
       taz vor der ersten Demo Ende Oktober aufdeckte].
       
       ## Geschönte Zahlen
       
       Der Bauernverband Schleswig-Holstein beeinflusst die Bewegung nicht nur
       durch die Mitarbeit von Funktionären, sondern auch durch Propaganda. Auf
       seinen Facebook- und Instagram-Seiten veröffentlicht er regelmäßig falsche
       oder irreführende Informationen. Der Inhalt der Posts wird von Bauern in
       ganz Deutschland weitergegeben.
       
       Besonders auffällig sind Einträge, in denen der Verband Argumente von
       Leugnern des menschengemachten Klimawandels wiedergibt. Der menschliche
       Beitrag sei zwar messbar, schreibt die Organisation. „[2][Nur wie groß er
       genau ist und wo er ansetzt, bleibt umstritten.]“ Dabei hat der
       Weltklimarat IPCC festgestellt, „dass der menschliche Einfluss [3][die
       Hauptursache] der beobachteten Erwärmung seit Mitte des 20. Jahrhunderts
       war.“ Fast alle Staaten sind Mitglied [4][im IPCC].
       
       Der Bauernverband Schleswig-Holstein dagegen beruft sich namentlich einzig
       auf [5][Patrick Moore], einen Forstwissenschaftler, der die
       Umweltorganisation Greenpeace in ihrer Anfangszeit führte, dann aber als
       PR-Berater Kampagnen gegen sie organisierte.
       
       In einem anderen Post schreibt der Bauernverband: „Landwirtschaft spielt
       nur eine geringe Rolle bei den Treibhausgasen“, nämlich [6][7 Prozent].
       Diese Zahl enthält aber nicht Emissionen, die für die Landwirtschaft in
       anderen Sektoren entstehen. Wenn Bauern zum Beispiel entwässerte Moore als
       Äcker nutzen, wird Treibhausgas frei, das im Sektor „Landnutzung,
       Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft“ bilanziert wird.
       
       ## Pupsende Kühe
       
       Dazu kommen die Emissionen in der Industrie, wenn sie etwa Kunstdünger und
       Pestizide produziert. Der Diesel für Traktoren beispielsweise taucht im
       Kapitel „Energie“ auf. „Führt man alle diese Emissionsbereiche zusammen,
       ergibt sich insgesamt ein Beitrag der Landwirtschaft zur nationalen
       Treibhausgasemission von [7][rund 14 Prozent]“, schätzt das bundeseigene
       Thünen-Agrarforschungsinstitut.
       
       Zum Thema Emissionen des Treibhausgases Methan durch Kühe postet der
       Bauernverband: „[8][Methan zerfällt nach wenigen Jahren], während CO2
       Hunderte Jahre in der Atmosphäre bleibt“. Aber während seiner Lebensdauer
       hat es laut IPCC [9][eine rund 30 Mal größere Wirkung] als Kohlendioxid.
       „Methan ist das zweitwichtigste anthropogene Treibhausgas“, sagt Fortunat
       Joos, Klimaphysiker an der Universität Bern, der taz.
       
       Doch der Bauernverband hält die Landwirtschaft sogar für einen Klimaretter.
       „Nur sie ist in der Lage, Sauerstoff zu erzeugen und Kohlenstoff zu
       binden“, schreibt er. In einem anderen Facebook-Post rechnet er vor:
       „[10][1 Hektar Zuckerrüben bindet 35 t CO2], erzeugt 25 t O2. Erzeugt
       nebenbei 16 t Zucker“.
       
       Problem: „Das Treibhausgas in den Ackerfrüchten wird binnen weniger Monate
       wieder freigesetzt“, sagt Martin Hofstetter, Agrarexperte von Greenpeace
       Deutschland. „Wenn sie gegessen werden, nutzen wir die darin enthaltene
       Energie und geben über den Atem den Kohlenstoff als CO2 wieder in die
       Atmosphäre.“
       
       ## Bauernverband sind Fakten schnurz
       
       Solche Gegenargumente bringt auf der Facebook-Seite des Bauernverbandes zum
       Beispiel die Tierethikerin Friederike Schmitz, die auch bei der
       Klimaschutzbewegung „Extinction Rebellion“ mitarbeitet.
       
       „Aber korrigiert wird in der Regel nichts“, sagt die Aktivistin der taz.
       „Das Niveau dieser Seite ist einfach unterirdisch. Aber alle liken, denn
       Wahrheit ist ja wurscht, Hauptsache, es passt ins Weltbild“, schrieb
       Schmitz bei Facebook. Das sei ein Beleg dafür, „dass dem Bauernverband
       Fakten halt schnurz sind“.
       
       Diesen Eindruck nährt auch die Antwort des Bauernverbands auf die Frage der
       taz, ob er falsche und irreführende Informationen verbreite: In einer
       weitschweifigen E-Mail wiederholte die Organisation im wesentlichen nur
       kritisierte Aussagen, statt auf Gegenargumente einzugehen. Sie wies den
       Vorwurf der Desinformation weder ausdrücklich noch direkt zurück.
       
       ## Neurechtes Milieu
       
       Desinformation ist ein typisches Instrument des neurechten Milieus aus AfD
       und dem rechten Rand der CDU. Im Bundestag unterstützt einzig die AfD alle
       Forderungen der Bauern. Hinter den Social-Media-Seiten des
       schleswig-holsteinischen Bauernverbands steht vor allem dessen
       [11][Referent Sönke Hauschild], der sich auch [12][an der CDU-Basis]
       engagiert.
       
       Er postete am 15. November auf seiner privaten Facebook-Seite
       fremdenfeindliche Sätze, die islamische Migranten unter Generalverdacht
       stellen: „(Muslimische) Flüchtlinge kommen in christlich geprägte Länder,
       Länder mit einer vom Christentum geprägten Geschichte und somit zu denen,
       [13][die sie beziehungsweise ihre Mitbürger in der Heimat intensiv
       verfolgten] und verfolgen“, zitierte Hauschild den ehemaligen SPD-Politiker
       Steffen Reiche. „Die Flüchtlinge“ würden nach Deutschland kommen, „um bei
       denen zu leben, die sie daheim verfolgen.“
       
       Ein Facebook-Nutzer kommentierte, es sei „eine hanebüchende
       Pauschalisierung, unseren geflohenen Geschwistern Christenverfolgung
       vorzuwerfen. In diesen Ländern gibt es Terroristen. Diese mit ihren Opfern
       gleichzusetzen zeugt von einigem, aber sicher nicht von christlichen
       Werten.“ Hauschild ließ eine Bitte der taz um Stellungnahme bis
       Redaktionsschluss unbeantwortet.
       
       25 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Grosse-Bauernproteste-auf-AfD-Linie/!5633870
   DIR [2] https://www.facebook.com/BauernverbandSchleswigHolstein/posts/1578931602198118
   DIR [3] http://de-ipcc.de/_media/IPCC_AR5_WG1_SPM_deutsch_WEB.pdf
   DIR [4] https://www.ipcc.ch/about/
   DIR [5] http://ecosense.me/bio/
   DIR [6] https://www.facebook.com/BauernverbandSchleswigHolstein/posts/1822339784523964
   DIR [7] https://www.maiskomitee.de/web/upload/pdf/zm/com0309.pdf
   DIR [8] https://www.facebook.com/BauernverbandSchleswigHolstein/posts/2589905957767339
   DIR [9] http://www.climatechange2013.org/images/uploads/WGIAR5_WGI-12Doc2b_FinalDraft_Chapter08.pdf
   DIR [10] https://www.facebook.com/BauernverbandSchleswigHolstein/photos/a.329685690456055/2511359455621990/?type=3&theater
   DIR [11] https://www.bauern.sh/verband/mitarbeiter.html
   DIR [12] https://www.cdu-steinburg.de/personen/soenke-hauschild
   DIR [13] https://www.facebook.com/sonke.hauschild.9?__tn__=%2CdC-R-R&eid=ARDD8cR-FOBaYnCLH9_mJWXDxib6gOD5MaOi8W54BX0gZQETQELLqIDnf6MV5dACdynXzFWwPPHO2rGA&hc_ref=ARTZOjKE5KWeU5h9AkLQUYELyfupWDQ9S9L45iz54GcYN_SIIahdL0p4EQOXeCzY7fA&fref=nf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
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